Volltext: VIII. Jahrgang, 1903 (VIII. JG., 1903)

Seite 74. 
ÖBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG. 
Nr. 10. 
zweigende moderne Industrie getrennt worden und bildet 
heute jede eine eigene Zunft für sich. Wir wollen heute 
einmal einen Gang durch eine der ersten und grössten 
Glockengiesserei Deutschlands, in welcher auch die be¬ 
rühmte Kaiserglocke des Kölner Domes gegossen wurde, 
machen und uns näher die Einrichtung und Herstellung 
der Glocke ansehen, um einen Einblick in solch’ einen 
Betrieb zu erhalten, um mit ehernem Munde zu ver¬ 
künden der ganzen Welt: „Friede auf Erden und dem 
Menschen ein Wohlgefallen 1“ 
Wohl kaum ein anderer Beruf erscheint uns von 
so poetischem Zauber umflossen wie der des Glocken- 
giessers. Doch dieser Zauber schwindet bald, wenn wir 
eine jener Werkstätten betreten, in denen die metallenen 
Kolosse, die von den Türmen der Gotteshäuser mit 
ehernen Zungen zu uns reden, geschaffen werden. Fast 
die Hälfte des mässig grossen Raumes nimmt eine ge¬ 
mauerte Grube von etwa 5 Fuss Tiefe in Anspruch. 
Neben der Grube erhebt sich ein aus Backsteinen er¬ 
bauter, mächtiger Flammenofen. Ihm zur Seite sieht 
man drei Tiegelöfen, die bedeutend kleiner sind als der 
grosse FlammenoTen. In der Grube werden nun die Glocken¬ 
formen aufgebaut. Man mauert zuerst den hohlen Kern, 
dessen Grösse der Höhlung der Glocke entsprechen 
muss. Durch Auflegen von Ton gibt man dem auf einem 
Fundament ruhenden Kern die gewünschte Form u. zw. 
geschieht dies mit einer Holzschablon. Um das Anhaften 
des Modells „der sog. falschen Glocke“ zu verhindern, 
bestreicht man den Ton ganz dick mit einem wässerigen 
Brei aus Holzasche. Auf dem so vorbereiteten Kern wird, 
nachdem er durch ein in seinem Innern angezündetes 
Kohlenfeuer getrocknet ist, das Modell für die Glocke 
hergestellt. Die genauen Formen werden ebenfalls mit 
Hilfe der Schablone erzielt. Hiebei muss nämlich auch 
auf den Ton, den die erzene Glocke angeben soll, Rück¬ 
sicht genommen werden. Die vielfach verbreitete An¬ 
sicht, dass der Wohllaut der Glocke von der Mischung 
des Metalls abhängt, ist durchaus falsch. Ist die falsche 
Glocke im Umriss fertig, dann wird der letzte dünne 
Ueberzug, der Verzierungen und Inschriften darstellt, 
aus einer Mischung von Talg und Wachs geformt. Man 
sieht, der Glockengiesser muss auch ein geschickter 
Zeichner und Modelleur sein. Nun geht es an die Her¬ 
stellung des Mantels, des wichtigsten Teiles der Vor¬ 
bereitungen zum Glockenguss. Es muss daher ganz be¬ 
sondere Sorgfalt darauf verwendet werden. Die unterste 
Schicht, die jetzt mit der falschen Glocke und später 
mit dem flüssigen Metall in Berührung kommt, besteht 
aus einem weichen Brei, dessen einzelne Teile gesiebter 
Lehm, Ziegelmehl, Graphit, Formsand, Eiweiss, Bier und 
Gummiarabicum sind. Von dieser Schicht hängt es ab, 
ob die metallene Form sich glatt und eben aus der Hülse 
schälen wird. 
Nachdem der Lehmbrei, der sich den Wachstalg¬ 
verzierungen des Modells genau anschmiegen muss, an 
der Luft getrocknet ist, wird der Mantel mit gewöhnlichem 
Lehm genügend verstärkt. Im hohlen Innern des Kerns 
wird jetzt wieder ein Feuer angefacht, durch die Hitze 
schmilzt das Wachs, das in den Lehm dringt und so 
den Mantel vom Modell löst. Die Form zur Krone wird 
besonders angefertigt, in die obere Oeffnung des Mantels 
eingesetzt und mit Lehm befestigt. In dieser Kronen¬ 
form befindet sich das Giessloch. Daneben münden die 
Windpfeifen, durch die die in dem leeren Raum ent¬ 
haltene Luft entweichen kann, sobald der Guss beginnt. 
Die Massnahme ist notwendig um die Gefahr einer Ex¬ 
plosion zu beseitigen. Um ein Zerplatzen des Mantels 
beim Guss zu verhüten, wird er mit Hanf und eisernen 
Reifen umgeben. An den Reifen werden Haken zur Be¬ 
festigung von Seilen angebracht, um unter Benützung 
eines Flaschenzuges den Mantel in die Höhe heben zu 
können. Ist dies geschehen, so wird das auf dem Kern 
sitzende Modell stückweise weggebrochen, der Kern mit 
Steinen und Erde, sowie seine obere Oeffnung mit Lehm 
gefüllt. In den weichen Lehm senkt man das Hänge¬ 
eisen, an dem der Klöppel in ledernen Riemen hängt. 
Die mit Widerhaken versehenen Schenkel des Eisens 
werden beim Guss von dem Metall eingeschlossen. Zu¬ 
letzt wird der Mantel auf seinen alten Platz herab¬ 
gelassen und die Fuge um seinen unteren Rand mit 
Lehm verstrichen, worauf die ganze Grube, in der man 
gleichzeitig vier bis fünf Formen aufbauen kann, mit 
Erde, Sand und Asche bis an den Rand zugeschüttet 
wird. Damit der Glockenmantel eine grössere Wider¬ 
standsfähigkeit gegen den Druck des Metalls erhält, 
stampft man die Erde um die Formen mit einer Hand¬ 
ramme so fest wie möglich. Schliesslich wird auf dem 
Damm — so heisst die zugeschüttete Grube — mittelst 
Backsteinen eine Gussrinne vom Ofen bis zum Giessloch 
angelegt. Nun endlich kann der Guss seinen Anfang 
nehmen. Das Glockengut, wie man die im Flammwesen 
schmelzende Mischung nennt, ist eine Legierung von 
78 Teilen Kupfer und 22 Teilen Zinn. Da das Kupfer 
schwer schmilzt, wird es zuerst dem mit Fichtenholz 
geheizten Ofen zugeführt. 
Der Zapfen wird aus dem Ofen gestossen, und 
einem feurigen Strom gleich ergiesst sich die glühende 
Metallmasse in die Gussrinne und von da in die erste 
Form, wenn diese gefüllt ist, in die zweite etc. Etwa 
20—24 Stunden nach dem Guss hat sich die Glocke 
genügend abgekühlt und sie wird aus der Grube hinaus¬ 
gewunden. Der Mantel wird abgeschlagen und der 
Glockengiesser hat das Resultat seiner wochenlangen 
Arbeit vor sich. Nun muss nur noch der Klöppel an¬ 
gebracht und der Glockenstuhl gezimmert werden, dann 
ist die Glocke zur Ablieferung fertig, so berichtet das 
„Tirolische Gewerbeblatt“ in Innsbruck, aus dem wir 
vorstehenden Artikel entnehmen. L. B. 
Einiges über englischen Städtebau. 
Naturgemäss bieten allerwärts die Städte in Anlage 
und Bau ein getreues Spiegelbild des Charakters ihrer 
Bewohner, namentlich von deren vorherrschenden Tätig¬ 
keit und Neigungen. So auch hier. Ernst und schweig¬ 
sam geschäftig, wie der Engländer selbst, zeigen sich 
auch seine Städte, einförmig nüchtern die Häuser, in 
welchen er wohnt. Eine fremden Einflüssen nahezu 
völlig unzugängliche Originalität geht mit einem merk¬ 
würdigen Festhalten am Althergebrachten Hand in Hand 
und auf Schritt und Tritt macht sich die Nationalneigung 
zu openair-Bewegung, Spiel und Sport, bemerkbar. Zu¬ 
nächst die städtischen Strassen. Dieselben, Fahrdamm 
wie Bürgersteig, sind im grossen und ganzen durchaus 
nicht schmal, aber auch nicht von jener verschwende¬ 
rischen Breite und unästhetisch leeren Länge, wie sie in 
deutschen Städten neuerdings vielfach zu beobachten 
sind. Anderseits wird das Strassenbild englischer Städte 
fast überall von einer auffallenden Unregelmässigkeit 
beherrscht, von einer Unregelmässigkeit, die nicht selten
	        
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