Nr. 8.
ÖBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG.
Seite 59.
40—80 Mark bei freier Kost und Nachtlager beträgt.
Werden die Arbeiter doch ausgebeutet, so ist dies nicht,
wie ich schon oben bemerkt, das Verschulden der Ziegelei¬
besitzer, sondern der die Verträge schliessenden italie¬
nischen Impresarii, Accordanti, Zieglermeister, welche ihre
Landsleute anwerben, an Ort und Stelle schaffen und
Vorschüsse geben. Es ist dies dasselbe Abhängigkeits-
Verhältnis wie mit den Juden in Krakau, Lemberg,
Tarnopol und Warschau, welche polnische und russische
Arbeiter zu Markte bringen und mit grossem Profit ver¬
schachern. Sonst schildert diese Abwehr der „Münchner“
uns längst bekannte Tatsachen, die in allen Handschlag¬
ziegeleien dieselben sind.
Ein anderes Kapitel ist die Reinlichkeit. Die Ziegler¬
arbeit ist keine reinliche und kann nicht in Glanzwäsche
und Manschetten ausgeführt werden. Die Sommerhitze
ist schweisstreibend und der Ziegler ist auch nicht in
der Lage eines häufigen Wäschewechsels. Es gilt dieses
nicht bloss von den Italienern, sondern den Ziegelarbeitern
aller Nationen. Der Akkordant oder Fabriksbesitzer sollte
daher mit allen Mitteln dahin wirken und Einrichtungen
schaffen, ja die Arbeiter zwingen, dass sie täglich eine
gründliche Reinigung des ganzen Körpers vornehmen.
Ein altes Gesetz ist, dass Reinlichkeit der beste Schutz
gegen alle Krankheiten ist. Nicht nur für die Italiener,
sondern auch für die Ziegler anderen Stammes wird
dann Verdienstentgang durch Krankheiten entfallen und
dieselben stets frisch und gekräftigt zur Arbeit antreten
können.
Die Gemeinde München und die dortigen Ziegelei¬
besitzer haben auch einen italienischen Schulunterricht
für die Kinder der dort ansässigen Ziegelarbeiter vor¬
gesehen. Ich weiss aus Erfahrung, dass Arbeiter und
Gewerbsleute ihre Kinder auch in der Heimat nicht gern
zur Schule senden, wenn sie auch in grösserer Zahl vor¬
handen wären. Die Armut zwingt die Kinder wie in vielen
anderen Ländern dazu, schon von Kindesbeinen an Ver¬
dienst zu denken. Eben bei einem so bildungsfähigen,
intelligent veranlagten Volke, wie es die Italiener sind,
wäre es leicht möglich, auch die Arbeiter auf ein höheres
Bildungsniveau zu heben. Doch ist es eine eigentümliche
Erscheinung, dass die sonst ganz intelligent veranlagten
zukünftigen Arbeiter der Schule scheu aus dem Wege
gehen. Auch die Regierung rührt da keine Hand. Die
Volksschulen sind vollkommen unzureichend. Die Herr¬
schaft eines Unterrichtsministers währt in Anbetracht
des steten Ministerwechsels oft kaum einige Monate. Hat
da der Mann Zeit, dem Parlamente Reformen und Gesetze
vorzulegen? Meist reisst der eine ein, was sein Vorgänger
erbaut. Mit wenigen kunstgewerblichen Schulen, meist
städtische oder Privatanstalten, ist kaum etwas getan,
da eigentliche Fachschulen vollkommen fehlen. Und an
all die armen Arbeiter Italiens im Baugewerbe, im Ziegelei¬
betriebe, die jährlich zu Tausenden, der Not gehorchend,
ins Ausland wandern müssen, denkt niemand! Schon im
Vorjahre habe ich in Udine ein von echten Menschen¬
freunden errichtetes Bureau gefunden, welches Arbeit¬
gebern und Arbeitnehmern kostenlos alle Aufträge aus-
führt und gewandte Arbeiter ins Ausland direkt an den
Unternehmer sendet. Ich gehe da noch weiter und sage :
In Italien, wo man bis heute die agrarischen Verhältnisse
nicht geordnet hat, dasUnterrichtswesen mehr als mangel¬
haft ist, die Regierung gar nichts für die Schulung und
Förderung der ins Ausland flüchtenden Arbeiter tut, sollen
staatliche Arbeiterämter errichtet werden, um jede Aus¬
beutung hintanzuhalten, die Auswanderer zu fördern und
zu schützen.
Die Regierung erfülle endlich ihre Pflicht. Die braven
italienischen Ziegelarbeiter verdienen es, dass auch das
Vaterland seiner Söhne gedenke.
Der elektrische Betrieb auf Vollbahnen.
Unter Zugrundelegung der elektrischen Traktionsversuche
in Italien.
Von Ingenieur Fritz Golvig.
VI.
In Anbetracht des Ergebnisses dieser Betrachtungen
erscheint wohl die Behauptung nicht zu gewagt, dass
bei jenen Bahnen, namentlich — wie später begründet
werden soll — bei Bergbahnen, zu deren Betrieb aus¬
reichende und nicht allzu teuer auszubauende Wasser¬
kräfte herangezogen werden können, die Wirtschaft¬
lichkeit des elektrischen Betriebes jener des Dampf¬
betriebes überlegen ist.
Nicht ganz so günstig liegen im allgemeinen die
Verhältnisse dort, wo keine Wasserkräfte vorhanden
sind, wo vielmehr die elektrische Zentrale mittelst Dampf¬
kraft, das ist durch Kohle erzeugt werden muss. Wohl
sind die Investitionskosten dann viel niedriger, weil die
Dampfzentrale ungleich billiger herzustellen ist, als das
mit Wasserkraft betriebene Werk; auch sind die Kohlen¬
kosten, wie sorgfältige Berechnungen ergeben, selbst
dann beim elektrischen Betriebe eher geringer, weil die
Verluste in der elektrischen Kraftübertragung durch die
ungleich grössere Betriebsökonomie der Zentralmaschinen-
Anlage mehr als ausgeglichen werden und weil die
geringen Lokomotivgewichte und der Wegfall der Tender
Ersparnisse an Kraft, beziehungsweise Kohle zur Folge
haben. Die Verhältnisse dürften sich aber hier im all¬
gemeinen doch nur in jenen Fällen so günstig stellen
wie bei Wasserkraftsbetrieb, wo Dampfzentralen mitten
in Kohlenreviere gestellt werden und mit billigen Kohlen¬
sorten (Kohlenabfällen) geheizt werden können. Trotzdem
wird es zweifellos viele Bahnen geben, denen Wasser¬
kräfte nicht zur Verfügung stehen, bei welchen aber der
elektrische Betrieb gerechtfertigt wäre.
Es wäre eben verfehlt, die Umwandlungsfähigkeit
der Dampfbahnen auf elektrischen Betrieb zu generalisieren.
Jeder einzelne Fall bietet so verschiedene Verhältnisse,
dass stets nur auf Grund einer sorgfältigen Prüfung aller
in Betracht kommenden Bedingungen ein richtiger
Schluss über die Umwandlungswürdigkeit einer Bahn
gezogen werden kann. Im allgemeinen kann gesagt
werden, dass bei Hauptbahnen mit starkem Verkehr
stets befriedigendere Resultate von der Umwandlung er¬
wartet werden dürfen, als beispielsweise bei langen Lokal¬
bahnen mit schwachem Verkehr, für die heute noch die
Dampf- oder Benzin-Lokomotive die rationellste Be¬
triebsweise darstellt, weil sich dort die elektrischen Um¬
wandlungskosten angesichts des geringen Verkehrs nicht
aus den Ersparnissen des elektrischen Betriebes bezahlt
machen können.
Wir haben bisher nur jene Fälle in den Kreis
unserer Betrachtungen gezogen, bei denen es sich darum
gehandelt hat, bestehende Dampfbahnen in elektrische
umzuwandeln. Einfacher und für die letztere Betriebs¬
weise günstiger liegen die Verhältnisse dort, wo neue
Bahnen gebaut werden, denn hier entfällt die Notwendig¬
keit, die in den Dampfeinrichtungen und Lokomotiven