Volltext: VIII. Jahrgang, 1903 (VIII. JG., 1903)

Seite 44. 
ÖBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG. 
Nr. 6. 
Der elektrische Betrieb auf Vollbahnen. 
Unter Zugrundelegung der elektrischen Traktionsversuche 
in Italien. 
Von Ingenieur Fritz G o 1 v i g. 
IY. 
Die elektrischen Lokomotiven werden heute bereits 
in Grössen gebaut, welche den modernen Dampf- 
lokomotiv-Riesen an Leistung gleichkommen. Auf der 
Valtelinabahn waren bisher so grosse Typen nicht ge¬ 
fordert. Die Lastzugs-Lokomotive besitzt dort bei einem 
Gewichte von 46 Tonnen bis zu 8 Tonnen Zugkraft und 
zieht eine Bruttolast von 300 Tonnen bei 10 per Mille 
Steigung mit 33 Kilometer stündlicher Geschwindigkeit. 
Die Eilzüge auf der Valtelinabahn bestehen aus einem 
52 Tonnen schweren Personen - Motorwagen, welcher 
regelmässig 5, bei Bedarf 7 zweiachsige Personenwagen 
auf 10 per Mille mit 66 Kilometer Geschwindigkeit be¬ 
fördert; eine grössere Schnelligkeit war angesichts der 
vielen Steigungen und Kurven nicht verlangt worden. 
Die neuen Lokomotiven, welche die Rete Adriatica für 
den nächsten Sommerdienst beschafft, werden aber schon 
den höchsten Anforderungen einer Hauptbahn gerecht 
werden. Mit Stolz sagte der Generaldirektor Börgnini 
der Rete Adriatica bei der Eröffnungsfeier der Valtelina¬ 
bahn am 10. Oktober v. J. in seiner Ansprache an den 
Minister: „Unser Programm war stets, zu behaupten, 
dass, wenn die elektrische Energie zu angemessenen 
Bedingungen und in genügender Quantität erhältlich ist, 
die elektrische Drehstrom-Lokomotive mit Hochspannung 
die Dampflokomotive schlägt. Dies wollen wir nun auf 
einer Linie mit sehr grossem Verkehr, wie jene von 
Lecco nach Mailand, beweisen, auf der die schwersten 
Eil- und Güterzüge befördert werden, welche die Zug¬ 
kraft unserer jetzigen Dampflokomotiven zulässt. Wir 
wollen beweisen, dass wir dort gleiche und noch 
schwerere Züge mit grösserer Geschwindigkeit und mit 
geringeren Kosten mit Hilfe der elektrischen Hoch¬ 
spannungs-Lokomotive befördern werden.“ 
Die neuen Lokomotiven werden für Lastzugs- 
beförderung bei 33 Stunden-Kilometer eine Zugkraft von 
6 bis maximal 9 Tonnen besitzen, während sie für Eil- 
zugsbetrieb bei 66 Kilometer Geschwindigkeit 3x/2, maxi¬ 
mal 5 Tonnen Zugkraft entwickeln und auch mit 80 Kilo¬ 
metern per Stunde fahren werden. Dass die elektrische 
Lokomotive für hohe Geschwindigkeit besonders geeignet 
ist, beweist der Versuch der deutschen Studiengesellschaft 
in Berlin, wo bereits Geschwindigkeiten von 164 Kilo¬ 
metern per Stunde erreicht wurden und die Motoren für 
kurze Zeit 3000 Pferdestärken abzugeben imstande sind. 
Ein Bild von hoher Zugkraft der elektrischen Lokomotive 
für schwere Güterzüge gibt anderseits die seit Jahren 
im Dienste stehende Lokomotive der Baltimore and Ohio 
Railway, welche die Zugförderung durch einen 5 Kilo¬ 
meter langen Tunnel besorgt und bei 96 Tonnen Gewicht 
und einer Steigung von 8 per Mille einen Zug von 
1900 Tonnen Bruttogewicht befördert. 
Es geht aus diesen Ziffern hervor, dass es heute 
schon möglich ist, die elektrische Lokomotive so stark 
zu bauen, dass sie den Dienst auf jeder Hauptbahn über¬ 
nehmen kann. Die technische Seite des elektrischen 
Vollbahnproblems kann sonach als gelöst angesehen 
werden und in dieser Hinsicht steht der Umwandlung 
von Dampfbahnen auf elekrischen Betrieb kein Hindernis 
mehr im Wege. Allein es muss damit gerechnet werden, 
dass — die Dampflokomotive wurde eben vor der elek¬ 
trischen erfunden — unsere Bahnen bereits mit Dampf¬ 
betrieb ausgerüstet sind und in dem Bestand an Loko¬ 
motiven, Tendern, Wasserstationen, Heizhäusern etc. be¬ 
deutende Kapitalien festgelegt haben, so zwar, dass sie 
sich ohne gewichtige technische oder wirtschaftliche 
Gründe nicht zum Ersatz der heutigen Dampftraktion 
durch elektrischen Betrieb entschliessen werden. Wohl 
kommt noch in technischer Hinsicht der gänzliche Weg¬ 
fall der Rauchbelästigung in Betracht; allein dieser, sich 
auch in der minderen Abnützung des Fahrparkes günstig 
äussernde Umstand ist ja für das Reisepublikum von 
grosser Annehmlichkeit, wird aber in den meisten Fällen 
für die Eisenbahnen, denen der Ertrag die Hauptsache 
ist, kein ausschlagendes Moment für die „Elektrisierung“ 
bilden. 
Es werden also in den meisten Fällen wirtschaftliche, 
finanzielle Momente sein müssen, welche die Eisenbahnen 
veranlassen könnten, bei bestehenden Bahnen auf den 
elektrischen Betrieb überzugehen. Für den Dampfbetrieb 
liegen die Erfahrungen von Jahrzehnten vor, auf das 
Gründlichste durchgearbeitet von der Statistik. Wenn 
auch über den elektrischen Betrieb der Vollbahnen ziffer- 
mässige Betriebsresultate vorliegen werden — was in 
Bälde der Fall sein dürfte — dann wird es möglich sein, 
über die grössere oder geringere Wirtschaftlichkeit der 
beiden Betriebsarten sicheres Urteil zu fällen. 
Wir können uns aber heute schon darüber ein un¬ 
gefähres Bild machen, welcher Art die ökonomischen 
Vorteile des elektrischen Betriebes auf Hauptbahnen 
sein werden. Hier ist zunächst der bekannten Tatsache 
Erwähnung zu tun,* dass bei dem elektrischen Betriebe 
die Zugfolge weit bequemer und den Bedürfnissen der 
Reisenden entsprechender verdichtet werden kann, als 
bei der Dampftraktion. Die Folge davon ist, dass das 
Publikum von der erhöhten Fahrgelegenheit Gebrauch 
macht und sich die Einnahmen sehr erhöhen, ohne dass 
die Betriebskosten im gleichen Verhältnisse ansteigen. 
Die gleiche Erfahrung hat man auch bei der Bahn 
Mailand—Gallarate gemacht, wo die Frequenz und die 
Einnahmen ausserordentlich gestiegen sind. Dieses an 
sich sehr wichtige Moment der Verkehrs Verdichtung 
würde jedoch nur bei Strecken mit sehr dichtem Ver¬ 
kehre (zum Beispiel Wien—Baden) allein hinreichen, um 
Eisenbahnverwaltungen zur elektrischen Umwandlung zu 
bewegen. Bei langen Hauptbahnen müssten noch andere 
wirtschaftliche Vorteile hinzutreten, um die Investierung 
der Umgestaltungskosten zu rechtfertigen. Wir wollen 
nun untersuchen, ob solche Vorteile vorhanden sind und 
welche Bedeutung sie für das Budget der Eisenbahnen 
besitzen. 
Was heisst „feuersicher“ ? 
Von Georg Eis ne r, königl. Brandmeister in Berlin. 
In neuerer Zeit werden für die einzelnen Stoffe Be¬ 
zeichnungen gebraucht, die die grössere oder geringere 
Widerstandsfähigkeit der Materialien im Feuer kenn¬ 
zeichnen sollen, ohne dass diese Ausdrücke als voll¬ 
ständig einwandfrei gelten können. Ausdrücke, wie zum 
Beispiel „schwer entflammbar“, bedürfen keiner Er¬ 
klärung, sie sind wohl jedem verständlich, aber anders 
erscheint es bei den Bezeichnungen „feuersicher, feuer¬ 
fest, feuerbeständig, unverbrennlich, massiv“, Ausdrücke, 
die jeder für sich allein kein genügendes Adjektivum 
sind und stets einer besonderen Erläuterung bedürfen.
	        
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