Volltext: VIII. Jahrgang, 1903 (VIII. JG., 1903)

ÖBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG. 
Seite 27. 
Nr. 4. 
Der Bauherr wird sich auf ein Haar genau in der¬ 
selben Situation befinden, in welcher sich Herr A. bei 
seinem tragischen hier beschriebenen Palle befand. 
Der Fabriksbesitzer oder sein bevollmächtigter Ver¬ 
treter ist für jeden bei dem Kaminbau vorkommenden 
Unglücksfall, mag er durch Einsturz oder anders ein¬ 
getreten sein, seit dem Augenblicke persönlich ver¬ 
antwortlich, in welchem er den Bau an einen un¬ 
berechtigten Unternehner vergab. Von dieser persön¬ 
lichen Verantwortlichkeit wird ihn der Umstand nicht 
entheben, dass der Plan von einem berechtigten Bau¬ 
meister gefertigt ist, oder wenn der unberechtigte Unter¬ 
nehmer angibt, dass der „deckende“ Baumeister am 
Geschäfte beteiligt ist. Wenn ein Unglück wirklich ein- 
tritt, wird der letztere behaupten und leicht beweisen, 
dass er nur den Plan unterschrieben hat, jedoch auf die 
Bauausführung keine Aufsicht führte, weil sich der 
Spezialist sämtliche Materialien, Requisiten und alle 
Arbeiter selbst beschaffte und mit ihnen selbst disponierte. 
Der Bauherr wird wie Herr A. persönlich die ganze 
Wucht der Verantwortung zu tragen haben, ja es kann 
ihm geschehen, dass er nicht einmal den haupt- 
schuldigen Spezialisten als Mitverantwortlichen vor 
Gericht zur Seite haben wird, weil es auch geschehen 
ist, dass der ausländische Spezialist nach einer Kata¬ 
strophe verschwindet und sich den Behörden trotz 
wiederholter Vorladung nicht stellt. (Nähere Daten 
werden über Wunsch mitgeteilt.) 
Neuerer Zeit, namentlich bei der im Jahre 1901 
im Ministerium des Innern abgehaltenen Enquete, wurde 
die wahrhaft erschreckende Tatsache konstatiert, dass 
durch ausländische unberechtigte Unternehmer massen¬ 
haft Kamine ausgeführt wurden, welche mangels der 
notwendigen und gesetzlichen Stabilität als ein wahres 
Unheil der einheimischen Industrie betrachtet werden 
müssen. Die Gefahr besteht, das Unglück wird nach- 
folgen, bis die Zeit kommt! 
In richtiger Erkenntnis dieser Gefahr sah sich der 
Landesausschuss des Königreichs Böhmen als oberste 
Baubehörde mit seinem Erlasse vom 8. Juni 1901, 
Zahl 35.932, bewogen, eine Revision sämtlicher bestehen¬ 
den Kamine anzuordnen, um diejenigen herauszufinden, 
welche als absolut gefährlich betrachtet werden müssen. 
Dass diese Gefahr nicht nur in der Phantasie, sondern 
in Wirklichkeit besteht, beweist am besten das Faktum, 
dass am 12. März 1876 bei Köln am Rhein 30 Kamine 
vom Winde umgeworfen wurden, dass im Jahre 1893 in 
Hohenelbe 6 Essen in einem Tage dasselbe Schicksal 
ereilte und dass bei uns sehr viele Kamine bestehen, 
welche schwächer als diese eingestürzten konstruiert 
sind, weil ihnen bis über 50 Perzent des zur gesetzlichen 
Stabilität notwendigen Mauerwerkes fehlt (Belege werden 
über Wunsch beigebracht). 
Doch nicht nur beim Baue, auch später trägt der 
Bauherr die Verantwortung für einen vom unberechtigten 
Unternehmer gebauten Kamin. 
Nehmen wir an, dass ein seit Jahren bestehender 
Kamin in einer Fabrik einstürzt und dass er, wie ja 
leicht möglich, 10 oder 50 Leute unter seinen Trümmern 
begräbt. Ganz bestimmt kommt sofort das Gericht, um 
zu eruieren, wer das Unglück verschuldet hat. Die 
erste Frage wird nach dem Erbauer forschen. 
Wenn erwiesen wird, dass er von einem berechtigten 
Baumeister aufgebaut wurde, kann nur dieser zur Ver¬ 
antwortung gezogen werden, namentlich wenn erwiesen 
wird, dass er den Kamin nicht plangemäss oder über¬ 
haupt mangelhaft ausgeführt hat. Der Bauherr bleibt 
jedenfalls ausser Obligo. 
Ganz anders wird sich die Situation gestalten, wenn 
erhoben wird, dass der Fabriksbesitzer den Kamin von 
einem unberechtigten Unternehmer ausführen liess und 
dass der Grund seines Einsturzes in der ungenügenden 
Stabilität oder mangelhaften Ausführung zu suchen sei. 
In diesem Falle wird das Gericht selbst nach jahre¬ 
langem Bestände dem Bauherrn gegenüber wahrschein¬ 
lich denselben Standpunkt einnehmen, welchen das 
k. k. Kreisgericht Königgrätz dem Herrn A. gegenüber 
eingenommen hat. 
Diese Auffassung erscheint um so möglicher, je ein¬ 
dringlicher die vorangeführten Verordnungen der Statt¬ 
halterei, des Landesausschusses und des Ministeriums 
auf die grosse Gefahr derartiger schwacher Kaminbauten 
aufmerksam machen und die angeordnete allgemeine 
Revision sämtlicher bestehenden Kamine jedem Fabriks¬ 
besitzer es ermöglicht, ja es ihm im eigenen Interesse 
zur Pflicht macht, sich davon zu überzeugen, ob sein 
und seiner Leute Leben bedroht. 
Die hier angeführten Tatsachen sollten unsere 
Industriellen veranlassen, ihre Bauten überhaupt, nament¬ 
lich aber ihre Kamine nur von berechtigten Gewerbs- 
leuten und unter absoluter Garantie der gesetzlichen 
Stabilität ausführen zu lassen. 
Diese Gründe berühren allerdings nur das persön¬ 
liche Interesse der Fabriksbesitzer. Zudem mag noch 
auf einen anderen Umstand hingewiesen werden, welcher 
zur Zeit der gegenwärtigen Depression in allen Zweigen 
der Industrie und des Handels eine ganz besondere 
Wichtigkeit hat. 
Der Ruf nach Förderung der einheimischen Arbeit 
erschallt überall, am wirksamsten in allen Nachbarländern 
Oesterreichs. Soll es besser werden, muss dieser dringende 
Appell nicht allein an die Regierung, sondern an jeden 
Industriellen, gross und klein, überhaupt an Alle gerichtet 
werden, welche eine Besserung der traurigen wirtschaft¬ 
lichen Verhältnisse unter dem Wahlspruche der Selbst¬ 
hilfe und eigenen Kraft anstreben und erhoffen. 
Ant. Dvorak & K. Fischer in der „Baukeramik“. 
Der elektrische Betrieb auf Vollbahnen. 
Unter Zugrundelegung der elektrischen Traktionsversuche 
in Italien. 
Von Ingenieur Fritz Golvig. 
fl. 
Die beiden grossen italienischen Bahnen erklärten, 
dem Wunsche der Regierung entsprechen und die Ver¬ 
suche, bei denen es sich um Kapitals-Investitionen von 
etwa 15 Millionen Lire handeln sollte, durchführen zu 
wollen. Es wurden nun im Einvernehmen mit der italieni¬ 
schen Regierung die Strecken für den Versuch ausge¬ 
wählt. Die Societä Mediterranea wählte eine verhältnis¬ 
mässig günstige Strecke, die Linie Milano-Varese-Porto 
Oerisio, welche — 73 Kilometer lang — in ihrem ersten 
Teil fast eben, später mit 10 bis 12 per Mille und auf 
einer kurzen Strecke mit 20 per Mille Steigung verläuft. 
Die Rete Adriatica fasste das Programm schärfer 
auf. Sie wählte absichtlich zum Versuche eine Strecke, 
welche, was Steigungen, Kurven, Tunnels und Verkehr 
anbelangt, den schwierigsten Bedingungen Rechnung 
tragen sollte. Dem entsprach am besten die Valtelina- 
bahn. Sie ist 106 Kilometer lang, was etwa der Bahn-
	        
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