Nr. 23
Seile 179.
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Am 26. Juli .begann nun die Untersuchung mit dem
Verhör sämtlicher Offizianten des Baukomptoirs und so¬
gar der Wächter desselben; dann folgten die Meister
sämtlicher Gewerke, welche bei den Bauten beschäftigt
gewesen waren, und die Kalklieferanten bis auf mehrere
Meilen um die Stadt; auch musste der Magistrat in
jedem einzelnen Bürgerhause amtlich nachfragen lassen»
ob nicht Jemand etwas „in Ansehung des Stehlens und
Betrügens von Mangern“ anzeigen könne; ja selbst bei
der Parole wurde sämtlichen Militärpersonen die Frage
vorgelegt, ob niemand wisse, was Manger gestohlen?
Alle diese Vexationen ergaben ind.:s kein Resultat
und nichts für letzteren Gravierendes. Man sah sich also
genötigt, zu weiteren Massregoln zu schreiten; denn je
weniger die Untersuchung herausstellte, desto erzürnter
wurde der König und Mangers Angehörige und Freunde
waren schon darauf gefasst, dass er nach Spandau ab¬
geführt werden würde, wenn nicht der Tod des be¬
denklich erkrankten Königs ihn retten könnte.
Bei der Leidenschaftlichkeit, mit welcher gegen
Manger vorgegangen wurde, fürchtete man nämlich allge¬
mein eine Wiederholung des Vorganges mit den Kammer¬
gerichtsräten bei dem bekannten Müller Arnold’schen
Prozess, und die Krankheit des Königs trug nicht wenig
dazu bei, solche Befürchtungen sehr wahrscheinlich zu
machen. Ganz Potsdam (oder vielmehr die damalige
Insel Potsdorf) war in nicht gelinge Aufregung versetzt.
Doch waren seine Freunde und selbst der Prinz von
Preussen (nachmaliger König Friedrich Wilhelm II.),
sowie die sämtlichen Baugewerke von der Schuldlosigkeit
Mangers vollkommen überzeugt. Die Aufregung wurde
inzwischen noch dadurch gesteigert, dass anfangs August
ein anonymes Schreiben mit dem Post Zeichen „Baruth“
an den König einging, in welchem auseinandergesetzt
war, „dass alle Untersuchungen zu keinem Ergebnis
führen würden, weil keineswegs Manger allein, sondern
alle Lieferanten, die Finanz- und Kabinetsräte, welche
die Oberaufsicht über das Baukomptoir führten, kurz
alle und sämtliche mit diesen im Verkehre stehenden
Beamten etc. mitgestohlen hätten und eine Krähe der
anderen die Augen nicht aushacken würde.“ Dieses
Schreiben stiess dem Fasse den Boden aus. Es wurde
der Untersuchungs-Kommission mit dem Befehle über¬
schickt, auch diese Beschuldigung in den Kreis ihrer
Nachforschungen zu ziehen. Wie sich leicht ermessen
lässt, erfolgte nun eine in der Tat unerhörte Prozedur.
Alle Häuser, welche Manger gebaut hatte — und es
waren deren nicht wenige — wurden nachgemessen, die
Zahl der Steine berechnet, der Kalk überschlagen, mit
einem Wort bis in das kleinste Detail nachgeforscht, um
irgend einen Unterschleif herauszubringen, ein Verfahren,
welches allerdings geeignet war, mit der Zeit Beweise
gegen Manger ausfindig zu machen. Dennoch ergab die
Untersuchung gegen ihn nichts Gravierendes und der
König soll darob höchst erzürnt geäussert haben: „Wenn
die Kommissarien nichts über Mangers Stehlen finden,
würden sie samt Manger nach Spandau kommen!“
Indes war dieser nicht untätig geblieben und hatte
eine Verteidigungsschrift verfasst. Wir heben aus der¬
selben hier eine Stelle hervor, weniger wegen der archi¬
tektonischen als der rein menschlichen darin enthaltenen
Elemente. Es heisst nämlich in derselben: „Dieses Ver¬
fahren war an sich höchst betrüglich und überflüssig;
denn einmal musste man voraussehen, dass ein solcher
Ausmesser und Untersucher übernatürliche Kenntnisse
besitzen müsse, um im Geiste zu sehen, wie tief und
stark die Fundamentmauern oft in einer Tiefe von zwanzig
Fuss angelegt wären? Ueberdies war es auch hinlänglich
bekannt und sogar feststehend, dass zu keinem einzigen
Gebäude so viel Materialien verwendet werden, als au¬
geschafft und bezahlt werden. Dies läugnet Niemand.
Die Ursache dafür ist ebenso bekannt, nämlich das
Stehlen; denn es wird gestohlen von den Schiffern,
welche die Materialien anfahren, von den Ablagen, wo
sie ausgesetzt sind; während des Anfahrens vom Baue
selbst, und dies auf so verschiedene Weise und von so
verschiedenen Personen, dass es selbst Wächtern mit
Argusaugen nicht möglich sein kann, Alles zu entdecken.
Im Durchschnitt muss sogar immer ein Sechsteil ge¬
rechnet werden, welches gestohlen wird, und in manchen
Jahren beträgt der Bruch noch bei weitem mehr, be¬
sonders wenn späte Fröste in das Frühjahr fallen und
die eingebrannten Steine mürbe machen. Es können sich
also hier zuweilen nur zwei Dritteile der Materialien eines
aufgeführten Gebäudes vorfinden, weil sie dazu nicht
haben verwendet werden können. Allein man kann doch
unmöglich daraus schliessen, dass solche der Baumeister
müsse gestohlen haben, zumal wenn das Stehlen anderer
so offenbar und auffallend ist, dass sich jedermann da¬
von überzeugen kann, wie die Akten aus vielfältigen
Untersuchungen zur Genüge dokumentieren.“
Nach einem solchen, rein menschlichen und offen
abgelegten Bekenntnisse eines zugleich Sachverständigen
bleibt es keinem Zweifel unterworfen, dass sich im Laufe
der Untersuchung gegen Manger sicherlich hinreichende
Beweise gefunden haben würden, um ihn dermassen zu
verdächtigen, dass er zu einem längeren Aufenthalte
in Spandau verurteilt werden konnte.
Der am 17. August erfolgte Tod des grossen Königs
machte indes der ganzen Untersuchung ein Ende. Zwölf
Stunden nach demselben, mittags 2 Uhr, erschien der
Kommandant von Potsdam, General von Rohdich, im
Arrestlokal der Hauptwache des Regiments Prinz von
Preussen uud kündigte dem bereits vier Wochen inhaf¬
tierten Baumeister an, dass der König Friedrich Wilhelm II.
durch Kabinetsordre — es soll dies dessen erste schrift¬
liche gewesen sein — seine sofortige Entlassung aus der
Hauptwache befohlen, dass die bereits angefangenen
Treibmauern am neuen Palais nunmehr gar nicht gebaut,
ja, dass am folgenden Tage mit Demolierung der bereits
fertigen Fundamente derselben vorgegangen werden
sollte. Aber noch eine andere Genugtuung sollte dem
schuldlosen Manger zu teil werden.
Sobald die Baugewerke des Königs Befehl von seiner
Befreiung erfahren hatten, versammelten sie sich in ihrem
gewerkmässigen Schmucke gleichfalls vor der Hauptwache
und geleiteten ihren Altmeister im Triumph in seine Woh¬
nung zurück, wo er von Gattin und Angehörigen mit
Jubel empfangen wurde.
In dieser Weise endete die Angelegenheit des durch
das Berliner Tor bei Potsdam gefahrenen Wagens voll
Steine zu allseitiger Zufriedenheit und vollkommener
Genugtuung; Mangers Stellung wurde sogar eine noch
einflussreichere bei dem Könige Friedrich Wilhelm II.
und er blieb im vollen Besitz seines mühsam erworbenen
Grundstücks bis zu seinem nach rastloser Tätigkeit am
30. April 1790 erfolgten Tode. M. A.