Volltext: VIII. Jahrgang, 1903 (VIII. JG., 1903)

Nr. 2 
O B E RÖST E R R EI (J H1SCHE BAUZELTUNG. 
Seite 3. 
jeder, der in strengster Rechtlichkeit und Vertrauens¬ 
würdigkeit das wahre Heil des Erwerbslebens erblickt, 
kann nur mit aufrichtiger Trauer die Wirkungen von so 
verhängsvollen Wahlverwandtschaften verfolgen. 
Und die Wirkungen dieser Bündnisse zwischen Ver¬ 
käufern und Angestellten zum Nachteile der Verbraucher 
sind in der Tat traurig genug. Zunächst vergiften sie 
das Verhältnis zwischen Prinzipal und Angestellten. 
Dann schädigen sie das Geschäft entweder dadurch, dass 
bessere Qualitäten durch schlechtere verdrängt werden, 
oder dadurch, dass die Ware zu teuer gekauft wird. In 
der Regel aber auf beide Arten, denn wo die gesunde 
Konkurrenz ausgeschaltet wird, kauft der Verbraucher 
im allgemeinen zu schlechte und zu teuere Ware. Die 
ganze Branche, ja das wirtschaftliche Leben des Landes 
leidet unter solchen Machenschaften, weil jeder Antrieb 
zur Verbesserung oder Verbilligung der Ware da weg¬ 
fällt, wo die Erlangung der Aufträge nicht von Qualität 
und Preis, sondern von Trinkgeldern und Extraprovisionen 
abhängt. 
Wie vergiftend die Bestechung der Angestellten 
wirkt, mag noch an einigen — übrigens der Praxis ent¬ 
nommenen — Beispielen hier gezeigt werden: Eine 
chemische Fabrik, die alle Machenschaften verschmäht, 
welche das Tageslicht zu scheuen haben, erfindet eine 
neue, ihr ausgezeichnet scheinende Farbe zum Färben 
einer bestimmten Tuchsorte. An eine hervorragende 
Färberei, welche grossen Bedarf in derartigen Farben 
hat, wird eine Mustersendung gemacht. Da der Meister 
der Färberei von dem Konkurrenten der liefernden 
Firma bestochen ist, erklärt er die neue Farbe für total 
unbrauchbar. Die Firma beruhigt sich nicht mit dieser 
Entscheidung, sendet vielmehr einen Chemiker in die 
Färberei, um sich von dem Resultate selbst zu über¬ 
zeugen. In seiner Not wendet sich der bestochene 
Meister an die chemische Fabrik, welche er protegiert 
und erhält den Rat, dem Tuche einen bestimmten Stoff 
zuzusetzen, der die neue Farbe zerstören soll. Der 
Streich gelingt und der Chemiker überzeugt sich von 
der Wertlosigkeit der neuen Erfindung. 
Besehen wir uns nun die' Konsequenzen dieses un¬ 
redlichen Vorgehens: die chemische Fabrik gibt die 
Fabrikation des neuen Farbstoffes vielleicht auf, der ihr 
grossen Nutzen gebracht, der vielleicht die deutsche 
Exportziffer gehoben hätte. Die zurückgebliebene Firma 
behauptet das Feld; die Färberei, welche den bestochenen 
Meister angestellt hat, muss eine nie wiederkehrende 
Gelegenheit versäumen, eine Verbesserung ihres Fabrikates 
in die Wege zu leiten, welche ohne Zweifel ihren Umsatz 
und ihre Stellung in ihrer Branche gehoben hätte. Und 
alle diese Schädigungen treten nur ein, weil der An¬ 
gestellte einen erbärmlichen Vorteil in unredlicher Weise 
einheimsen will. 
Noch fluchwürdiger sind jene Fälle, in denen 
Menschenleben dadurch gefährdet oder vernichtet werden, 
dass minderwertige Materialien infolge von Bestechungen 
an Stelle von guten Qualitäten geliefert werden. Eine 
Stahlfirma veranlasst den Einkäufer einer kleineren 
Schiffswerft durch Geschenke dazu, eine schlechtere 
Stahlsorte zu hohem Preis für die Herstellung der Schiffs¬ 
wellen zu akzeptieren. Während eines Sturmes zerbricht 
dann die Schiffswelle und das Schiff geht mit Passagieren 
und Mannschaft unter. 
Der Direktor eines Hotels bestellt, durch Provision 
gefügig gemacht, den Personenaufzug bei einer Firma, 
die nicht genügende Erfahrung auf beregtem Gebiete 
besitzt. Die Folge davon ist, dass das Seil des Aufzuges 
nach einiger Zeit reisst, wobei Gäste des Hotels ver¬ 
unglücken. 
Man wende nicht ein, dass dies gesuchte Beispiele 
seien: solche Fälle kommen leider häufig genug vor, nur 
weiss man nur sehr selten, welche fluchwürdigen Ur¬ 
sachen das Unglück herbeigeführt haben. 
Die Frage drängt sich auf die Lippen, wie diesem 
System der Bestechung von Angestellten zu begegnen 
ist, das unser wirtschaftliches Leben schädigt und ver¬ 
giftet. Ein Universalrezept gibt es natürlich nicht. 
Wichtig ist vor allem, dass die Geschäftsinhaber die 
höchste Sorgfalt auf die spezielle Auswahl der Leute 
verwenden, die mit dem Einkauf betraut sind oder die 
entscheidenden Einfluss auf die Erteilung von Aufträgen 
haben. Nur charakterfeste Personen sollten an so ver¬ 
antwortungsvolle Posten gesetzt werden. Angestellte, 
die den Lebemann herauskehren, die an Sport, Spiel, 
Gelagen und Liebschaften zu viel Geschmack finden, die 
infolge von Schulden oder drückenden Familienverhält¬ 
nissen in Sorgen leben, sollte man nicht der Versuchung 
aussetzen, mit Vertretern und Reisenden zu verkehren, 
denen jedes Mittel recht ist, um Aufträge zu erlangen. 
Anderseits müssen aber auch Posten, an welchen Ver¬ 
führung droht, reichlich oder wenigstens auskömmlich 
dotiert werden. Denn häufig genug wird die Unredlich¬ 
keit dadurch förmlich grossgezogen, dass Einkäufer, 
denen die Sorge für die entscheidenden Interessen des 
Geschäftshauses übertragen werden, erbärmliche Gehälter 
beziehen. In solchen Fällen sind die verantwortlichen 
Instanzen mitschuldig an den Unredlichkeiten, zu denen 
sich die Angestellten erniedrigen lassen. Fr. Wort. 
Bauten in Amerika. 
Nachstehende interessante Neuigkeit sendet uns 
Herr Richard Liiders, Ingenieur und Patentanwalt in 
Görlitz zu: 
Im vorigen Jahre wurde es der Leitung der in den 
Vereinigten Staaten sehr beliebten technischen Schule*) 
in Boston nach Schluss des Schuljahres klar, dass nach 
der Zahl der Anmeldungen von Schülern, welche die 
Eintrittsprüfung bestanden hatten, im kommenden Schul¬ 
jahre die Lehrräume für die elektrotechnische Ab¬ 
teilung viel zu klein sein würden. Die Direktoren be¬ 
schlossen daher, ein neues Gebäude zu errichten, für das 
die Summe von 100.000 Pfund Sterling ausgesetzt wurde. 
Die Schwierigkeit war nun, einen Baumeister zu finden, 
der sich anheischig machte, das Gebäude während der 
Ferien vor Beginn des kommenden Schuljahres, also in 
in einem Zeitraum von nicht ganz drei Monaten aus¬ 
zuführen. In dem in deutschen Baukreisen als Erfinder 
des tragbaren Schwerkraft-Betonmischers bekannten 
Baumeisters Frank B. Gilbreth wurde der Gesuchte ge¬ 
funden. Der Vertrag wurde am 28. Juni unterzeichnet; 
als Endpunkt wurde der 15. September festgesetzt. Am 
2. August, das heisst 35 Tage nach Unterzeichnung des 
Vertrages, war das Gebäude unter Dach und Fach und 
viele Klassenzimmer für das Aufträgen des Putzes fertig. 
Die Schnelligkeit, mit der dieser Bau vor sich ging, ist 
ein Wunder zu nennen, wenn man bedenkt, dass 1300 
Pfähle zu rammen, eine Million Steine zu legen waren 
*) „Massachusetts Instituts of Pedmolozy.“
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.