Volltext: VII. Jahrgang, 1902 (VII. JG., 1902)

Nr. 12. 
OBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG. 
Seite 101. 
bezeichnet wurden, aufgehoben worden, so war doch 
dies kein Grund, das Bauwesen zu beleben. Schwer war 
die Lage der Hypothekenanstalten, der Sparcassen und 
anderer Anstalten, deren Lebensnerv das Geschäft in 
Bauwerten ist. Die unsicheren politischen Verhältnisse, 
der von interessierter Seite geschäftsmässig gezüchtete 
Nationalitätenstreit konnte auch in den Provinzen keine 
befriedigende Baulust zeitigen, so dass in den Landes¬ 
hauptstädten mit Ausnahme der Amts- und Militärbauten 
kaum von einer Privatbauthätigkeit die Rede war. Hat 
das Parlament den Bau der Wasserstrassen, die Eisen¬ 
bahnbauten bewältigt, so kann das Baugewerbe, das an 
diesen Zukunftsbauten nur theilweise interessiert ist und 
wofür auch das Geld erst geschaffen werden muss, keine 
Veranlassung zur Belebung der Privatbauthätigkeit finden. 
All das ist spurlos vorübergegangen und man hat sich 
auf die bescheidensten Ausführungen beschränken müssen. 
Die letzten Wochen des Jahres 1901 haben die Geschäfte 
doch einigermassen belebt, so dass eine leichte Besserung 
der allgemeinen wirtschaftlichen Lage zu bemerken war. 
Anderseits war der Capitalsbedarf für Handel und 
Industrie so gering, dass die Staatsbank sich veranlasst 
fand, den Zinsfuss herabzusetzen. 
Im allgemeinen lässt sich daher erwarten, dass sich 
in diesem Jahre die Bautliätigkeit besser gestalten werde. 
Selbstredend dürfen diese Voraussetzungen und Erwar¬ 
tungen nicht allzuhoch gespannt sein. Man wird sich mit 
wenigem bescheiden müssen. 
Der ausserordentlich milde Winter hat die Bau¬ 
arbeiten nicht behindert und so wurden z. B. in Wien 
und anderen Städten in Ausführung begriffene Miethäuser 
fertig gestellt, so dass die Bauzeit 1902 ganz ausnahms¬ 
weise schon im Jänner begann. 
In Wien sind die Anmeldungen für Neubauten bis¬ 
her noch gering. Wie wir jedoch von Baumeistern und 
Bauunternehmern erfahren, dürften gegen das Vorjahr 
eine bedeutende Zahl der sogenannten Umbau- und Bau¬ 
linienhäuser umgebaut werden. Dass namentlich die so¬ 
genannten Umbauhäuser (bei 1800) nicht sämmtlich um¬ 
gebaut wurden, war vorauszusehen. Es sind dies Ge¬ 
bäude mit drei und vier Geschossen in den belebtesten 
Strassen der alten Bezirke, deren Grundwert ausser¬ 
ordentlich gestiegen ist, so dass Grundkauf und Bau¬ 
kosten grosse Oapitalien erfordern und der Umbau 
sämmtlicher Gebäude eine Bewegung von Milliarden 
Kronen erfordert hätte. Vielleicht wird die Gesetzgebung 
Veranlassung nehmen, die demnächst ablaufende Baufrist 
zu verlängern. An Industriebauten ist nicht viel zu er¬ 
warten. Man hat keine Lust, zu so vielen wenig rentie¬ 
renden Fabriken noch neue zu bauen. Auch Staatsbauten 
sind nicht in Aussicht genommen, bis auf den für das 
nächste Jahr zu beginnenden Riesenbau des Kriegs¬ 
ministeriums, der dasselbe für Wien werden soll wie das 
grösste Gebäude Roms, der Vatican. Der Umbau des 
allgemeinen Krankenhauses, die Uebergabe der Landes¬ 
irrenanstalt und des Versorgungshauses dürfte erst 1904 
erfolgen, so dass für diese Zeit für den IX. Bezirk eine 
lebhafte Bauthätigkeit in Aussicht steht. 
In der Umgebung Wiens, in Mödling, lässt in diesem 
Jahre die Kriegsverwaltung eine technische Militär¬ 
akademie erbauen. Mödling wird durch dieses grosse 
Militärinstitut sehr gewinnen und dürften die die Anstalt 
begrenzenden Gründe bald verbaut sein. 
Unter den Landstädten dürften ferner Wr.-Neustadt, 
St. Pölten und Baden einige Bauthätigkeit entwickeln. 
Weniger Günstiges lässt sich von Budapest sagen. 
In Budapest wurde seit Beginn der Stadterweiterung 
1871 der Ausbau der Stadt in ganz unrichtige Bahnen 
gelenkt. Man erbaute Palastviertel, Strassen mit eleganten 
Miethäusern, Villen mit Vorgärten, schuf ein Parlament 
um 10 Millionen, errichtete glänzende Regierungspaläste, 
Theater, Museen, Hochschulen, doch dachte niemand in 
dem grossen Baujubel, bei den guten Geschäften daran, 
dass auch für die armen besitzlosen Classen, welche die 
Arbeitskraft der Stadt bilden, billige und gesunde Woh¬ 
nungen statt der Keller geschaffen werden müssten. 
Weder in dem vielköpfigen Gemeinderath, noch im Parla¬ 
mente und auf der Regierungsbank haben sich Antrag¬ 
steller erhoben, welche diese für eine Grosstadt so 
hochwichtige Angelegenheit zur Sprache gebracht und 
energische Abhilfe gefordert hätten. Jetzt herrscht nach 
einer 30jährigen ununterbrochenen, für die Baugewerbe 
glänzenden Bauthätigkeit selbstredend voraussichtlich 
für Jahre ein Baustillstand. Es wäre jetzt Zeit, da das 
Baugewerbe ganz darniederliegt, an den Bau von Stadt¬ 
vierteln mit billigen Wohnungen zu denken. Mögen die 
berufenen Kreise endlich dieser Pflicht gedenken und 
möge man nicht allzusehr auf die Gnade und Geduld der 
Vorsehung warten 1 
Prag ist eine malerische, von hervorragenden Bau¬ 
denkmälern reiche Stadt, lässt jedoch in vielen Stadt- 
theilen in gesundheitlicher Beziehung vieles zu wünschen 
übrig. So finden wir im alten Ghettoviertel und anderen 
Stadttheilen schrecklich vernachlässigte, baufällige Häuser, 
unzulängliche Pflasterung, Canalisation und Wasser-Ver¬ 
sorgung, kurz Verhältnisse, die als sanitätswidrig be¬ 
zeichnet werden müssen und einer Grosstadt unwürdig 
sind. Es sind dies jahrhundertelange Nachlässigkeiten 
die nur mit grossen Kosten im Laufe von Jahren be¬ 
seitigt werden können. Es ist das grosse Verdienst der 
jetzigen Stadtverwaltung, die ernstliche Absicht zu haben, 
mit den alten Baracken auf räumen zu wollen und an 
deren Stelle neue gesunde Stadtviertel zu erbauen. Man 
beschafft eben ein grösseres Anlehen für Assanierungs¬ 
zwecke und so ist wohl zu hoffen, dass bald für Prag 
eine neue Bauepoche geschaffen wird, was im Interesse 
der Bewohnerschaft und des Baugewerbes nur zu 
wünschen ist. 
Recht misslich ist die Lage der Bauindustrie in 
Lemberg. Noch immer ist ein Besser werden, eine Ab¬ 
nahme der grossen Erwerbslosigkeit nicht zu bemerken. 
Ein Bedürfnis nach neuen Bauten besteht nicht, ein 
Zuzug besserer Bewohner fehlt und auch Arbeiter können 
kaum auf Erwerb hoffen. 
In Graz, das so viele Ruhebedürftige anzieht, hat 
die Bauthätigkeit sich seit Jahren in bestimmten Grenzen 
bewegt und findet das Baugewerbe ausreichend Beschäfti¬ 
gung! umsomehr da auch in der Umgebung viele Land¬ 
häuser erbaut werden. 
Schliesslich wollen wir der oberösterreichischen 
Hauptstadt Linz a. D. gedenken, wo die Aussichten für 
dieses Jahr gleichfalls recht günstig sind. So sollen nach 
den bisherigen Anmeldungen eine Landes-Gendarmerie- 
kaserne, ein Saalbau und zahlreiche Wohnhäuser er¬ 
baut werden. 
Wir wollen hoffen, dass diese Bauprojecte noch 
durch recht zahlreiche neue Anmeldungen vermehrt 
werden und mögen alle jene, die es angeht, ihres Amtes 
walten, um die Bauthätigkeit zu beleben.
	        
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