Volltext: V. Jahrgang, 1900 (V. JG., 1900)

Nr. 15. 
unter allen Städten der Welt die meiste Anziehungskraft? 
Ob mit Recht, mag dahingestellt bleiben. 
Eine Epoche in den Märkten der Völker der Welt¬ 
ausstellungen hat die Columbus-Ausstellung in Chicago 
1893 geschaffen. Unbestritten war dort das Ausstellungs¬ 
wesen auf einem Höhepunkt angelangt. Es war dies die 
grösstangelegte und be^tbeschickte Weltausstellung. Ich 
hatte in meinen seinerzeitigen Berichten dargethan, dass 
nach dieser Höchstleistung ein sicherer Niedergang der 
sogenannten „Weltausstellungen“ mit Sicherheit zu er¬ 
warten sei. Der kurze Zeitraum von kaum sieben Jahren 
hat es zur Genüge erwiesen, dass es jetzt im grossen 
Ausstellungswesen nur mehr einen Niedergang gibt. 
Täuschen wir uns nicht mit der jetzigen Pariser 
Ausstellung. Uns wird sicher kein Tamtam, kein Trubel, 
keine Uebertreibungen der Pariser Tagespresse zur 
Ueberzeügung bringen, welche Wunder mit dieser 
Zwanzigjahrhundert-Feier geschaffen worden wären. Uns 
wird auch mit den grossen Ziffern der Bodepfläche, der 
Menge der Dampf- und Elektricitätswerke und den 
Quadratmetern von Strassenflächen und Baumgängen, 
die man den luftbedürftigen Einwohnern zu „Aus¬ 
stellungszwecken“ weggenommen, keine Bewunderung 
erzwungen werden können. Das bis zum Aeussersten 
getriebene Verbauen einer für so viele Bauten unzu¬ 
reichenden Bodenfläche ist in einer Ausstellung dieser 
Art als gemeingefährlich zu bezeichnen. In welchem 
Lande würde man ähnliches gestatten? Was würde dazu 
unsere Wiener Theater-Baucommission sagen? 
Die erste unter Napoleon III. abgehaltene Welt¬ 
ausstellung fand ausreichenden Raum in den elysäischen 
Feldern, in dem kürzlich-demolierten „Palais de l’industrie“. 
1878 wurde der Trocadero geschaffen und der Annex der 
vorigen Ausstellung hinzugezogen. Das lag alles nur auf 
einem Seineufer; doch mitten in der Stadt. Dann folgte 
die „grosse Ausstellung 1889“. Da gieng^man auch auf 
das andere Ufer hinüber, nahm Besitz vom oberen und 
unteren Quai d’Orsay, dem Garten der Invaliden und 
vom Militärübungsplatze, dem Marsfelde. So hat man eine 
grosse Ausstellung mitten in eine Stadt von 21/2 Millionen 
Einwohnern hineingestellt, wahrscheinlich bloss zu dem 
Zwecke, um den Besuch bequemer zu machen. 
Zur Feier des 20. Jahrhunderts wurde diese Strassen- 
confiscation ins Unendliche getrieben. Arme Pariser! 
Welch schwierige Verkehrsverhältnis&e wurden für euch 
mit dieser grossen Ausstellung geschaffen,, wie wird eure 
von der Sonne durchglühte Stadt noch durch den Zufluss 
kolossaler Feuerungsanlagen, den Menschenandräng auf 
kargen Räumen in hygienischer Beziehung verschlechtert. 
Es ist ja nicht zu läugnen, dass die Bewohner der Stadt 
sich trotzdem durch einen charakteristischen Chauvinis¬ 
mus, durch ein „auf den besten Erfolg hoffen“ aus¬ 
zeichnen. Besonders für das Ausstellungswesen hat man 
einen besonderen Enthusiasmus. Kann man sich da'doch 
in seinem ganzen Ruhme sehen und neuen ernten. Doch 
sollten die herrschenden Personen sich nicht von er¬ 
träumten Ausstellungserfolgen leiten lassen und ihres 
Amtes walten. 
Man hat von dem Brande des Wohlthätigkeitsmarktes, 
bei dem auch die Herzogin von Alengon zum Opfer fiel, 
keine Lehre gezogen. Oder gibt es für den Präfecten 
und den Ressortminister keine Baugesetze, oder macht 
man anlässlich der Inscenierung von „Weltausstellungen“ 
Ausnahmen? Wo in der Welt würde man es gestatten, 
inmitten einer Stadt mit mehr als 2,600.000 Einwohnern 
Seite 115. 
eine Ausstellung zu erbauen? Eine Welt des Scheines, 
aus Talmi-Baumaterialien, Holz, Gips und Farbe! Auch 
das Eisen in den grossen Hallen wird an der Gefährlich¬ 
keit der Bauten nichts ändern. — Welch unerklärliche 
Oberflächlichkeit der amtlichen Thätigkeit der Behörden, 
Derartiges zu gestatten! In hunderten von Vergnügungs¬ 
localen* Restaurants, Bud6n etc. wird gekocht, geraucht, 
und die kleinste Nachlässigkeit in. der Wartung des 
Feuers genügt, um einen Brand zu entfachen. Ein Ge¬ 
bäude ist auf das andere hinaufgepfropft. Kaum 20 Meter 
von der Umzäunung, den zahlreichen Treppen, welche 
die Strassen übersetzen, liegen bereits die Gebäude der 
Stadt. Welch entsetzliche Katastrophe wäre ein Brand 
in der Ausstellung, der in kurzer Zeit nicht nur die Aus¬ 
stellung an einem oder dem anderen Ufer der Seine ver¬ 
nichten müsste und die Flammen auch auf die Stadt mit 
ihrem Häusermeere übertragen würde. Wer wäre trotz 
der Lage an der Seine imstande, diesen Riesenbrand zu 
bemeistern? Doch wollen wir mit Gottes Hilfe hoffen, 
dass trotz dieser schrecklichen Nachlässigkeit der obersten 
Baubehörden die Ausstellung von einer Katastrophe ver¬ 
schont bleiben möge. Unverständlich bleibt es jedenfalls, 
warum man sich stets auf denselben Platz erpicht, als 
ob in Paris ausser den Umwallungen ebene Flächen 
nicht genug vorhanden wären, um dort Ausstellungen 
grossen Stils, durch welche die Stadt nicht bedroht 
würde, abzuhalten. Man ist auch bereits aus Platzmangel 
in das schöne Vincennes mit den Clässen: Transport¬ 
wesen etc. hinausgegangen. Warum nicht gleich mit der 
ganzen Ausstellung? Oder sollte die Eiffelthurmcompagnie 
noch eirimal einige Millionen verdienen? Auch in Chicago 
war die Austeilung 20 Kilometer von der Stadt entfernt. 
Doch hatte man da, amerikanische Verkehrsmittel. Die 
fehlen in Paris. Noch immer der vorsündfluthliche 
Omnibus/einige Serpolit und elektrische Linien! Das 
ganze Verkehrselend wie in Wien! 
Es ist eine durch Jahrzehnte gemachte Erfahrung, 
dass die beauftragten Architekten von Ausstellungsbauten 
stets gerne über das Ziel hinausschiessen und etwas 
Hervorragendes, wenn auch mit Kostenüberschreitung 
leisten wollen. Man hat eben Gelegenheit, seinen Namen 
populär zu machen. Jeder Bauerfinder will jedoch, dass 
sein Architekturwerk gesehen werde und an einem 
günstigen Orte möglichst freiliegend, fagadenfrei erbaut 
werden könne. Nun es werden sich so viele Baukünstler 
in ihren guten künstlerischen Absichten vollkommen ge¬ 
täuscht finden, denn man kann sagen, dass kaum zwei 
Fünftel der Ausstellungsbauten diesen legendarischen 
Kunstforderungen entsprechen. Es mag noch mit den 
offiziellen Hauptbauten an der Esplanade der Invaliden 
und am Marsfelde, den beiden Kunstpalästen angehen. 
Besonders die beiden letzteren, von denen einer als 
stabiles Bauwerk aufgeführt wurde, stehen vollkommen 
frei. Die Gebäude an beiden anderen.Plätzen, die den 
Industrien gewidmet sind, haben nur Prospecte, eine 
Fagade. Am schlechtesten sind die Architekten weg¬ 
gekommen, die am Trocadero und am Platze um den 
neugetünchten Eiffelthurm, (jetzt nur mehr 300 Meter¬ 
thurm genannt) in unglaublicher Zahl in bunter Wahl 
all die Sonderbauten aufgeführt haben, die nationalen 
Repräsentationszwecken oder als Unterhaltungslocale mit 
sehr zweifelhaften Vergnügungen dienen. Man findet oft 
da sehr schwer ein Eingangsthor, noch weniger eine 
Fagade. 
Es ist wohl die erste Frage, ob der sogenannte neue 
ÖBERÖSTERREICHISCHE BÄUZElTUNG.
	        
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