Volltext: V. Jahrgang, 1900 (V. JG., 1900)

Seite 42. 
ÖBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG. 
Nr. 6. 
wahrer Schönheit, viele sind nur Geschmacklosigkeiten 
in höherer Potenz. Um von dieser Verirrung frei zu 
bleiben, erkräftige der Künstler und Arbeiter seinen Sinn 
an den schönen Mustern der Antike, an den einfachen 
Motiven der gothischen Ornamentik besserer Zeit, und 
an der Natur selbst. Er misstraue stets den neugesehaffenen 
Formen, die durch das Auffallende bestechen, und prüfe 
deren Motive genau, ehe er nachahmt. Eine Form, eine 
Verzierung, deren Zweck man nicht erkennt, oder die 
nicht geeignet ist, ihn zu erfüllen, ist in der Regel fehler¬ 
haft und geschmacklos. Schnörkeleien, die sich nicht von 
dem Auge in ein gefälliges Ganzes zusammenfassen lassen, 
gehören auch dahin und andere mehr. Dergleichen Studien 
müssen unbedingt zu den Vorbereitungs-Wissenschaften 
gezählt werden. Wo der Sinn für das Schöne ein¬ 
mal Wurzel geschlagen hat, wird er nie wieder 
weichen, und alles wird deren Abglanz tragen, 
was von der Werkstätte aus geht. F, St. 
Zum Submissionswesen. 
Unter der Ueberschrift „Zwei glückliche Tage“ er¬ 
halten wir ein wunderhübsches Stimmungsbild zum Sub¬ 
missionswesen. Der Submittent ist, nota bene, wenn er 
nicht das Glück gehabt hat, mit seinem Offerte glatt 
durchzufallen, nur allzu oft eine tragikomische Figur. 
Stolz erhobenen Hauptes schreitet er vom Rathhause 
heim. Er hat gesiegt! Zum masslosen Erstaunen der 
Ooncurrenten, von welchen jeder meinte, tiefer wie er 
könne keiner mehr „sinken“, war er der Bescheidenste 
mit seiner Forderung. Er hat Selbstverleugnung geübt 
bis dort hinaus und so führt er die Braut heim, beziehungs¬ 
weise erhält die Lieferung. Ironisch lächelt der Besiegte. 
„Nicht wahr, Sie schauen sich die Submissions-Bedingungen 
fein an! Lieferungstermin ist dann und dann, so und so 
muss es ausfallen, genau nach Probe“, sagte der Beamte. 
Ja, Schnecken, denkt er im stillen. Es wird nichts so 
heiss gegessen, wie es gekocht wird; — kommt Zeit, 
kommt Rath. Wenigstens bin ich im Geschäfte d’rin. 
Laut sagt er: „Schon recht“ und empfiehlt sich im Hoch¬ 
gefühl seines Sieges. Das ist sein erster glücklicher 
Tag. Leider ist er nur zu bald vorüber. Eine endlose 
Reihe von Schwierigkeiten und Aerger folgt. Bald macht 
er die Entdeckung, um wie viel zu niedrig er sein Post¬ 
chen im einzelnen angesetzt hat, wenn er „streng be- 
dingungsmässig“ rechtzeitig liefern will. Zwar mit dem 
„streng bedingungsmässig“ ist er bald fertig. „Das Bau¬ 
amt wird schon ein Auge zudrücken.“ Die Voraussetzung 
hat er, wie schon oben angedeutet, in seinem Oalcul ein¬ 
gestellt, und in der Thafc, sie war lange genug berechtigt. 
Leider aber hat er nicht genügend beachtet, dass die 
„guten alten Sitten“ immer mehr schwinden, dass die 
Herren Gewerbetreibenden sich genöthigt gesehen haben, 
infolge der gegenseitigen Preisdrückerei immer weiter¬ 
gehende Anforderungen an die Nachsicht der abnehmenden 
Behörde zu stellen, dass dieser schliesslich die Geduld 
gerissen ist und sie sich seit einiger Zeit auf den Stand¬ 
punkt absoluter Unnachsichtigkeit im Punkte der Inne¬ 
haltung der Lieferungs-Bedingungen gestellt hat. Er weiss 
wohl, dass dieser und jener vor ihm Anstand gehabt hat, 
allein das war ein anderer. Ihm wird man so etwas schon 
nicht anthun. Mehr Kopfschmerzen macht es ihm, dass 
er den Termin der Lieferung nicht „genau“ innehalten 
kann. Doch auch hier hofft er auf Nachsicht. „Ja, 
Schnecken“, sagt diesesmal das Bauamt; es drängt und 
drängt; so beginnen die Sorgen; schwüler und schwüler 
wird es ihm, schwerer und schwerer, weitere Stundung 
zu erreichen. Die Freude an der Lieferung ist längst 
dahin, sein Schoppen schmeckt nicht mehr, er selbst wird 
kleiner und kleiner. Endlich kommt der kritische Tag, 
an dem die mit ganz ausserordentlicher etatsmässiger 
Verspätung fertiggestellte Ware abgenommen werden 
soll. Es ist der Tag seiner tiefsten Demüthigung. Vor 
ihm sind die Herren Berufsgenossen dagewesen. Sie haben 
seine „bedingungsmässigen“ Fabricate besichtigt und um 
jedes Aestchen seines „astfreien“ Holzes haben sie mit 
Blaustift höhnisch einen grossen Kringel gemalt, so dass 
er dem Herrn Baubeamten, selbst wenn dieser flugs ein 
Auge zudrücken wollte, nicht entgehen kann. Gleich 
Donnerwetter schallt die Kritik des Bauamtes an sein 
Ohr. Das zurückgewiesen, das zurückgewiesen, das 
zurückgewiesen, was soll er mit dem Kram anfangen? 
Er beschwert sich, rennt von Pontius zu Pilatus, bittet, 
schimpft; hilft alles nichts. Das Amt besteht auf seinem 
Scheine und ganz abgesehen davon, dass er noch von 
vornherein ohne Gewinn gearbeitet hat, hat er nun noch 
directen Schaden. Der glückliche Tag war ein Unglücks¬ 
tag. Er trägt kein Verlangen nach einem zweiten. 
Dieser zweite Tag kommt ihm allerdings; aber in anderer 
Weise. Wieder ist ein Tag der Submissions-Eröffnung. 
Wieder halber sich betheiligt. Diesmal aber ist er rühm¬ 
lich unterlegen und er freut sich dessen; ein anderer hat 
das Mindestgebot gethan, hat ebenso billig calculiert wie 
er beim vorigen Mal und geht seinerseits voll froher 
Hoffnungen davon. Er gönnt ihm den Triumph und ist 
glücklich. Seine Niederlage wird keine üblen Folgen 
haben wie sein „Sieg“ von damals. Wenn er nicht unter 
vernünftigen . Bedingungen arbeiten kann, dann, lieber 
gar nicht. 
Das Submissions wesen ist in der That eine der un¬ 
angenehmsten Schäden, unter denen das Gewerbe leidet. 
Doch können die Gewerbetreibenden nur unter sich 
Wandel schaffen. Wollten die Behörden bei Vergebung 
von Lieferungen an andere als an die Mindestfordernden 
den Zuschlag ertheilen, so würde ihnen alsbald Partei¬ 
lichkeit, wo nichts Schlimmeres zum Vorwurfe gemacht 
werden. Die Submitienden müssten sich untereinander 
einigen, unter ein gewisses vernünftiges und billiges 
Mindestgebot nicht herunter zu gehen. Geht dann doch 
einer darunter, so lasse man ihn in Gottes Namen gratis 
arbeiten und ihn vom Bauamt, das bei Abnahme in diesem 
Falle sicherlich mit aller Schärfe zu Werke gehen würde, 
auf die Finger klopfen. Eine derartige Vereinbarung ist 
von Ringbildung noch weit entfernt ; die Bildung eines 
Ringes zu unbilliger Preistreiberei ist schon um deswillen 
ausgeschlossen, da im Falle einer solchen die Behörde 
sich nicht genieren würde, Offerten auswärtiger Firmen 
zu berücksichtigen. 
Die „Holz-Industrie-Zeitung“, der wir dies entnehmen, 
bemerkt dazu: Das vorstehend Gesagte ist theoretisch 
sehr richtig, wird aber thatsächlich wenig oder gar keine 
Wirkung äussern, da immerfort bei den Offerenten 
mancherlei Umstände bewirken werden, dass verkehrte, 
beziehungsweise zu niedrige Offerten abgegeben werden. 
Unseres Erachtens muss unbedingt als Oorrectiv hinzu¬ 
treten, dass der Beamte auf unsinnige Offerten den Zu¬ 
schlag nicht ertheilt. Der Modus der Vergebung ist so 
einzurichten, dass der Verdacht der Begünstigung von 
selbst ausgeschlossen wird, und das kann nicht so 
schwer sein.
	        
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