Volltext: V. Jahrgang, 1900 (V. JG., 1900)

Nr. 20. 
OBERQSTERK.E1CHISGHE BAUZEITUNG. 
Seite 155. 
den Bau eines Grossstaates vor sich zu haben. Der 
Herrscher dieses Händchens, dessen Verwaltungskosten 
und Oivilliste von der Spielbank als Paehtschiiling bezahlt 
werden, wollte auch in diesem Baue zu Nutz und 
Frommen der Ausstellungsbesucher eine Spielbank 
etablieren — deshalb dieser unerhörte Bauaufwand! 
Leider machte diesem uneigennützigen Projecte der 
allmächtige Ausstellungsregent Picard ein Ende. Viel 
auszustellen ausser den verunglückten Spielern gab es 
da freilich nicht. Glücklicherweise hat der Fürst neben 
den drückenden Regierungsgeschäften hinlänglich Zeit 
zu grossen Reisen, zur Anlegung von Sammlungen aller 
Art. Die mit Fresken geschmückten Säle des Ober¬ 
geschosses boten ausreichenden Raum zur Aufstellung 
dieser in allen Welttheilen zusammengetragenen Objecte. 
Sehenswert sind die das prächtige Gebäude umsäumenden 
Gartenanlagen mit ihren seltenen Pflanzen, eine kleine 
Musterkarte des berühmten Parkes in Monaco. 
In jeder Richtung original ist der Holzbau Schwedens 
mit den bunten, wirkungsvollen Fagaden; zahlreiche 
Thürme und ein grosser Glockenthurm mit Glockenspiel 
gestalten das styllose Gebäude recht pittoresk. Der 
mittlere Kuppelsaal ist der hochentwickelten Tapisserie 
gewidmet wie der hochentwickelten Spitzenerzeugung. 
Interessant und ganz eigenartig ist das Mobilar im so¬ 
genannten königlichen Saale. Den Hintergrund bedeckt 
ein grosses Tafelbild mit der Ansicht des Schlosses in 
Stockholm, ein Werk des k. Prinzen Eugen. Bemerkens¬ 
wert sind zwei Dioramen, eine Winter- und Sommernacht 
im Norden. 
Der in der 1889 Ausstellung vielgenannte Pariser 
Architekt Forwige hat heuer wenig Bethätigung gefunden. 
Sein Werk ist bloss das Staatshaus Rumäniens, ein 
historisches Bauwerk aus römischer und byzantinischer 
Frühzeit zusammengetragen, ausschliesslich Motive von 
bestehenden Kloster- und Kirchenbauten vornehmlich 
von Horezu und Argesh. Das mit zahlreichen Kuppeln 
geschmückte Gebäude wird von einer 30 Meter hohen 
Kuppel mit reicher Vergoldung überragt, die von zwei 
niedrigen Glockenthürmen flankiert ist. Das Gebäude 
hat die rumänische Industrieausstellung aufgenommen. 
Gleichfalls in byzantinischem Style sind die Staatsbauten 
von Griechenland und Serbien ausgeführt. Der 
Bau Griechenlands, eine Compilation Athener Kirchen 
wurde nach den Plänen des Parisers L. Magne ausgeführt. 
Es ist ein von Eisensäulen getragener Hallenbau, dessen 
Wände mit rosenfarbenen Thonfliesen verkleidet sind. 
Die beiden grossen Portale, die Fagadenwände sind 
mit Fliesen von rosa Fond mit türkisfarbenen Linierungen 
(französische Fabrikate) geschmückt. An den Portikusen 
erheben sich Colonnaden mit Marmorsäulen. Erwähnens¬ 
wert ist, dass dieses farbenprächtige Gebäude vollkommen 
transportabel ist und nach der Ausstellung in Athen als 
Ausstellungshalle für die bildende Kunst verwendet 
werden wird. 
Den letzten Platz in der Seinefronte nimmt der Bau 
Serbiens ein. Das Gebäude stellt eine moderne 
serbische Kirche dar in jener typischen Form, wie sie 
der griechisch-orientalische Glaube in den Balkanländern 
aus den byzantinisch-muselmannischen Formen heraus 
entwickelt hat. Ein Bau mit vier Eck- und einer über¬ 
ragenden Mittelkuppel, mit vorgebauten Arkaden. An 
einen Centralsaal schliessen sich vier Nebenräume, von 
denen jeder eine Kuppeldecke besitzt. Das Innendecor 
schliesst sich alten Fresken an, deren technische und 
künstlerische Vollendung alle Anerkennung verdient. 
Die Säle dienen der Ausstellung von Indusrie-Erzeugnissen* 
namentlich von nationalen Webewaren. 
Wohl die meisten Besucher der Weltausstellung 
hatten kaum Gelegenheit, aussereuropäische Bauten zu 
sehen. Wie viele sind kaum jemals über die eigene 
Heimat hinausgekommen 1 Es ist das Verdienst der Ein¬ 
richtung von Weltausstellungen, durch Vorführung von 
Architekturwerken ferner Welttheile vieles zur Kenntnis 
der Baukunst überseeischer Völker beigetragen zu haben. 
Man versucht es, derartige ethnographische Darstellungen 
immer wahrscheinlicher zu machen und bietet in dieser 
Beziehung die jetzige Ausstellung eine Höchstleistung. 
Im Jahre 1889 war die Colonienausstellung auf einem 
bescheidenen Raume der Esplanade der Invaliden be¬ 
schränkt und gebürte Frankreichs Colonien der Löwen- 
antheil. Jetzt wählte man die steil abfallenden Abhänge 
des Trocaderohügels, der durch das Wasserwerk in zwei 
Hälften geschnitten wird, zur Etablierung der grossen 
Colonienausstellung. Leider ist der Platz für die zahl¬ 
reichen grossen Bauten zu gering, die Wege kaum für 
einen grossen Verkehr geeignet. Trotzdem macht diese 
exotische Stadt mit ihren wechselnden Bauformen, ihren 
vielfarbigen originellen Bewohnern einen unvergesslichen 
Eindruck, ähnlich einer Weltreise. Einen herrlichen 
Ueberblick gewinnt man auf diese vom riesigen Trocadero- 
palast überragte Zauberstadt vom Eiffelthurme und den 
Plätzen des Marsfeldes. 
Die Hälfte dieser parkierten Fläche ist den Colonien 
Frankreichs, der andere Theil rechts der Cascade der 
Colonien anderer Staaten bestimmt. 
Wir finden da die Colonien Frankreichs und lernen 
ihre Bewohner und deren Bauweise kennen. Freilich ist 
es da nicht ganz so genau wie dort weitab in Afrika 
und Asien — doch viel netter und reinlicher. Alles 
athmet hier die Luft des Orient und man kann sich 
tausende von Meilen von Paris weit glauben, besonders 
des Abends, da die elektrische Beleuchtung oft kaum 
Zeichen ihres Daseins gibt. 
Das reiche Frankreich, das für diese Ausstellung einige 
100 Millionen in die Wagschale warf, konnte sich und 
seinem Oolonienminister das Vergnügen bereiten, seine 
Colonienmacht in Paris vorzuführen. 
Im stillen Frieden stehen hier die Bauten von Tunis, 
Algier, Dahomey, Anam, Chochin, Madagasear 
u. s. w. Alles ist hier wirr durcheinander gebaut, der 
kleinste Raum zur Errichtung von Minarets, Kaffeehäusern^ 
öffentlichen Brunnen benützt. Alles schiebt sich hier 
ganz malerisch und phantastisch zusammen, die orienta¬ 
lischen Befestigungen, die Häuschen mit den Blend¬ 
fenstern und Kuppeln, die Moscheen mit ihren schlanken 
Minarets, die Bazare mit den schachernden heimischen 
Krämern in ihren malerischen Trachten. Interesse er¬ 
wecken die originalen, nachgebildeten Moscheen. Die 
eine ist die berühmte Moschee Sidi Makres in Tunis, die 
kein Europäer betreten darf. Der Araber, welcher die¬ 
selbe als Vorlage für die Pariser Ausstellung photo¬ 
graphierte, wurde von seinen fanatischen Nachbarn er¬ 
schlagen. Interessant ist auch die Nachbildung der so¬ 
genannten „Barbiermoschee“ in Ivairuan. Sie führt 
den Namen nach dem Barbier Abu-Zemaa, der einige 
Barthaare des Propheten sammelte, als dieser sich — 
das einzigemal — rasieren liess I Diese Haare werden in 
der Originalmoschee strengstens verwahrt, und sind auch 
selbstredend nicht nach Paris gebracht worden. Uebrigens
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.