Volltext: V. Jahrgang, 1900 (V. JG., 1900)

Seite 138. 
OBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG. 
Nr. 18. 
Interessen des Baumeisterstandes bei der Sitzung der 
Delegation in Wien zu vertreten. 
Weiters wurde beschlossen, die Sitzungen des ober¬ 
österreichischen Baume.ister-Vereines immer 
an einem Sonntage nachmittags abzuhalten und 
die Mitglieder zu zahlreichem Erscheinen aufzufordern. 
Mit Dankesworten von Seite des Vorsitzenden wurde 
dann die Sitzung geschlossen. 
Architektur in der Pariser Weltausstellung 
1900. 
Julius V. Buk. 
HI, 
Die nationalen Bauten. 
Einen sehr günstigen Platz in der Völkerstrasse hat 
man Grossbritannien angewiesen. Das Repräsentations- 
Gebäude dieses grössten und reichsten Staates der Welt 
mit seinem ungeheuren Colonienbesitze nimmt ungefähr 
als Eckgebäudc am Abstiege .zur unterem Allee die Mitte 
der Qualhochbauten ein. — Bekanntlich hat England alle 
historischen Bauweisen des Festlandes anglisiert, die 
Stilformen könnte man sagen speciell für England und 
die beiden anderen Königreiche adoptiert, jedoch mit be¬ 
sonderer Vorliebe die. Spitzbogenbauten gepflegt. Weniger 
gilt dies von den zumeist nur zu Privatbauten verwendeten 
Bauweisen romanischer Art und . der Renaissance. Bei¬ 
nahe unberücksichtigt ist das Barock, Rococo und der 
Kaiserstil geblieben. Spricht man auch von einer eng¬ 
lischen Secession, dem neuen englischen Stil, von den 
in den letzten Jahren so vielgenannten englischen Möbeln, 
so gilt dies doch nicht von der Architektur. Man wird 
in den neuesten Bauten Londons und Altenglands ver¬ 
gebens Motive der Secession suchen. Die* ganze Be¬ 
wegung in der „Moderne“ gilt eben nur der inneren 
Einrichtung des Hauses, die namentlich in den von uns 
„importierten und nachgemachten und nacherdachten“ 
englischen — jedoch sehr unbequemen Möbeln zum Aus¬ 
drucke gelangt. Eine reiche Wahl dieser nichts weniger 
als Comfort, sondern „Martermöbel“ überfluten die be¬ 
treffenden Gruppen der meisten Kationen. 
Das St-aatsgebäude Grossbrjtannienk ist daher auch 
wieder ein historischer Bau. In Chicago hatte man am 
Ufer des. Michigansees ein Gebäude im sogenannten 
Elisabethstil (XVI. Jahrhundert), einer Multiplication des 
Spitzbogenstils mit der Frührenaissance, erbaut. Obwohl 
die Prachtbauten auf den Landgütern des englischen 
Hochadels genug geeignete Vorlagen für den Pariser 
Ausstellungsbau gegeben hätten, wählte man doch wieder 
den Elisabethstil, der mehr odei\ weniger den Chicagoer 
Bau copiert. Das Gebäude in seiner bescheidenen Grösse 
entspricht einem Patricierhause einer Stadt Altenglands 
und macht einen ziemlich monotonen Eindruck. Die mit 
Giebeln abgeschlossenen Fagaden sind kahl. Bemerkens¬ 
wert sind nur die an der Seineterrasse gelegene Haupt- 
fagade, die drei bis an das Dach aufsteigenden Erker¬ 
risaliten, die jedes ornamentalen Schmuckes entbehren. 
Erheiternd wirkte die Baubeschreibung einer französischen 
Zeitschrift, in der die an beiden Ecken stilgemäss mächtig 
emporragenden runden Thonschornsteine als „zierliche 
Thürme“ (!) bezeichnet werden. Der stockhohe Bau 
wurde von englischen Bauleuten zumeist aus solidem 
Material mit der grössten Nettigkeit ausgeführt. Lobend 
muss die Innendecoration, die Raumdisposition hervor¬ 
gehoben werden. Das Gebäude ist in der Hauptsache 
kein Bau für Ausstellungszwecke, sondern soll dem 
Kronprinzen von Grossbritannien, dem Prinzen Albert, 
als Wohnhaus für seinen Pariser Aufenthalt dienen. Vor¬ 
läufig steht das vornehm eingerichtete Gebäude mit seinen 
Empfangs- und Wohnräumen dem allgemeinen Besuche 
täglich durch einige Stunden offen. So bildet dieses Haus 
nur ein Musterbild moderner englischer Möblierung und 
Decoration, der Teppichweberei und Glasmalerei. 
Diesem in seiner Fagaden entwicklung so einfachen 
Bau gegenüber gelangte zu einer imposanten Wirkung 
der von einem schön profHicrten Mittelthurme überragte, 
drei Geschosse hohe' Repräsentationsbau Belgiens. Es ist 
ein Prachtgebäude der alten flandrischen, niederlän¬ 
dischen Gothik, an denen Holland und Belgien so reich 
sind. Unter den zahlreichen Rathhäusern, die in diesem 
zierlichen Stile erbaut, trotzdem von mächtiger Wirkung 
sind, wählte man das Rathhaus von Andenarde. Nach 
dem italienischen Bau ist dies wohl die gelungenste Copie 
eines alten Gebäudes. Dieses Bijou der Spätgothik hat 
; eine. Arcgde als balkonartigen Vorbau. Ueber dem Mittel¬ 
portal erhebt sich als Fagadenrisalit bis zum Kranzgesimse 
dann freistehend ein 40 Meter hoher Thurm mit einem 
eisernen Standartenträger. Die Imitationen der feinen 
Steinhauerarbeiten an den Fagaden, an den feinmodel¬ 
lierten Giebelfenstern, Pilons und den beiden Fagaden- 
giebeln sind ausserordentlich gelungen und mit der 
grössten, dem, Originale entsprechender; Genauigkeit aus¬ 
geführt. Das Vestibüle, die grossen Räume der beiden 
Gpschosse bieten sehr, viel Sehenswertes alter und neuer 
vlämischer Kunst. So wird man die grossen Lichtbilder 
der bedeutendsten Bauten der grösseren Städte Belgiens 
mit Freude begrüssen. Eine wahre Baugeschichte dieser 
kunstfreundlichen Länder. Auch ist hier vieles aus den 
Museen und aus dem Privatbesitz aus dem Gebiete der 
Kunstindustrie aufgestapelt. ' Eine Reihe von stilgemäss 
decorierten Salons ist für Empfangsräume dek Landes¬ 
fürsten bestimmt. 
Untrer all den Similibauten, dem Stein- und Marmor- 
fagaden aus Talmimaterial, endlich ein biederer Holzbau 
— der auch nichts mehr als das scheinen und gelten 
will. Es ist wohl überflüssig, zu sagen, welche Wichtigkeit 
das Holz noch in vielen Staaten, namentlich in nordischen 
Ländern, als Baumaterial besitzt. Man sieht daher Holz¬ 
bauten, in denen eine gewisse Ursprünglichkeit des Be¬ 
sitzers oder Erbauers liegt, mit Vergnügen. Freilich ist 
die Nebeneinanderstellung des belgischen Baues, dieses 
steinernen Spitzenbaues, einer Höchstleistung der Stein¬ 
bildhauerei und dieses nachgedurkelten, stillosen, dein 
reinen praktischen Wohnzwecke dienenden Holzbaues 
auch kaum gutzuheissen. Oder wollte man durch zu 
grosse Gegensätze in der Nebeneinanderstellung über¬ 
raschen ? Dieser Repräsentationsbau Norwegens ist die 
Anordnung von drei aneinandergeschobenen bescheidenen 
Holzbauten, von denen .zwei stockhoch sind, das den 
Abschluss bildende zwei Geschosse mit zwei Dachreitern 
besitzt. Das Innere enthält ein Museum norwegischer 
Forstwirtschaft, Fischerei und Ornithologie, ein Modell 
und Ausrüstungsgegenstände des Schiffes „Fram“, auf 
dem der vielgenannte Dr. Nansen seine Nordpolfahrt 
durchgerungen hat. 
Vielbesucht und namentlich von den Franzosen viel¬ 
bewundert ist das deutsche Reichshaus. Das reich¬ 
profilierte Gebäude zählt zu den schönsten und sehens¬ 
wertesten der Völkerstrasse. Es erinnert lebhaft an den
	        
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