Volltext: IX. Jahrgang, 1904 (IX. JG., 1904)

Nr. 6. 
Oberösterreichische Bauzeitung 
Seite 45. 
Geschichte der Grundsteinlegung eines 
Gebäudes. 
Die Geschichte der Grundsteinlegung eines Gebäudes, 
die Sitte, die Erinnerung an die Gründung eines Gebäudes 
zu erhalten und ihr gleichsam einen geweihten Charakter 
zu geben, reicht schon weit in das Altertum hinauf. 
Asien versieht uns mit nur wenigen direkten Be¬ 
richten hinsichtlich der Weihung des Grundsteins; aber 
gelehrte Archäologen, welche Chaldäa und Assyrien 
durchforscht haben, haben mehrere kostbare Keil-In¬ 
schriften, die sie zu Babylon, Ninive und anderswo ge¬ 
funden haben, abgeschrieben. Aus der frühesten Zeit 
wird des Grundsteins als desjenigen erwähnt, der eine 
der Ecken des Gebäudes einnimmt. Diese Lage, aus der 
Urzeit asiatischer Zivilisation, wird angedeutet in einer 
alten babylonischen Legende, die von Bero'sius angeführt 
wird, und die einem mythischen Könige namens Xisuthus 
die Vorbereitung der geweihten Tafeln, welche er noch 
vor der Sintflut in der Ecke des Tempels von Sippara, 
dem Sepharvaim der heiligen Schrift, niederlegte, zu¬ 
schreibt. Eine Inschrift des Königs Nabonimtouk, die 
zu Mugheir gefunden ist, erzählt, wie er, nachdem die 
anstürmenden Gewässer alles überflutet und den Tempel 
zur Ruine gemacht hatten, den Eckstein gefunden habe, 
der vergeblich von seinen königlichen Vorgängern ge¬ 
sucht worden wäre. Diese und andere Nachrichten, 
welche hier herangezogen werden könnten, bestätigen 
die beim Tempelbau waltende Sitte, dem Grundstein 
stets diese Lage in der Ecke des Gebäudes zu geben. 
Auf einer Inschrift aus Larsam sagt Nabuchanosor: 
„Ich habe den Grundstein in die tiefsten Tiefen der 
weiten Erde gelegt^, indem er hinzufügt, dass er die 
näheren Umstände auf Walzen, die mit Bitumen und 
Ziegelmasse bedeckt wurden, niedergeschrieben habe. 
Der König Sargon der heiligen Schrift, welcher seinen 
Palast in der Stadt erbaute, die er nicht weit von Ninive 
vorfand und die jetzt Khorsabad heisst, sagt in einer 
Inschrift: „Ich habe auf Tafeln von Gold, Silber, Antimon, 
Kupfer und Blei den Ruhm meines Namens nieder¬ 
geschrieben und sie in die Fundamente gelegt.“ 
Gehen wir von Asien nach Aegypten, einem Lande, 
dessen Zivilisation weit älter ist, so finden wir wieder 
die Gründung der Tempel in Verbindung stehen mit den 
Königen; aber die so oft beschriebenen Ruinen haben 
keinem Reisenden ähnliche Dokumente geliefert, woran 
jedoch wahrscheinlich nur die Art der dort vorgenom¬ 
menen Ausgrabungen, die eigentlich weiter nichts als ein 
Abschrapen des seit Jahrhunderten darauf lagernden 
Sandes sind, schuld ist. Nach der Eroberung des Landes 
durch Alexander den Grossen und unter seinen Nach¬ 
folgern, welche über Aegypten herrschten, wurde die 
alte Sitte wieder gepflegt. Dafür liefert uns den Beweis 
eine merkwürdige in den Ruinen von Canopus gefundene 
Inschrift. Als der Pascha Mehemet Ali im Lande herrschte 
und den alten Kanal zwischen Alexandria und dem Nil 
ausräumen liess, fanden im Jahre 1818 Arbeiter unter 
den Ruinen eines Hauses in dem Fundament zwischen 
zwei glasierte Ziegelsteine gestellt eine goldene Platte, 
etwa 14 Zentimeter lang, 4*5 Zentimeter breit, worauf 
mit einem Meissei eine griechische Inschrift hergestellt 
war, welche berichtete, wie Ptolemäus, Sohn des Ptole- 
mäus und der Arsinoe, der Osiris einen Tempel geweiht 
hätte. Es war dies derselbe Ptolemäus, welcher die von 
Kambyses fortgeschleppten Gottheiten wieder in ihre 
Tempel zurückgebracht hatte. 
In Griechenland wurden die Fundamente jedes 
einigermassen wichtigen Bauwerkes mit religiöser Feier¬ 
lichkeit gelegt. Pausanias, Buch 4, Kapitel 42, erzählt 
in seiner „Reise nach Attika“ bei Beschreibung der 
Denkmäler von Megara, wie nahe am Heiligtum der 
Hausgottheiten ein grosser Stein gezeigt wurde, auf 
welchem eine Inschrift konstatierte, dass Apollo die 
Gründung der Mauern geleitet hätte. Die Hausgottheiten 
wurden, wie wir sehen, angerufen, wenn ein Gebäude 
begonnen wurde; Hera (Juno) hatte den Beinamen 
Prodomia, da sie eine von diesen Gottheiten war. 
In Etrurien finden wir die Gründung der Gebäude 
ebenfalls begleitet von religiösen Zeremonien. Vitruv 
erwähnt bei Erklärung des bei Gebäudegründungen 
üblichen Verfahrens keiner besonderen Zeremonie, aber 
die Römer sowohl wie die Griechen opferten bei solchen 
Gelegenheiten, wie wir wissen, der Juno, der sie eben¬ 
falls den Beinamen Prodomia gaben, da die Gründung 
der Gebäude unter ihrem Schutze stand. 
Hundert Jahre nach Vitruv beschreibt Tacitus in 
seinen „Historise“, indem er von der Restaurierung des 
Tempels des Jupiter Cäpitolinus in Rom spricht, die 
religiösen Zeremonien, welche die Grundsteinlegung be¬ 
gleiteten, sehr ausführlich; so zählt er die mit dem 
Grundstein verlegten Gegenstände auf, erwähnt die 
Gegenwart von vestalischen Jungfrauen, von Knaben 
und Mädchen, erzählt wie der Prätor und der Ober¬ 
priester die Seile berührten, an denen der Grundstein 
aufgehängt war, wie eventuell die Behörden, die Senatoren 
und das Volk voll Eifer und Freude begannen, den Block, 
der sehr gross war, nach seinem ihm bestimmten Platze 
zu bewegen, wie dieselben auch nicht versäumten, goldene 
und silberne Münzen in den Grundstein zu legen, zu¬ 
sammen mit anderen Metallstücken, die nie den Schmelz¬ 
tiegel gesehen hatten. 
Diese alte Sitte, welche der Osten uns übermittelt 
hatte und welche durch das ganze Heidentum hindurch 
verbreitet war, erhielt eine analoge Anwendung, als seit 
der Regierung Konstantins die christliche Religion die 
Freiheit erhielt, ihre Kirchen zu errichten. Da diese Ge¬ 
wohnheit fürder durch Christus eigene Worte gestützt 
wurde, indem er Petrus als den Grundstein bezeichnet 
hatte, auf welchem er seine Kirche bauen wollte — eine 
Anspielung auf die alte Sitte — gewann sie noch mehr 
an Bedeutung. Von dieser Zeit an wurde nicht eine 
Basilika, ein Betsaal errichtet, ohne dass die hergebrachte 
Weihe des Grundsteines erfolgte, meist in der Weise, 
dass das Zeichen des Kreuzes auf eine Seite einge¬ 
schnitten wurde. 
Die frühen Zeiten des Christentums geben indessen 
keine weitere Nachricht von der Grundsteinlegung, ob¬ 
gleich drei grosse Kathedralen und anderen Religions¬ 
zwecken dienende Gebäude errichtet wurden. Dagegen 
hat das Mittelalter uns höchst vollständige und ausführ¬ 
liche Schriftmale hinterlassen. Diese Schriftmale sind 
dreifacher Art, einmal die Berichte der Chronisten und 
Schriftsteller, die Gedenkinschriften in der Kirche und 
drittens die Grundsteine selbst. 
Derjenige Bericht, der vielleicht die genauesten 
Details in dieser Hinsicht gibt, ist die Geschichte der 
Abtei von St. Denis von Abt Suger und Michael 
Felibien in seiner Geschichte des Klosters. Der Abt 
Suger, welcher die von Pipin und Karl dem Grossen
	        
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