Volltext: IX. Jahrgang, 1904 (IX. JG., 1904)

Nr. 19. 
Schnellverkehres das Produkt zielbewusster Zusammen¬ 
arbeit mannigfacher Faktoren. Nur durch das prompte 
Ineinandergreifen zahlreicher sichtbarer und unsichtbarer 
Mechanismen war die gewaltige Steigerung der Reise¬ 
geschwindigkeit unter gleichzeitiger Wahrung der Sicher¬ 
heit zu erreichen und dauernd auszunutzen. 
Für uns Deutsche haben aus unserer Vorzeit die 
Romfahrten der Kaiser ein besonderes Interesse. Kaiser 
Heinrich VII. entwickelte auf seinem Römerzuge (1310 
bis 1313) eine durchschnittliche Marschgeschwindigkeit 
von 20 bis 25 Kilometer täglich. Friedrich Barbarossa, 
der ja bekanntlich viele Reisen innerhalb und ausser¬ 
halb Deutschlands unternahm, hat gelegentlich seiner 
Reisen Tagesleistungen von 45 bis 60 Kilometer voll¬ 
bracht. Bei seinen Alpenübergängen erreichte er in der 
Richtung nach Italien hin Geschwindigkeiten bis zu 
28 Kilometer und bei der Rückreise bis zu 33 Kilometer 
im Tage. 
Diesen geringen Leistungen gegenüber, bei denen 
die schlechte Beschaffenheit der Wege und die Rauheit 
des Klimas wesentlich ins Gewicht fallen, setzen nach¬ 
stehende historische Ritte, durch ihre Rekorde, um einen 
modernen Ausdruck zu gebrauchen, in Erstaunen. So 
ritt Hannibal nach der Schlacht bei Zama in zwei Tagen 
und zwei Nächten vom Schlachtfelde nach der 3000 Stadien 
= 562*5 Kilometer entfernten Stadt Adrumetum, was 
einer Geschwindigkeit von im Mittel 1P72 Kilometer in 
der Stunde oder 3-25 Meter in der Sekunde entspricht. 
Mithridates der Grosse, König von Pontue, ritt in einem 
Tage 187-5 Kilometer. Berühmt ist auch der Ritt König 
Karls XII. von Schweden im Jahre 1714 von Demotika 
bei Adrianopel durch Ungarn, Oesterreich, Bayern, 
Württemberg, die Pfalz, Westfalen, Mecklenburg, bis 
Stralsund. Die in 16 Tagen durcheilte Strecke beträgt 
2175 Kilometer; es wurden also im Mittel in je 24 Stunden 
136 Kilometer zurückgelegt. Bei dem im Jahre 1892 von 
deutschen und österreichischen Offizieren unternommenen 
Fernritt Berlin—Wien wurde die etwa 600 Kilometer 
lange Strecke von dem Sieger, Oberleutnant Graf Starhem¬ 
berg, iri 71 Stunden und 42 Minuten zurückgelegt, was 
eine mittlere Geschwindigkeit von 8*37 Kilometern in der 
Stunde oder 2-325 Meter in der Sekunde ergibt; hier 
liegt es nahe, darauf hinzuweisen, dass bei der Kavallerie 
(Belastung des Pferdes durch den Reiter: 60 bis 80 Kilo¬ 
gramm, ausserdem 46 Kilogramm) ein Tagesmarsch zu 
22 bis 33 Kilometer gerechnet wird und ein Gewalt¬ 
marsch zu 50 bis 60 Kilometer. Die Kavallerie übertrifft 
das Fussvolk bei Zurücklegung kürzerer Strecken und 
bei Gewaltmärschen auf einige Tage. Bei längerer Dauer 
aber widersteht das Pferd weniger den erschöpfenden 
äusseren Einflüssen, so dass die Ausdauer der Infanterie 
die Schnelligkeit der Reiterei wieder ersetzt. Die deutsche 
Infanterie legt nach Olshausen im Maximum bei acht¬ 
stündigem Marsche 30 bis 35 Kilometer im Tage zurück. 
Im Durchschnitt wird nicht mehr zurückgelegt als 
22-5 Kilometer pro Tag. Bei besonders guter Verpflegung 
sollen 30 bis 33-75 Kilometer pro Tag marschiert werden. 
Kehren wir nunmehr zu den Reisegeschwindigkeiten 
zurück, so war man hinsichtlich der an sie zu stellenden 
Anforderungen in früheren Jahrhunderten ausserordentlich 
bescheiden, ja es scheint fast, als sei man im Vergleich 
zu den Römerfahrten der deutschen Kaiser um ein Er¬ 
hebliches bescheidener geworden. So gebrauchte im Jahre 
1705 der Prinz von Dänemark, als er den späteren Kaiser 
Karl VI. in Windsor besuchte, zur Zurücklegung einer 
Seite 147. 
vor dieser Stadt belegenen Strecke von 141/2 Kilometer 
einen Zeitaufwand von 14 Stunden; der Chronist fügt 
hinzu, dass „die lange Reise umsomehr überraschen 
müsse, als Se. königliche Hoheit nur dann anhielten, 
wenn der Wagen umgeworfen wurde oder stecken blieb“. 
Eine wesentliche Förderung der Reisegeschwindigkeit 
geschah durch John Palmer, dem England die Einführung 
der Mail coaches verdankt. Das erste dieser neuen Ver¬ 
kehrsmittel begann seine Tätigkeit am 8. August 1784 
zwischen London und Bristol. Die Schnelligkeit wurde 
hiedurch von 5'6 Kilometer bis auf 16 Kilometer in der 
Stunde erhöht. Nach Olshausen wird jetzt für Postwagen 
auf der Landstrasse eine mittlere Geschwindigkeit von 
8 Kilometer pro Stunde gerechnet. 
Wir haben bereits oben kurz erwähnt, dass Stephen- 
son schon bei der ersten Eröffnungsfahrt der Eisenbahn 
Stockton—Darlington eine erstaunliche Geschwindigkeit 
erzielt hat. Wir begegnen dieser Tatsache bei den 
heutigen Versuchen mit den elektrischen Schnellbahnen, 
dessen voller Erfolg nicht lange auf sich warten 
lassen dürfte. 
Der Meistertitel. 
Ueber dieses Kapitel schreibt das „Schlesische Ge¬ 
werbeblatt“ : 
Man hört oft die Frage: 
Muss ein Handwerker die Meisterprüfung 
ablegen, um sich selbständig zu machen? 
oder (z. B.): 
Darf der „So und so“ sich Schloss er meist er 
nennen? 
Eine Klärung dieser Fragen scheint vor allem 
wichtig, da sowohl schriftlich wie mündlich tagtäglich 
um Auskunft hierüber gebeten wird. 
Was die erste Frage betrifft, so sieht die Gewerbe¬ 
ordnung keine Beschränkung in dieser Hinsicht vor; es 
kann sich also ein Geselle, z. B. ein Schlossergeselle, 
selbständig machen, auch ohne die Meisterprüfung abzu¬ 
legen. Aber wohlgemerkt, mit der Selbständigkeit wird 
er noch lange kein Schlossermeister, er bleibt „Schlosser“ 
und hat nicht das Recht, sich „Schlossermeister“ zu 
nennen. Nun ist vielleicht mancher da, der sagt, 
der Titel „ Schlosser meister“ hat für mich nicht 
soviel Wert, dass ich mich erst einer Prüfung hiezu 
unterziehe. In einigen Jahren aber werden diejenigen, 
die so sagen, den Wert einer Meisterprüfung wohl zu 
schätzen wissen. 
Von seiten der Handwerkskammern wird alles ge¬ 
schehen, um dem Meistertitel wieder als Ehrentitel Gel¬ 
tung zu verschaffen und dahin wird heute schon gestrebt, 
dass behördlicherseits für die Zukunft bei Arbeitsver¬ 
gebungen, Lieferungen u. s. w. in erster Linie diejenigen 
Berücksichtigung finden, die ihre Meisterprüfung abgelegt 
und damit den Meistertitel erworben haben. Vor allen 
Dingen aber wird sich das Publikum bei Bestellung von 
Arbeiten an diejenigen selbständigen Handwerker wenden, 
von denen es die Gewissheit hat, dass die Betreffenden 
etwas Tüchtiges in ihrem Handwerke leisten und dies 
durch Ablegung der Meisterprüfung bewiesen haben. 
Durch die Meisterprüfung soll ja doch, wie die Ge¬ 
werbeordnung sagt, der Prüfling dartun, dass er die Be¬ 
fähigung zur selbständigen iVusführung und Kosten¬ 
berechnung der gewöhnlichen Arbeiten des Gewerbes 
sowie der zu dein selbständigen Betriebe desselben sonst 
Oberösterreichische Bauzeitung.
	        
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