Volltext: IX. Jahrgang, 1904 (IX. JG., 1904)

Nr. 18. 
Oberösterreichische Bauzeitung 
Seite 139. 
Es hat sich durch Einführung der ländlichen und herr¬ 
schaftlichen Einzelhäuser ein vollständig neues und über¬ 
aus dankbares Gebiet für den Architekten erschlossen, 
welches in seiner Vielseitigkeit der Bauaufgabe, wie der 
Betätigung malerischen Empfindens von keiner anderen 
Hausform erreicht wird. Aber es ist nicht nur das frei¬ 
stehende Familienhaus, das Einzelhaus, wie wir es kurz 
hier nennen wollen, sondern das Einfamilienhaus über¬ 
haupt in all seinen verschiedenen Phasen, das niedere 
Reihenhaus der Vorstadt oder das mehrgeschossige der 
Hochbauzone, die uns sehr dankbare Architekturaufgaben 
bieten und gegenüber dem ewigen Einerlei der Miets¬ 
kaserne Gelegenheit geben, die Städtebilder, auch der 
Hochbauzone reizvoller und malerischer zu gestalten, 
ganz abgesehen von dem idealen Vorteile für das Wohn- 
wesen überhaupt. 
Der Techniker kann es daher mit Freuden begrüssen, 
wenn sich das Verständnis für das Familienhaus in 
seinen verschiedenen Formen mehr zu regen beginnt, er 
muss aber nicht nur den hieraus entstehenden Anforde¬ 
rungen gut gerüstet entgegentreten, sondern auch dazu 
beitragen, seine Einführung zu verallgemeinern. 
In unserer Landeshauptstadt ist leider das Interesse 
für das Familienhaus noch nicht besonders gross. Das¬ 
selbe zu wecken und zu führen ist Pflicht eines jeden 
denkenden Technikers, der es ernst mit der Entwicklung 
unserer schönen Linzerstadt nimmt. 
Wohl selten findet man so alle Vorbedingungen zur 
Errichtung von Familienhaus viert ein vorhanden wie hier 
in Linz und so hoffe ich ganz bestimmt, durch die vor¬ 
angehenden wenigen Worte eine Anregung in dieser 
wichtigen Frage gegeben zu haben. 
Als Beispiel, wie zielbewusst München die Errichtung 
von Familienhausvierteln betreibt, gestatte ich mir hier 
noch einige Worte über die Exter sehe Villenkolonie in 
Pasing bei München zu sagen; dieselben sind der 
„Deutschen Bauzeitnng“ entnommen und lauten: Von 
den zahlreichen Villenkolonien, die im Laufe des letzten 
Jahrzehnts um München entstanden sind, ist es namentlich 
die Exter’sche Villenkolonie in Pasing, deren Entwicklung 
sich einer ungewöhnlichen Blüte zu erfreuen hatte. Diese 
hervorragende Entwicklung ist einerseits zurückzuführen 
auf die günstige Lage der Kolonie, anderseits auf die 
wirtschaftlich geschickte Behandlung aller ihrer mate¬ 
riellen Angelegenheiten. Die Villenkolonie in Pasing zer¬ 
fällt in zwei Teile: in die I. Villenkolonie, die im Herbste 
des Jahres 1892 im ungefähren Flächenausmass von 
146.000 Quadratmeter begründet wurde und in die im 
Jänner des Jahres 1897 begründete IL Villenkolonie, 
welcher eine nahezu fünffache Fläche zugewiesen wurde, 
und die für ungefähr 650 Häuser mit etwa 4000 Ein¬ 
wohnern berechnet ist. 
Zum Unterschiede von der Kolonie Nymphenburg- 
Gern, welche auf der wirtschaftlichen Grundlage ent¬ 
wickelt ist, die eine intensivere Ausnützung des Bodens 
durch Zulassung des Einfamilienhauses auch als Reihen¬ 
haus erstrebt, um dadurch, unbeschadet der Gartenpflege 
das Wohnen nach Möglichkeit zu verbilligen, ist das frei 
im Garten stehende Einfamilienhaus das Grundprinzip, 
welches die Pasinger Kolonien beherrscht. Während nun 
aber in der I. Kolonie die geradlinige Strasse und der 
rechteckige Baublock von etwa 90 Meter Tiefe vor¬ 
herrschen, wird man nicht ohne Interesse den grossen 
Fortschritt begrüssen, welchen die II. Kolonie in ihrem 
Bebauungspläne zeigt. Der Grundsatz der geschwungenen 
und der Diagonalstrassen ist hier in einer so zielsicheren 
Weise zum Ausdruck gebracht, dass die Kolonie nicht 
nur hinsichtlich des Verkehres wohl bestellt ist, sondern 
auch nach ihrem dereinstigen völligen Ausbau ein an¬ 
ziehendes landschaftliches Bild darbieten dürfte. 
Aber auch nach einer anderen Seite wird den ver¬ 
änderten Verhältnissen und dem im Laufe der Ent¬ 
wicklung des Wohnens im Einfamilienhause erhöhten 
Ansprüchen Rechnung getragen. Während bei der 
Gründung der I. Kolonie nur Brunnen, wasserdichte Ab¬ 
wassergruben geplant waren und erst später Wasser¬ 
leitung und Kanalisation eingeführt wurden, wurden für 
die neue Kolonie von Anfang an Wasserleitung, Schwemm¬ 
kanalisation und elektrische Beleuchtung vorgesehen. 
Ausserdem werden sämtliche Strassen als Alleestrassen 
angepflanzt. Gestützt auf die Erfahrungen, welche in der 
I. Kolonie mit der Obstbaumzucht gemacht wurden, soll 
in der II. Kolonie die Anpflanzung der Strassen mit 
Obstbäumen, Kirschen-, Aepfel- und Birnbäumen, vor¬ 
genommen werden, und auch die einzelnen Gärten mit 
Obstbäumen und Obststräuchern bepflanzt werden. Da¬ 
durch will man erreichen, dass einmal die Freude an der 
Natur mehr Anregung erhält, dass ferner dem Haus¬ 
halte billige und zuträgliche Nahrungsmittel zugeführt 
werden, und dass endlich der Gemeinde eine, wenn auch 
vielleicht nur bescheidene Einnahmequelle entsteht. 
Es wurde schon berührt, dass es das im Garten 
freistehende Einfamilienhaus ist, welches hier fast aus¬ 
schliesslich seine Pflege findet. Gegenüber anderen Mut- 
massungen glauben die Besitzer der Kolonie feststellen 
zu können, dass die freistehenden Wohnhäuser selbst in 
dem rauhen Klima der bayerischen Hochebene um 
München wohnlich und warm sind. 
Errichtet wurden in dem Zeitraum vom Frühjahr 1893 
bis jetzt etwa 300 Anwesen, mit vereinzelten Ausnahmen 
fast sämtlich auf Bestellung. 
Verkehrsgeschwindigkeiten zu Lande 
einst und jetzt. 
Von Regierungsrat M. G e i t e 1. 
I. 
Periculum privatum utilitas publica! so lautete die 
Devise, welche die Unternehmer der ersten Personen¬ 
eisenbahn, der Stockton-Darlington Railway, ihrem Unter¬ 
nehmen gaben und die während der Einweihungsfeier am 
15. Oktober 1825 an dem mit der Musik besetzten Wagen 
des Eröffnungszuges prangte. 
Dieser Wahlspruch gestattet eine doppelte Auslegung: 
einmal in dem Sinne, dass das von den Unternehmern 
übernommene Risiko im öffentlichen Interesse liege, dem 
Gemeinwohle diene, dann aber auch in dem Sinne, dass 
die Gefahr, welcher die der ersten Eisenbahn sich anver¬ 
trauenden Personen sich aussetzten, ein Schwinden des 
allgemeinen Misstrauens gegen die im Vergleich zur alten 
Postkutsche wesentlich höhere Geschwindigkeit der Eisen¬ 
bahn zur Folge haben möge. 
In der Tat richtete sich bei Beginn der Eisenbahn¬ 
epoche das Misstrauen des Publikums in erster Linie 
gegen die unerhörte Steigerung der Geschwindigkeit. 
Hiervon machte sogar der beste Freund Stephensons, 
W. Brougham, keine Ausnahme und gab seiner Auf¬ 
fassung rückhaltslos mit den Worten Ausdruck, dass er, 
wenn Stephenson nicht anfange, von vernünftigen Ge¬ 
schwindigkeiten zu sprechen, das ganze Ding verdammen
	        
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