Volltext: IX. Jahrgang, 1904 (IX. JG., 1904)

Oberösterreichische Bauzeitung. 
Nr. 18. 
Seite 138, 
Linzer Neubauten 1904. 
I. 
Das Josef Hasliiiger’sche Haus Eeke (1er Schiller- und 
Schützenstrasse in Linz, 
(Siehe Illustration auf der 1. Seite.) 
Zu den hervorragenden Neubauten, die laufendes 
Jahr in unserer Landeshauptstadt zur Herstellung ge¬ 
langten, zählt auch das dreistöckige Gebäude, welches 
der hiesige Tischlermeister Herr Josef Haslinger, 
Ecke der Schiller- und Schützenstrasse erbauen liess, 
und wovon wir in vorstehender Illustration eine Ab¬ 
bildung der Fassade unseren Lesern vor Augen führen. 
Der Bau, wie wir aus der Zeichnung ersehen, ist in 
modernisierter Renaissance mit Anklängen an die Barocke 
durchgeführt und zeigt von einem besonders guten 
Geschmack seines geistigen Urhebers. Auch der öffent¬ 
liche Charakter, der in dem Gebäude teilweise zum 
Ausdrucke gebracht werden musste, da in den Parterre¬ 
lokalitäten desselben der „Oberösterreichische Gewerbe¬ 
verein “ seinen Sitz aufschlagen wird, ist gut gekenn¬ 
zeichnet, was von jedem Sachverständigem sofort heraus¬ 
gefunden werden muss. Es kommt hier im Detail sowie 
im Ganzen eine sehr ansprechende Formgebung zur 
Anwendung, die endlich einmal den schablonenhaften 
Zug der früheren Zinshausfassaden angenehm unter¬ 
bricht. Als Neuerung, die wir mit Freude begrüssen, ist 
die Fensterstellung zu bemerken. Jedes Zimmer hat nur 
ein, dafür aber schönes, breites Fenster, der Frontbreite 
des Hauses angemessen. Durch diese Anordnung, die 
auch in der Fassade angenehm wirkt, ist nicht nur die 
Beleuchtung im Zimmer eine bessere, sondern auch der 
Wohnlichkeit und Vornehmheit desselben wird mehr 
Rechnung getragen als früher. Es wäre nur zu wünschen, 
dass in diesem Sinne rüstig weiter gearbeitet .werden 
würde, um auch anderen Landeshauptstädten in Bezug 
auf einen Fortschritt im Bauwesen gleichkommen zu 
können. Die Entwürfe für die äussere Gestaltung des 
Gebäudes hat der Bauherr bei der „Oberösterreichischen 
Baugesellschaft“ ausarbeiten lassen; die Herstellung des 
Baues wurde dem Baumeister Herrn Gustav Stein¬ 
berger übertragen. 
Der Direktor der „Oberösterreichischen Baugesell¬ 
schaft“, Herr Rudolf Seidel, hat in bereitwilliger Weise 
den Entwurf für den Bau der „Oberösterreichischen 
Bauzeitung“ zu Publizierung überlassen. 
Eduard Kornhoffer. 
Ueber städtisches Wohnungswesen 
mit besonderer Beziehung auf das Familien¬ 
wohnhaus. 
(Vortrag des Herrn Architekten Rudolf Seidel, Direktor der 
Oberösterreichischen Baugesellschaft, gehalten in der Sitzung 
des Oberösterreichischen Baumeister-Vereines am 16. April 1904.) 
II. 
Bei der Zählung von 1891 kamen auf ein bewohntes 
Haus in London 7-6, Liverpool 5’7, Manchester 5U, in 
den mittleren Städten Englands 4*3 bis 6*7, Brüssel 9'03, 
Antwerpen 7*09, Gent 4-74 Einwohner. 
Ich habe mich ferner an die statistischen Aemter 
von Wien, Prag, Graz und Linz gewandt und wurden 
mir von dort mit grösster Bereitwilligkeit die diesbezüg¬ 
lichen Daten zur Verfügung gestellt. Danach entfallen 
in Wien 5202, Prag4P54, Graz 23‘83, Linz 25*0 Bewohner 
auf ein Haus. 
Es wäre sehr interessant, diese Statistik über Europa, 
weiter eventuell auch für Amerika zu verfolgen. 
Zur Illustrierung der statistischen Zahlen habe ich 
hier einige Stadtpläne mitgebracht und will ich Ihnen, 
geehrte Herren, zum Schlüsse meiner Ausführungen an 
der Hand derselben zeigen, wie stark und schön sich 
die Familienhausvierteln im allgemeinen entwickeln. 
Vorerst gestatten Sie mir noch mit einigen Worten den 
Wert des Familienhauses in ethischer, gesundheitlicher 
und volkswirtschaftlicher Beziehung zu berühren. 
Der Einfluss, den Einfamilienhaus und Mietskaserne 
im Gegensatz zu einander auf eine Nation in wirtschaft¬ 
licher und sozialpolitischer Hinsicht, wie auf Gemeinsinn 
und Volkscharakter ausüben, ist ganz ausserordentlich 
gross und von einschneidenderer Bedeutung als man in 
der Regel denkt. In der Mietskaserne Misshelligkeiten 
und Rücksichtnahmen aller Art, erzwungene Verträg¬ 
lichkeit um des lieben Friedens willen, Lärm im Hause 
und auf der Strasse. Ewige Umzüge und das Gefühl 
der Unsicherheit der Wohngelegenheit verurteilen zum 
Nomadentum, dem das Mobilar angepasst wird. Jeder 
künstlerische Anlauf einer behaglichen Wohnungs¬ 
einrichtung wird durch dieses im Keime erstickt. Der 
häufige Wohnungswechsel ist ein Krebsschaden für das 
Nationalvermögen. Unser Sprichwort sagt: „Dreimal 
ausziehen ist so viel wie einmal abbrennen.“ 
Wie anders im Einfamilienhause, im Eigenheim, in 
dem man Herr auf eigener Scholle ist. Wie reizt das 
eigene Haus, in dem man für immer zu leben gedenkt, 
zum Schmucke an nach unserer Eigenart und unserem 
Geschmack, wie auch zur Sparsamkeit für dasselbe, das 
wir als stattliches, wertvoll gewordenes Besitztum 
unseren Kindern hinterlassen wollen. Wie regt unser 
Garten zu nervenstärkender Tätigkeit an, die uns die 
Schätze der Natur und unseres Fleisses ernten lässt. 
Bei der immer stärker anwachsenden Konzentration, 
die alles nach den Grosstädten hinfluten lässt, wo 
günstigere Erwerbs- und kulturelle Verhältnisse das 
Leben angenehmer machen, tritt ganz von selbst, erst 
langsamer, dann allmählich schneller der Rückschlag 
ein. Die Dezentralisation ist unausbleiblich. Der Wohl¬ 
habendere beginnt sich der unbequemen und ungesunden 
Lebenshaltung, die durch die Zusammenhäufung grosser 
Menschenmassen entsteht, durch die Flucht zu entziehen; 
er eilt hinaus, zurück zur Natur, wo ein menschen¬ 
würdiges, ruhiges, gesundes Leben für ihn und die Seinen, 
besonders für die in der Entwicklung stehenden Kinder, 
möglich ist. Nur so kann er diesen volle Gesundheit 
geben für das Leben, das heute so grosse Anforderungen 
stellt und starke Nerven in einem gesunden und kräftigen 
Körper noch weit mehr verlangt, als in früheren Jahr¬ 
hunderten, um den Kampf ums Dasein aufzunehmen und 
mit Erfolg durchführen zu können. Hier sei auch erinnert 
an den hygienischen Erfahrungssatz, dass die Häufigkeit 
der Tuberkulose im geraden Verhältnis zur Wohnungs¬ 
dichtigkeit steht. So sehen wir denn um alle Grosstädte 
einen weiten Kreis von Landhaus vierteln sich bilden, die 
zuerst weit draussen in Einzelkolonien auftretend, sich 
zum Gürtel allmählich Zusammenschlüssen. 
Durch den wirtschaftlichen Aufschwung der letzten 
Jahrzehnte hat sich ein ungewöhnliches Wachstum der 
grossen Städte und Hand in Hand damit eine landhaus- 
mässige Bebauung der Vororte weit über die Grenzen 
der Stadtgebiete hinaus herausgebildet, von der wir uns 
noch vor zwanzig Jahren nichts hätten träumen lassen
	        
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