Volltext: III. Jahrgang, 1898 (III. JG., 1898)

Nr. 13. 
OBERÖBTERHEICHISCHE BAUZEITUNG. 
Seite 99. 
Die Arbeiter in Amerika. 
Die wirtschaftliche Lage der amerikanischen Arbeiter¬ 
bevölkerung wird in Europa, zumal von den unteren 
Classen, als das Non plus ultra des Wohlseins, als das 
zu erstrebende Ideal angesehen. Muss nun auch zugegeben 
werden, dass die Lebenshaltung des Handarbeiters in 
Amerika im allgemeinen eine höhere ist als die seines 
Collegen in Europa, so fehlt auch hier der Medaille nicht 
die Kehrseite, und es verlohnt sich wohl der Mühe, beide 
einmal zu beleuchten. 
Das Gebiet der Vereinigten Staaten ebenso wie die 
Bevölkerung desselben nahmen im Laufe des letzten 
Jahrhunderts in ungeheurem Masse zu; während es im 
Jahre 1790 nur 5,144.000 Quadratkilometer mit einer Be¬ 
völkerung von vier Millionen Menschen umfasste, zählt 
es heute 9,332.000 Quadratkilometer, auf denen 63 Millionen 
Menschen wohnen. Damit hielt auch die Production 
gleichen Schritt und hob sich von 20 Millionen Dollars 
im Jahre 1790 auf 5373 Millionen im Jahre 1896. Als 
Beispiel für diese Entwicklung sei nur die Kohlenförderung 
angeführt, die sich im Jahre 1850 auf 5,7 Millionen Tonnen,, 
im Jahre 1876 auf 50 Millionen und im Jahre 1893 auf 
163 Millionen stellte, ln der Eisenproduction nimmt die 
amerikanische Industrie den ersten Rang ein, indem sie 
ein Viertel der Weltproduction liefert, ebenso ist sie die 
erste in der Stahlproduction, die zweite in der Baum¬ 
wolle- und Wollproduction. 
Wie in Europa, so veringert sich auch in Amerika 
die Anzahl der Fabriken, dagegen aber nehmen die ein¬ 
zelnen an Grösse zu, und besonders vervollkommnen 
sich die maschinellen Einrichtungen. So besitzt beispiels¬ 
weise der Armour Elevator, ein grosses Kornmagazin, 
in Chicago Maschinen, die einen Waggon Korn in D/2 
Minuten, ein Schiff von 100.000 Scheffeln in D/2 Stunden 
beladen. Eine Schuhfabrik liefert mit 233 Arbeitern 
2100 Paar Stiefel pro Tng; neun Paar pro Arbeiterl 
Was nun die Löhne betrifft, so verdient in New-York 
ein Bauhandwerker 2 Mark pro Stunde, in St. Louis 
14—15 Mark pro Tag; das Carnegie-Eisenwerk zahlt den 
Handlangern 6’50 Mark, den gewöhnlichen Arbeitern 
8—-16 Mark und besseren sogar 15—16 Dollars für den 
zehnstündigen Arbeitstag. Der Verdienst ist also gut und 
gestattet dem amerikanischen Arbeiter manchen Comfort, 
ja sogar einen gewissen Luxus. Nahrung, Kleidung sind 
in New-York nicht wesentlich theurer als in Berlin, aber 
man lebt dort gut und wohnt dort noch besser; dazu 
kommt gewöhnlich die kostspielige Toilette. Sonntags 
stolzieren Arbeiterfrauen im modernsten Hut und Seiden¬ 
kleid daher, eleganter als die Frauen des Mittelstandes 
in Europa; manche Arbeiterinnen kommen sogar in den 
Werktagen in Hut und Handschuhen zur Fabrik. Ebenso 
ist es mit den Arbeitern, die die billigeren fertigen 
Kleider verschmähen und für nach Mass gearbeitete all¬ 
jährlich 400—600 Mark auszugeben pflegen. Für vier bis 
fünf Zimmer, unter, denen unbedingt ein Salon mit 
Polstermöbeln und allen möglichen Nippsächelchen sein 
muss, werden 300—400 Mark ausgegeben, und während 
der Mann in der Fabrik arbeitet, pflegt die Frau, die 
nach der Verheiratung die Fabriksthätigkeit aufgibt, 
spazieren zu gehen, zu lesen und zu musicieren. Natürlich 
wird bei solchem Leben nicht viel erübrigt, aber für 
alle Eventualitäten ist durch Versicherung gesorgt; 
Lebens-, Arbeitslosigkeits-, Unfall- etc.-Versicherungen 
zählen die meisten Familienväter zu ihren Mitgliedern. 
Neben dieser Arbeiteraristokratie aber seufzen 
Tausende von Unglücklichen unter dem „Sweating“- 
System. Zu ihnen gehören hauptsächlich die der Con- 
fectionsbranche, die in den elendesten Ateliers zu arbeiten 
pflegen. Letztere bestehen meisten aus zwei Zimmern, 
in denen männliche und weibliche Arbeiter, etwa 20 an 
der Zahl, arbeiten, essen und schlafen. Mehr als 20 sind 
indess nie in diesen Folterkammern vereint, da sie sonst 
der Fabriksgesetzgebung unterstehen würden. Welche 
Mißstände in sittlicher und sanitärer Beziehung dieses 
Zusammenpferchen bei d urchaus ungenügender Bezahlung 
mit sich bringt, liegt zu sehr auf der Hand, um besonders 
erwähnt zu werden. Eine 37jährige Italienerin nähte mit 
ihrer Tochter zu Boston Mäntel zu 5 Cents (20 Pfennig) 
das Stück, eine andere Frau am gleichen Orte stellte 
Capes zum Preise von 1 Dollar per Dutzend her, während 
ihre sechs- und siebenjährigen Töchter die Knöpfe ein¬ 
nähen mussten. Diese schreckliche Ausbeutung der 
armen Menschen fällt den gewissenlosen Vermittlern zur 
Last, welche die Lieferung für die grossen Magazine zu 
Spottpreisen übernehmen und das Elend der Arbeitslosen 
ohne Scrupeln ausnutzen. 
Aber kehren wir zu den besser gestellten Arbeitern 
zurück. Das Geheimnis der grossen, in acht bis zehn 
Stunden verdienten Löhne dürfte sich aus zwei Gründen 
erklären: Einerseits gestattet die immerwährende Ein¬ 
richtung neuer Industrien mit den vollkommensten 
Methoden dem Amerikaner ausreichenden Verdienst, um 
gut zahlen zu können, wozu noch die gewaltigen natür¬ 
lichen Reichthümer des Bodens hinzukommen; anderseits 
aber ist der dortige Arbeiter von dem Verlangen be¬ 
seelt, das die ganze Nation beherrscht, möglichst viel 
Geld zu erwerben, um seine Lebenshaltung zu bessern 
und um etwas zu erübrigen, und aus diesem Grunde 
entwickelt er eine wahrhaft fieberhafte Thätigkeit. 
Während, in Deutschland in den Webereien auf je zwei 
Stühle ein Arbeiter zu kommen pflegt, bedient in manchen 
amerikanischen Webereien gleicher Art ein Mann häufig- 
nicht weniger als acht Stühle. Ja, im Jahre 1893 er¬ 
richtete ein dortiges Haus sogar versuchsweise eine 
Fabrik, in der fünf Weber je 16 Stühle zu beaufsichtigen 
hatten, und zwei Jahre später gab sie 4000 derartige 
Stühle in Auftrag. Ein Maurer verarbeitet drüben täglich 
etwa 500 Steine mehr als in Deutschland. Natürlich muss 
zur Erreichung dieser Resultate in allen Betrieben streng 
geregelte Arbeitstheilung und Disciplin herrschen, und 
thatsächlich hört man auch während der Arbeit kein 
einziges Wort. 
In dieser Beziehung haben wir also von den Ameri¬ 
kanern noch manches zu lernen; vor allem müssen wir 
unser Augenmerk auf eine vollkommenere Vorbildung 
unserer Arbeiter, von frühester Kindheit an, richten, 
damit sie, wollen sie bei gleich anstrengender Beschäfti¬ 
gung einen gleich hohen Lohn erzielen, auch in der 
Lage sind, das gleiche Arbeitsquantum zu leisten. Ausser- 
dem sollten wir darauf bedacht sein, unsere Grossindustrie,, 
denn nur um sie kann es sich nur handeln, immer neue 
Absatzgebiete zu erschliessen, damit sie den durch derart 
intensiven Betrieb producierten Mehrertrag auch abzu- 
stossen vermag. O. W. 
Aus den Gemeinderaths-Sitzungen in Linz. 
Sitzung vom 22. Juni.) 
Das Parcellierungsgesuch der Frau Ernestine von 
Pessler betreffend Grundparcellen an der Gemeinde- und
	        
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