Volltext: III. Jahrgang, 1898 (III. JG., 1898)

Seite 138. 
OBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG. 
Nr. 18. 
allgemeinster Geltung. Schon in der Bibel finden wir die 
ebenso scharfsinnige wie wahre Bemerkung, dass die 
Menschen sich Götter nach ihrem Ebenbilde schufen. 
Aber nicht nur die Götter, sondern alle Gegenstände der 
Welt werden im Geiste des Menschen zu lebenden, 
menschenähnlichen Wesen umgemodelt. Diese Belebung 
der Leblosen, dieser Animismus, wie die Gelehrten es 
nennen, ist die Grundlage jeder Mythologie, jedes religiösen 
Systems. Je mehr die Menschen jedoch in der Bildung 
fortschreiten, um so mehr verflüchtigt sich dieser Glaube, 
der sich ja mit dem Glauben an den einen, wahren Gott 
nicht verträgt ; wohl aber erhält er sich in den Volkssagen 
und Volksliedern, und es ist von grossem Interesse, zu 
beobachten, welch verschiedene Formen eine und dieselbe 
Idee, ein und derselbe Glaube bei den verschiedenen 
Völkern der Erde annimmt. Eine der bemerkenswertesten 
Gestaltungen des Animismus ist das Bauopfer, der Glaube, 
dass jeder Bau sein Opfer haben muss. Der Grundgedanke 
ist überall der, dass man dem Boden, der nicht leblos ist, 
sondern seine Seele, seinen Geist besitzt, das Baurecht 
durch ein Opfer abkaufen muss. Dieses Opfer war in 
barbarischen Zeiten ein lebendes Wesen, ja wenn man 
den zahlreichen vorhandenen Volkssagen trauen darf, ein 
lebendiger Mensch. Die Einmauerung eines lebenden Ge¬ 
schöpfes in den Neubau wird in einer anderen Version 
dahin gedeutet, dass, wie alle Dinge auf der Erde, auch 
der Neubau seinen Schutzgeist haben müsse, der ihn er¬ 
hält, vor dem Einsturz bewahrt. Indem man nun einen 
Menschen in den Neubau einmauerte, glaubte man, auch 
seine Seele, seinen Geist gefesselt zu haben, der nun als 
der Schutzgeist der Baulichkeit fungieren musste. Wie 
bei allen Opfern, die ja ursprünglich etwas Lebendes 
waren, so ersetzte die fortgeschrittene Civilisation auch 
beim Neubau das lebende Opfer durch einen leblosen 
Gegenstand, der als Symbol des Opfers in den Bau ein¬ 
gefügt wurde. 
Es gibt kaum ein Volk auf Erden, bei dem nicht 
Spuren des Bauopfers zu finden wären. Ja nach dem 
Volksglauben der Südslaven müssen die Geister des 
Bodens auch dann gewonnen werden, wenn man ein Feld 
urbar macht oder einen gekauften Grund als Eigenthum 
zum ersten Male bestellt. Der Bosnier wirft in einem 
solchen Falle noch jetzt die Hälfte einer Silbermünze auf 
den Acker, während er die andere Hälfte sorgfältig auf¬ 
bewahrt, um allzeit einen Beweis für das geleistete-Opfer 
in Händen zu haben. Dieses Opfer verhütet Erdrutschungen 
und andere elementare Ereignisse. Findet jemand zufällig 
die halbe Münze auf dem Acker, so soll er sie nicht mit¬ 
nehmen, denn sie wird für ihn zur Unglücksmünze. 
Eine serbische Sage erzählt, wie ein Bauer einen 
passenden Grund für den Hausbau sucht und mit den 
„Erdenherren“, den Geistern der betreffenden Baugründe, 
förmlich feilscht. Der Eine fordert alles, was im Hause 
Leben hat, der Andere die Henne und das Küchlein (das 
heisst: Mutter und Kind), der Dritte „ein Häupchen Knob¬ 
lauch“, nämlich alle Lebensmittel (dem Südslaven ist der 
Knoblauch der Inbegriff und der Hauptbestandteil der 
Mahlzeit); endlich findet der Bauer einen Erdgeist, der 
ein Einsehen hat und nicht nur nichts fordert, sondern 
dem Hausbegründer noch mancherlei Begünstigungen ein- 
räumt. In Slavonien wird unter den Grundstein des Hauses 
zuweilen ein lebendiger Hahn oder eine Fledermaus be¬ 
graben. Dieser Brauch scheint uralt zu sein, denn der 
Archimandrit Simics zu Banja in Bosnien erzählte als 
Merkwürdigkeit, dass man beim Umbau einer im Jahre 1876 
zerstörten Klosterkirche, einer Stiftung der ersten serbischen 
Könige aus dem XII. Jahrhundert, beim Eingang unter 
der Kirchenschwelle in einer gemauerten Höhlung das 
Skelett eines Hahnes (oder einer Henne?) und ein un¬ 
versehrt gebliebenes Ei fand; dieses war mindestens 
600 Jahre alt. Eingemauerte Eier sind übrigens sehr 
häufig; so fand man eines in Iserlohn im Gemäuer der 
Kirche und auch anderwärts in Deutschland an vielen 
Orten. Bekanntlich soll der Sage nach auch Neapel auf 
einem Ei gegründet worden sein. 
Bei den Südslaven findet sich die Sage vom Bauopfer 
in unzähligen Variationen vor, aber in den meisten Fällen 
ist es eine junge Frau, welche im Neubau eingemauert 
wird. Die Sage knüpft sich fast an jedes bedeutende alte 
Bauwerk. Auf der alten Burg zu Tesanj in Bosnien zeigte 
ein Bauer dem obengenannten Autor eine Stelle, wo aus 
dem Gemäuer Milch aus den Brüsten der als Bauopfer 
eingemauerten jungen Gojkowica hervorquelle. Hierher 
kommen die Mohamedanerinnen, denen die Milch in den 
Brüsten versiegt ist, schaben von dem schneeweissen 
Gement ein wenig ab und nehmen den Staub in Milch 
ein, dann — so glauben sie — müsse die Milch ihnen 
wiederkehren. Nach der Sage hat die eingemauerte Frau 
die Maurer gebeten, in der Mauer so viel freien Raum 
zu lassen, als ihre Brüste einnelimen, damit sie ihre beiden 
Säuglinge ernähren könne. Wie tief der Glaube an das 
Bauopfer im südslavischen Volke wurzelt, zeigt der 
folgende Vorfall: Im Jahre 1884 wurde zu Brod an der 
Save eine Webeschule für zwölf Bauernmädchen errichtet. 
Zwölf Mädchen aus den umliegenden Dörfern fanden in 
der Schule Aufnahme. Einige Broder Einwohner sprengten 
indess aus, man hätte die Mädchen unter falschen Vor¬ 
spiegelungen nach Brod gelockt, um sie an das kaiser¬ 
liche Aerar in Bosnien zu verkaufen, wo sie in die neu¬ 
zuerbauenden Fortificationen eingemauert werden sollen. 
Es kostete nicht geringe Ueberredung, bis man die Mädchen? 
welche auf die Sckreckenskunde hin ins Elternhaus flüch¬ 
teten, wieder zurück bekam. 
Bei den Bulgaren wird statt des Menschen häufig 
nur sein Schatten eingemauert. Aber auch die Sage von 
der eingemauerten Frau findet sich bei ihnen in zahlreichen 
Varianten vor, deren Adolf Strauss in seinem interessanten 
Buche über den Volksglauben der Bulgaren mehrere mit¬ 
theilt. Hier sind es in einem der mitgetheilten Volkslieder 
drei Brüder, welche geloben aufzubauen Smilens hohe 
Veste, und denen der Bau über Nacht stets einstürzt. 
Ruhten einmal diese drei Geschwister, 
Ruhten einmal, schliefen ein zur Stelle; 
Und sie träumten, einen Traum sie sahen: 
Wessen Gattin hin kommt als die erste, 
Morgens zeitig mit dem Morgenimbiss, 
Die soll man dann in den Grund einmauern, 
Dass die Veste fest und stark verbleibe. 
Dies gelobten diese drei Geschwister, 
Drei Geschwister mit der Türken Eidspruch, 
Nichts zu sagen hievon ihren Frauen. 
Zwei der Brüder werden jedoch wortbrüchig, nur der 
jüngste sagt seinem Weibe nichts, und so ist sie morgens 
die erste, die mit dem Imbiss kommt. Ihr Gatte weint; 
sie fragt ihn nach dem Grunde seiner Thränen. Er habe 
seinen Trauring verloren. 
„Weine nimmer, Manuel, mein Meister, 
Will ihn suchen und ihn wiederfinden.“ 
Und sie bückt sich, um den Ring zu suchen, 
' Um zu suchen den verlornen Reifring.
	        
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