Volltext: II. Jahrgang, 1897 (II. JG., 1897)

Seite 4. 
OBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG. 
Nr. 1. 
sind. Diese federnde Lagerung aller Theile des Motor¬ 
wagens hebt jedwede Stösse, welche durch die Uneben¬ 
heit des Schienenweges hervorgerufen werden, nach 
Möglichkeit auf. Der Motor, Modell G. E. 800, ist für 
eine Leistung von circa ‘20 H. P. bei 15 Kilometer 
Geschwindigkeit per Stunde berechnet, und durch das zu 
einem Gehäuse ausgebildete Magnetsystem gegen alle 
äusseren Einflüsse geschützt. Die Umdrehungen der Motor¬ 
welle werden durch eine einfache Zahnradübersetzung, 
welche innerhalb eines Schutzkastens in Fett lauft, auf 
die Wagenachse übertragen. 
Das Mehrgewicht eines elektrischen Strassenbahn- 
wagens gegenüber einem durch thierische Kraft bewegten, 
bedingt die Verwendung einer entsprechend kräftigen 
Bremsvorrichtung, deren Wirkungsgrad aus den ange¬ 
wandten Hebelübersetzungen erkennbar ist. Es ist an¬ 
genommen, dass an der Bremskurbel auf dem Perron durch 
den Wagenführer eine Kraft von 80 Kilogramm ausgeübt 
wird; durch die erste Uebersetzung an der senkrechten 
Kurbelslange, welche etwa 1:9 beträgt, erhält man auf 
dem zweiten horizontalen Hebel am Untergestell eine Zug¬ 
kraft von 540 Kilogramm, welche nun weiter durch eine 
abermalige Hebelübersetzung von 1—10 den 4 Brems¬ 
klötzen als eine gegen die Räder der Wagen wirkende 
Druckkraft von 5400 Kilogramm mitgetheilt, wird. 
Eine weitere Sicherheit des Betriebes wird durch 
Anwendung der Kurzschlussbremse erreicht, deren Be¬ 
dienung durch die Coütrolenkurbel erfolgt. 
Auf beiden Perrons sind sogenannte Controller ange¬ 
bracht, welche zum Ingangsetzen und Anhalten des 
Wagens ebenso wie zur Regulierung der Geschwindigkeit 
vom Wagenführer mittelst Kurbel bedient werden. In 
diesen Controllern befindet sich auch die vorher erwähnte 
Schalt vor Tchtung, eine Anordnung, welche die Benützung 
der genannten Apparate ganz ausserordentlich vereinfacht 
und erleichtert. 
Weiter ist noch zu bemerken, dass jeder Motorwagen 
durch einen sicher functionierenden Blitzableiter gegen 
etwaige aus dem Contactdraht übergeleitete Blitzschläge 
geschützt ist. 
Das Gewicht des vollständig ausgerüsteten, aber leeren 
Motorwagens beträgt rund 4-5 Tonnen, dasjenige des voll¬ 
besetzten Wagens 6p6 Tonnen. 
Bei eintretenden Bedarf ist ferner die Benützung der 
jetzt in Gebrauch befindlichen, geschlossenen und offenen 
Pferdebahnwagen als Beiwagen in Aussicht genommen, 
und sollen dieselben mittelst einer Zugstange mit dem 
federnden Puffer des Motorwagens gekuppelt werden. 
Durch die sehr verschiedene Breite und Bebauung der 
mit Geleisen belegten Strassen ist bedingt, dass die Ge¬ 
schwindigkeit der Wagen in den einzelnen Theilen der 
Stadt sehr differieren muss und ist beabsichtigt, dieselbe 
in den verschiedenen Strassenzügen ganz den Verhält¬ 
nissen anzupassen. 
Es wird eine mittlere Geschwindigkeit von 15 Kilo¬ 
meter per Stunde vorgesehen. 
Eine genaue Beschreibung der Pöstlingbergbahn- 
Wagen sammt den Schalt- und Bremsvorrichtungen, können 
wir heute nicht anschliessen, da diese Specialconstructionen 
noch weitere Studien und Versuche erheischen und werden 
wir die Detailconstructionen der Bergbahn in einer später 
erscheinenden Beschreibung nachtragen. 
Ein Wort im Interesse der Bauindustrie. 
Es ist in den letzten Jahren mehrmals vorgekommen, 
dass Bauindustrielle wegen ihrer Forderungen und Aus¬ 
lagen durch die Insolvenz, den Leichtsinn oder die Un¬ 
redlichkeit des Bauherrn verkürzt wurden, und die em¬ 
pfindlichsten Vermögenseinbussen erlitten haben. Die be¬ 
stehenden gesetzlichen Bestimmungen gewähren gegen 
diese Vermögensverluste keinen ausreichenden Schutz. 
Bei der Ausführung von Bauten handelt es sich in 
der Regel um nicht unbedeutende Zahlungen auf der 
einen, und kostspielige und umfangreiche Leistungen auf 
der anderen Seite. Es liegt in der Natur des Verhältnisses 
und der Sicherung der Contrahenten, dass die Bauherren 
vor Ausführung des Baues nicht volle Zahlung leisten, 
die Industriellen ihre Arbeiten nicht ohne zeitweilige 
Vorschüsse und Abschlagszahlungen ausführen können. 
Der übliche Gang des Unternehmens ist daher der, dass 
ein Drittel der versprochenen Bausumme bei der Inangriff¬ 
nahme, ein Drittel in der Mitte der Ausführung, der Rest 
aber bei der Vollendung und Fertigstellung des Baues 
gezahlt wird, oder nach Uebereinkunft gezahlt werden soll. 
Bei Zahlung des letzten Drittels ergeben sich die 
Gefahren und drohenden Vermögensverluste für die Bau- 
Industriellen. Der Bauherr beginnt sein Unternehmen 
oftmals mit nicht ausreichenden Capitalien. Er vertröstet 
sich damit, dass er, wenn der Bau nur erst vollendet sei, 
leicht eine Hypothek aufnehmen könne, um seine Gläubiger 
zu befriedigen, und sind ihm auch oft Gelder unter der 
Bedingung derHypothekenbestellung im voraus zugesagt 
worden. Ist aber der Bau vollendet, so muss vor allem 
die Hypothek des Geldgebers bestellt werden, weil er 
sonst kein Geld hergibt. Von dem gezahlten Gelde 
möchte der Bauherr gern ein kleines Capital zur Errichtung 
eines Geschäftes oder zu einen anderen Zweck übrig 
behalten. Er sieht aber, wenn er alle seine Bauschulden 
bezahlt, dass ihm nichts übrig bleibt. Nun fängt er mit 
den Bauindustriellen zu feilschen an, sucht sie herab¬ 
zudrücken, schützt Fehler vor, die bei dem Bau gemacht 
wurden und wendet überhaupt jeden Vor wand an, um 
die unangenehme Zahlung hinaus zu schieben. 
Will der Geschäftsmann sich nicht mehr hinhalten 
lassen, so bleibt ihm nichts übrig, als die Hilfe des Ge¬ 
richtes anzurufen. Es beginnt nun ein weitläufiger und 
kostspieliger Bauprocess, und im günstigen Falle bekommt 
der Geschäftsmann nach langen Monaten seine Forderung, 
die zum grössten Theile aus Auslagen für Materialien 
und Arbeitslöhnen besteht. Dies ist der günstigste Fall, 
denn oftmals bekommt der Geschäftsmann auch gar nichts. 
Es steht dem Bauherrn völlig frei, in der Zwischenzeit, 
während jener Verhandlungen, oder während des Processes 
sein Grundstück mit Hypotheken zu belasten; wenn dann 
endlich die Forderung des Bauindustriellen zur Execution 
kommt, so gehören die Mobilien der Frau, das Grundstück 
ist aber so überschuldet, dass der Geschäftsmann das 
leere Nachsehen hat. 
Man könnte vielleicht meinen, dass sich diese Calami- 
täten dadurch abwenden liessen, dass sich die Industriellen 
ihre ganze Forderung vor Beendigung des Baues, also 
pränumerando auszahlen liessen. Allein, dies wäre nicht 
nur allen bestehenden Gewohnheiten entgegen, sondern 
würde auch eine Unbilligkeit gegen das bauende Publicum 
enthalten, indem der Bauherr allerdings ein Interesse dabei 
hat, den Bau nach seiner Vollendung im Ganzen und im
	        
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