Volltext: II. Jahrgang, 1897 (II. JG., 1897)

Seite 28. 
OBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG. 
Nr. 4. 
Während erster© die verschiedenartigen tragenden, 
stützenden, bindenden, hängenden und andere Principien 
zu beobachten haben, umfassen letztere das Ornament 
in seiner inneren Zusammenfügung. Die Ordnung der 
Pflanzenmotive geschieht jedoch nach verschiedenen Rich¬ 
tungen; sie ist sowohl centrale Zusammenstellung als 
auch Wiederholung, oder eine Vereinigung dieser beiden 
Systeme in begrenzter oder unbegrenzter Gestalt. 
Bei den meisten ornamentalen Bildungen ist die 
geometrische Theilung oder Zusammenfügung ein wesent¬ 
liches Moment. Sie ist zwei-, drei- und mehrfach unter 
Anwendung bestimmter Winkeln für die Richtung der 
Hauptachsen. Dadurch entsteht beispielsweise die Rosette, 
das Füllungsornament mit einer oder mehreren Haupt¬ 
achsen, die Zwickelfüllung, die Bekrönung etc., die in 
senkrechter und wagerechter Richtung oder in der An¬ 
wendung verschiedener Winkelstellung ihre organische 
Bildung erhalten. Aus dieser geometrischen Grundlage 
ergibt sich ein weiterer wichtiger Bestandtheil des 
Ornaments; die Symmetrie oder die Gleichartigkeit ein¬ 
ander gegenüberstehender Theile zu einem Ganzen. Die 
Symmetrie bedeutet gewissermaßen das Spiegelbild einer 
Form, die sich an einer gemeinschaftlichen Theilungs- 
linie im umgekehrten Sinne gegenübersteht, in beiden 
Hälften aber dieselbe Richtung beibehält. Mit der Sym¬ 
metrie verwandt ist die Wiederholung entweder als ein¬ 
seitige Fortsetzung gleicher Formen oder als eine Neben¬ 
einanderstellung symmetrischer Gebilde. Die Wiederholung 
wird zum Rhythmus, wenn ihre Formenelemente ungleich 
sind und die Wiederkehr in gewissen Abschnitten statt¬ 
findet. Für die Wiederholung sowohl in der einfachen 
wie der rythmischen Form ist der Fries und das fries- 
artige Band die, architektonische Grundlage . .und bildet 
z. B. die gleichartige Nebeneinanderstellung desselben 
Blattes eine einfache Wiederholung, während die Ein¬ 
schaltung einer Knospe, Blume oder Frucht in gleich- 
mässigen Abständen bereits eine rhythmische Wieder¬ 
holung darstellt. 
Sowohl im Zusammenhänge mit den genannten Bil¬ 
dungen, wie auch als selbständige Ornamentform er¬ 
scheint noch die Gruppierung von Pflanzen oder Pflanzen- 
bestandtheilen. Sie besteht aus einer nach Grösse der 
Flächen und Linienführung harmonisch zusammenge¬ 
stellten Anordnungen und ist entweder durch eine Um¬ 
randung begrenzt oder bildet in einem Systeme von 
Wiederholungen ein über eine Fläche ausgebreitetes Muster, 
oder erscheint auch mit freien Ausläufen und Endigungen. 
In dem richtigen Verhältnisse der einzelnen Theile zu 
einander nach Grösse und Umriss, in der Wahl und Ver- 
theilung der Zwischenräume, in dem Wechsel von 
grösseren Maßen mit zierlichen Einzelnheiten und in 
einer gewissen centralisierenden Anordnung beruht ihre 
wohlgefällige Wirkung, die immer als Endzweck eines 
Kunstwerkes zu betrachten ist. 
Bei allen diesen Mitteln zur Schaffung eines Pflanzen¬ 
ornaments ist ferner die Beobachtung der technischen 
Ausführung eine wichtige Bedingung. Sie wird bestimmt 
durch die Eigenschaften des Materials, das zur Vor- 
arbeitung benutzt wird und der Werkzeuge, die für 
Letztere sich als die geeigneten erweisen. Ob Stein oder 
Holz, Metall oder Faserstoffe, bei jedem der verschiedenen 
Materialien ist eine specifisehe Behandlungsweise zu ihrer 
Umbildung in Werk des Gebrauchs oder der Kunst er¬ 
forderlich, und die Hilfsmitteln und Vorrichtungen zu 
ihrer Bearbeitung sind eben so verschieden wie ihre 
Struktur-Festigkeit, Verbindungsfähigkeit und sonstigen 
Eigenschaften. In keiner derselben wiederholen sich aber 
diejenigen Bedingungen, deren sich die Natur zur Er¬ 
zeugung ihrer Formengebilde bedient und deshalb wird 
eine Nachahmung derselben stets den Ausdruck des ver¬ 
arbeiteten Stoffes erhalten müssen. Die Bearbeitungs¬ 
weise oder die „Technik“, wie sie kurzweg genannt wird, 
bestimmt daher in hervorragender Weise die Umge¬ 
staltung der Naturform in die Kunstform. Dasselbe Blatt 
einer Pflanze, in Stein ausgeführt, wird eine andere Form, 
eine andere Behandlung der Oberfläche und eine andere 
Darstellung der Einzelnheiten, wie Rippen, Adern und 
des Randes erfahren, als wenn es in Silber oder Eisen, 
oder gar als Flachmuster auf Papier oder Seide seine 
Ausführung erhielte. In allen Uebertragungen würde aber 
das Ergebnis ein höchst unvollkommenes und unpassendes 
erscheinen, wenn dabei als Beweggrund lediglich eine 
„täuschende“ Nachbildung der Natur zur Geltung ge¬ 
bracht würde. Die verschiedene Art der Uebertragung, 
die geistige Auffassung der vielfachen Bilder, welche die 
Natur in ihren einzelnen Bestandtheilen, in deren Bau, 
Umrissen und Oberflächen bietet, und die Hervorhebung 
oder die Unterdrückung einzelner Eigenschaften zu 
Gunsten eines einheitlichen, künstlerischen Gesammtein- 
druckes ist auch hinsichtlich der technischen Herstellung 
ein ebenso wichtiger Theil der Stylisierung wie die ge- 
setzmässige Anordnung der Formen nach ihren ver¬ 
schiedenen Richtungen. 
Soll endlich die Stylisierung nicht als eine wider¬ 
sinnige oder unpraktische erscheinen, so ist in sehr vielen 
Fällen nicht allein der Anbringung des Ornaments an 
richtiger Stelle, sondern auch der Zweckmässigkeit des 
G£hrauohs__^o.rnamentierterGegenstände besondere Auf¬ 
merksamkeit zu widmen. Die günstige Bearbeitungsfähig¬ 
keit eines Stoffes kann leicht dazu verführen, über den 
Zulässigkeitspunkt der Ausschmückung hinauszugehen; 
sie kann leicht die Veranlassung geben, die Bequemlich¬ 
keit, Sicherheit und Zweckmässigkeit im Gebrauche zu 
beschränken oder aufzuheben. Dies geschieht, wenn das 
Ornament nicht als begleitender, dem Ganzen unterge¬ 
ordneter Bestandtheil bestrachtet wird, sondern selbst- 
thätig eine Function zu erfüllen sucht, oder wenn es an 
Stellen angebracht wird, wo es den Gebrauch erschwerend 
oder hinderlich sein kann. 
Ein dorniger Rosenzweig kann um den Körper oder 
Deckel eines Gefässes als Ornament in bandartiger Form 
ein sehr passender, beziehungsreicher Schmuck sein, er 
hat aber seinen Zweck verfehlt, wenn er selbst den Hand¬ 
griff bildet oder in plastischer Gestalt sich um den Trink¬ 
rand des Gefässes legt. So ist auch der Pflanzenform 
als Schmuck oft ein ganz bestimmter Platz angewiesen, 
ja ihr Gebrauch erleidet noch weitere Einschränkung 
nicht allein hinsichtlich des Ortes ihrer decorativen Ver¬ 
wendung und als Theil eines Gegenstandes, sondern 
wenn sie selbst zum Gegenstände werden will. In sol¬ 
chem Falle tritt der ornamentale Zweck der Pflanze mit 
Entschiedenheit zurück und sie erscheint gezwungen zur 
Erfüllung einer Aufgabe, die ihr naturgemäss nicht zu¬ 
kommt und daher widersinnig ist. 
Beispielsweise sei hierzu ein Leuchter erwähnt, dessen 
Fuss und Schaft aus Wurzeln und Zweiges Rosenstrau¬ 
ches nachgebildet wurde, während die Rosenblüten die 
Kerzentüllen darzustellen haben. Neben der Unzweck¬ 
mässigkeit im Gebrauch ist auch die Widersinnigkeit der 
Verwendung in derartigen Erzeugnissen zum Ausdruck
	        
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