Volltext: II. Jahrgang, 1897 (II. JG., 1897)

Nr. 4. 
ÖBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG. 
Seite 27. 
Canal- u. Pissoirs-Erhaltung u. Fäkalien-Ausfuhr fl. 6600 
Erhaltung der Westbahnhof-Zufahrtstrasse und 
Mühlkreisbahnstrasse n 2515 
Lustenau und Waldegg, Strassenauslagen . . . „ 2870 
Zusammen . .fl. 136115 
Sämmtliohe Posten wurden in der Sitzung des Ge- 
meinderathes vom 3. Februar aeceptiert. 
Die Pflanze im Ornament. 
Unter den Elementen, die, der Natur entnommen, 
zum Ornament werden, ist die Pflanze das wichtigste 
und ausbildungsfähigste. Sie besitzt nicht nur eine Menge 
geeigneter Bestandtheile, die in ihrer natürlichen Zusam¬ 
menstellung sowohl, wie im Einzelnen ornamentale Eigen¬ 
schaften anzunehmen vermögen, sondern sie hat in ihren 
unzähligen Arten und Familien einen Schatz von Formen 
und organischen Systemen, der für architektonischen 
Schmuck eine unerschöpfliche Fundgrube darstellen kann. 
Mit diesen unerlässlichen Bedingungen für die Vielseitigkeit 
ihrer Verwendung sind mit der Pflanze sehr häufig noch 
sinnbildliche Gedanken verbunden, die aus volksthüm- 
lichen Sagen, geschichtlichen Erinnerungen oder anderen 
Ursachen hervorgegangen, dem verzierenden Ornamente 
eine höhere Bedeutung, gewissermaßen eine allgemein 
verständliche Sprache zu geben imstande sind. Der Lor¬ 
beer, Eiche und Epheu, die Rose, die Lilie etc. haben 
in diesem Sinne nicht allein die Aufgabe des Schmuckes, 
sondern an ihnen haftet neben ihrer Formbildung noch 
der Ausdruck eines idealen Sinnes, der dem aus ihnen 
gebildeten Ornament bestimmte Beziehungen zu ver¬ 
leihen vermag. 
Vielfach sind derartige Beziehungen nationaler Art 
oder sie bestehen in allegorischen Bildern des religiösen 
Oultus, indem sie dessen sittliche Lehren zum bildlichen 
Ausdruck bringen. Es ist bekannt, welche Bedeutung 
z. B. bei den alten Egyptern die Lotospflanze gehabt 
hat, wie die Griechen und Römer Lorbeer und Palme in 
ihrer Ornamentik verwendeten und wie das Christenthum 
die Rose, die Lilie, den Wein, den Epheu, den Granat¬ 
apfel und andere Pflanzenformen als Sinnbilder seiner 
Lehren in die ornamentale Kunst aufzunehmen wusste. 
Auch die neuere Zeit hat diese sinnbildlichen Pflanzen¬ 
formen beibehalten und gebraucht sie an geeigneter Stelle 
als ausdrucksvollen Schmuck; sie vermehrt sie nicht 
nur noch durch weitere Pflanzengebilde, sondern bringt 
auch andere ideale Gedanken damit in Verbindung. So 
kennt man als Pflanzen mit symbolischer Bedeutung das 
Veilchen, den Klee, den Mohn, die Aehren, die Korn¬ 
blumen und andere, die als Zeichen des Glückes, des 
Schlafes, der Fruchtbarkeit etc. gelten und manchmal 
auch als Ausdruck der Pietät, der Loyalität und der 
Vaterlandsliebe gebraucht werden. 
Als eine weitere Gattung von Pflanzenornament er¬ 
scheinen ferner auch heraldische Figuren, wenn sie von 
dynastischen, Familien- oder Landeswappen herrühren 
oder für einen Besitzgegenstand Bedeutung annehmen 
sollen. Die französische Lilie, die englische Rose und 
Distel, die sächsische Raute, das holsteinische Nessel¬ 
blatt sind trotz ihrer heraldischen Stylisierung auf Natur¬ 
formen zurückzuführen und fanden nicht nur im Wappen¬ 
schilde, sondern auch als eigentliches Ornamentmotiv, 
namentlich im Flachmuster häufige Anwendung. 
ln den meisten Fällen findet jedoch eine höhere Be¬ 
deutung des ornamentalen Schmuckes keine Berücksich¬ 
tigung. Dieser tritt lediglich als eine die Hauptform be¬ 
gleitende Zierde auf, bezweckt die Belebung einer Fläche, 
die Hervorhebung einzelner Partien, die Theilung oder 
Trennung, die Umschliessung, sowie den Ausdruck einer 
bestimmten Richtung auf architektonischen Gebilden und 
wird dann von der Wahl und Laune des ausübenden 
Künstlers bestimmt, sowie von den Bedingungen, die 
durch den grösseren oder geringeren Reichthum der Aus¬ 
stattung gestellt werden. Wenn dabei dennoch eine ge¬ 
wisse Verwandtschaft der gewählten Motive mit dem 
Gebrauche oder der Bestimmung des Gegenstandes be¬ 
obachtet wird, so ist sie kaum von höherer Bedeutung 
und hat einen tieferen Sinn, durch welchen Gefühle und 
Stimmungen hervorgerufen werden sollen, nicht auszu¬ 
drücken. So ist z. B. der ornamentale Schmuck einer 
Brunnenschale mit Wasserpflanzen ein passender und 
naturgemässer, aber er bezeichnet nicht die Wohlthaten 
und Wirkungen des Wassers, noch weniger werden die 
Vergleiche und Folgerungen idealer Natur, wozu das 
Wasser Veranlassung geben kann, dadurch ausgedrückt. 
In allen Fällen jedoch, wo die Pflanze oder deren, 
Bestandtheile zum ornamentalen Schmucke herangezogen 
werden, ist eine Veränderung mit ihnen vorzunehmen, 
deren Bedingungen im natürlichen Zustande nicht vor¬ 
handen sind. Die Natur schafft in ihrem Bereiche unter 
günstigen Verhältnissen und frei von schädigenden Ein¬ 
flüssen gewiss nur Vollkommenes, aber sie erfüllt nicht 
die Aufgaben der Kunst, die eine geistige, menschliche 
Thätigkeit zur Voraussetzung hat. Die Aufgabe der Natur 
ist in der Fortpflanzung gleicher Gattungen erfüllt. Alles, 
was sie hervorbringt, dient zum Schutze und zur Unter¬ 
stützung dieses Vorganges, dem eine allmähliche Zer¬ 
störung und das schliessliche Absterben folgt. Die Kunst 
dagegen bringt geistige Erzeugnisse hervor, die in ihrer 
Aneinanderreihung nur einen Vorgang stetiger Entwick¬ 
lung darstellen, wenn auch die Werke, woran jene Gei- 
stesproduete zum Ausdruck kommen, ebenfalls dem 
Naturgesetze der Vernichtung verfallen. Der durch die 
Natur geschaffenen Formen bedient sich aber die Kunst 
indem sie diese veredelt und ihren Schönheitsgesetzen 
unterordnet. 
Die Erfüllung künstlicher Schönheitsgesetze bei der 
Anwendung von Naturformen bezeichnet man als „Sty¬ 
lisierung“. Sie erscheint verschieden nach dem Grade der 
Cultur einer Zeit oder eines Volkes, beobachtet aber stets 
bestimmte Grundsätze der formalen Anordnung, der tech¬ 
nischen Ausführbarkeit und der praktischen Gebrauchs¬ 
fähigkeit. Diesen Bedingungen ordnet sich auch die 
Pflanze unter, wenn sie in den Dienst der bildenden 
Kunst tritt und erleidet dadurch Veränderungen, die theils 
von selbst durch diese Verwendung eintreten, theils durch 
den Willen des Künstlers in verständnisvollem Gebrauche 
hervorgerufen werden. 
Die formale Anordnung hat in erster Linie den Bau 
und die organische Entwicklung der Pflanze zu berück¬ 
sichtigen. Selbst bei der strengsten Stylisierung dürfen 
diese naturgemässen Vorgänge nicht unbeachtet bleiben 
und den richtigen Ansatz der Zweige, Blätter, Blüten 
und Früchte, die charakteristische Form und Bildung 
dieser Pflanzenbestandtheile sind unter allen Umständen 
bei der ornamentalen Umgestaltung festzuhalten. Die 
künstlerische Thätigkeit besteht dagegen vielmehr in der 
Unterordnung der Naturprincipien unter die tektonischen 
Anforderungen und die Regelmässigkeit der Anordnung 
und Vertheilung der pflanzlichen Motive.
	        
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