Volltext: I. Jahrgang, 1896 (I. JG., 1896)

Nr. 8. 
OBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG. 
Seite 67. 
werden. — Von den Pfeilern zwischen den Bogen ist 
nichts mehr zu sehen; sie sind mit Kasten verhüllt, in 
denen hinter belgischen Spiegelscheiben nur seidene Cra- 
vatten prangen. Auf diesen Gläsern und diesen Seiden- 
Cravatten ruhen fortan die fünf Stockwerke des riesigen 
Baues. Nebenan hat sich aber ein Zuckerbäcker ange¬ 
siedelt. Auch er breitet sich gewaltig aus, aber sein 
Gemüth schwärmt für Gothik. 
Das Portal seines neuen Geschäfts springt also in 
Spitzthürmchen und Fialen empor, zeigt zierliches Ma߬ 
werk, aber er liess es grün anstreichen, hat eine in Holz 
geschnitzte Firma in Fracturbuchstaben neben den lapi¬ 
daren seines Nachbars; im Uebrigen thut auch er ein 
Möglichstes in Spiegelscheiben und das Gebäude ruht 
nun in dieser Abtheilung auf Glas und Zucker waren. 
Dann kommt eine Modistin, welche ihr Gewölbe en rococo 
ganz goldig decorieren lässt, mit mächtigen plastischen 
Metallbuchstaben, und endlich eine Spielwarenhandlung 
mit einem Portal im Schweizerstyl. Zahlreiche Blechtafeln, 
rund, oval, viereckig, in allen Farben, vergoldet, schwarz 
und bunt, ragen auf Eisenstangen über das Trottoir 
herüber; es ist eine Lust, dabei noch an Palladio zu denken 
und an Scamozzi! 
Tausende wandeln heute durch die eleganten Strassen 
unserer Städte, bewundern die prachtvollen, stylvollen 
Architekturen, bewundern nicht minder die Fülle kost¬ 
barer Kunstindustrie-Artikel in den Auslagen, — dass 
aber diese Auslagen, selbst in ihren krassen Disharmonien 
der Formen, mit der brutalen Rücksichtslosigkeit ihrer 
Erscheinung sowohl gegen die Fagade des Hauses, in 
dem sie sich befinden, als gegen diejenige der Nachbar¬ 
geschäfte, alle Harmonie, alle Schönheit des Ganzen stören, 
das bemerken aber die Guten nicht! Und darin manife¬ 
stiert sich eben wieder die Verlogenheit, die Unwahrheit 
unseres modernen Kunstfanatismus und — Enthusiasmus! 
In der Theorie entwerfen wir herrliche Paläste, mühen 
sich unsere Architekten ab, um streng stylgerecht zu 
schaffen, erhebt sich ein furchtbares Geschrei unter den 
Kennern, wenn nur ein Ornament aus der Art geschlagen 
ist, — und wenn nun das praktische Moment seine Stimme 
erhebt, das wirkliche Lebensbedürfnis, dann lassen wir 
uns ohne weiteres alle unsere schönen Ideale, unsere festen 
Principien umwerfen und zerstören und nicht einmal der 
miserable Laden unterordnet sich dem Gesetze der Kunst 
und des Styles, sondern darf seinen Misston geben in das 
Ensemble, wie es dem Eigner beliebt. 
Aber mit den Läden ist es noch nicht abgethan. Oben 
wohnen auch noch Leute und auch die haben ihre Be¬ 
dürfnisse, ihre Interessen, an die Oeffentlichkeit zu treten, 
ihre Geschäfte, Bureaux, Comptoirs. Im ersten Stocke 
wohnt der Advocat; er hat die Säulen des Hausthores 
mit Blechtafeln überzogen, welche sich um deren feine 
Cannelüren den Kukuk kümmern, um nur recht auffallend 
zu verkündigen, dass Herr Dr. Johann Meyer im ersten 
Stock, Thür Nr. 6, logiert. Der Damen-Confectionssalon 
der Frau Anna Fischer im zweiten Stock hat gar ein 
schwarzes Schild von 10 Meter Höhe ausgehängt, welches 
quer über alle die zierlichen Fensterkrönungen und Cor- 
nichen hinwegläuft und sie unbarmherzig versteckt, die 
der Architekt doch so mühsam und geschmackvoll ent¬ 
worfen hat. Und selbst die Attica des Daches ist noch 
von der Riesenfirma einer Galanteriewaren-Fabrik ver¬ 
kleidet worden, die im fünften Stock ihr Wesen treibt. 
— Was bleibt da noch von der Architektur und warum 
bauen wir nicht einfach Kisten aus Ziegeln, damit sie 
mit Schildern bedeckt werden? Wozu plagen sich unsere 
Künstler noch mit Architektonik und Ornamentik und all 
dem veralteten, heute ganz zwecklosen Zeug!“ 
Das Acetyleugas als Triebkraft. 
Mitgetheilt vom Patentbureau J. Fischer in Wien. 
Der bekannte französische Techniker H. Ravel hat 
über das als Triebkraft zu verwendende Acetylengas 
einige sehr interessante Versuche gemacht, die zu prak¬ 
tischen Resultaten geführt haben. 
Die allgemeinen Eigenschaften des Acetylengases in 
Bezug auf dessen Verwertung als Motorgas sind dem¬ 
nach folgende: Schnelle Fortpflanzung der Flamme, nie¬ 
derer Entflammungspunkt (nahe an 480 Grad), hohe 
Verbrennungstemperatur; mit einem gleich grossen Volu¬ 
men Sauerstoff verbrannt, ergibt das Acetylengas 4000 
Grad, also 1000 Grade mehr als die Flamme beim Ver¬ 
brennen eines Sauerstoff-Wasserstoff-Gemisches. 
Der bei den Versuchen benützte Motor war ein 
Motor System Ravel mit veränderlichem Druck und elek¬ 
trischer Zündung. 
Nach den ersten Umdrehungen, die unter der Ein¬ 
wirkung der Explosion erfolgten, vernahm man harte 
metallische Schläge, welche den Motor in beunruhigender 
Weise in Vibration versetzten; man wollte ein Diagramm 
aufnehmen, doch wurde der Indicator unter der Gewalt 
der Stösse unbrauchbar gemacht. 
Nach der Reparatur wurden neuerliche Versuche 
gemacht und 8 Indicator-Diagramme aufgenommen. Durch 
diese Diagramme wurde festgestellt, dass der anfängliche 
Druck allerdings mit der Dosierungsmenge des zuge¬ 
führten Acetylengases steigt, dass aber sofort eine starke 
Verminderung des Druckes stattfindet, und die Expan¬ 
sion demnach nicht continuierlich ist. 
Wenn sich die Acetylenmenge dem Verhältnis von 
5 : 100 nähert, .werden die Explosionen brisant und die 
Vibrationen des Indicators vermitteln nur mehr ungenaue 
Angaben. 
Wenn man das Gesammtvolumen und die Ladung 
im Momente der Entzündung vermehrt, indem man gleich¬ 
zeitig den Druck um 0*750 Kilogramm pro Quadrat centi¬ 
meter vermindert, erhält das Acetylen eine grössere Ex¬ 
pansion und die geleistete Arbeit wird namhaft vermehrt. 
Man kann demnach annehmen, dass bei derartigen 
kleinen Motoren der Effect des Acetylens 2*1 mal grösser 
ist, als derjenige des Kohlengases. 
Der Verbrauch pro Stunde und Pferdekraft würde 
sich bei einem Drucke von 160 Millimeter Wasser auf 
453 Liter Acetylen stellen oder bei atmosphärischem 
Drucke auf 460 Liter, dem Gewichte nach 550 Gramm. 
Die Schlussfolgerungen Ravels sind nun folgende: 
Wenn man das Acetylengas in grösserem Quantum in 
dem Explosivgemenge benützt, ist die Explosion brisanter 
Natur und die geleistete Arbeit demnach verhältnismässig 
gering; wenn nun das Acetylen durch Hinzuführung 
atmosphärischer Luft verdünnt, liefert es nicht genug 
Wärme, um die Temperatur des Gasgemisches so zu er¬ 
höhen, dass dieses durch seine Ausdehnung eine öko¬ 
nomische Leistung abgeben würde. Das Gas findet 
vielleicht eine vorteilhafte Anwendung in Rotations¬ 
motoren oder Turbinen, doch stehen hier wieder bedeu¬ 
tende Schwierigkeiten praktischer Natur dessen Ver¬ 
wendung im Wege.
	        
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