Volltext: I. Jahrgang, 1896 (I. JG., 1896)

Seite 36. 
ÖBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG. 
Nr. 4. 
Häusern gab es ferner keine Wasserleitung und keine 
Gasbeleuchtung. Ueber die eine Treppe des Hauses gieng 
nicht nur der gesammte Küchen- und Wirtschaftsbedarf, 
sondern sämmtliches, im Haushalte nöthiges Wasser und 
das ganze Heizmaterial wurde darüber hinaufbefördert. 
Die Zimmer der einzelnen Stockwerke stiessen meist 
direct auf die Treppe, ein verschlossener Corridor für 
die einzelnen Wohnungen gehörte zu den Seltenheiten. 
Auch eine Waschküche war unbekannt. War bei einer 
Familie im Hause Waschfest, so wurde dies eben in der 
Wohnung abgehalten und die sämmtlichen Besucher und 
Insassen des Hauses durften durch den Waschbrodem 
hindurchgehen und denselben, der ja vom Treppenhaus 
mit Leichtigkeit in alle Zimmer drang, mitgeniessen. Oder 
es wurde die gebrauchte Wäsche monatelang aufgestapelt, 
bis soviel zusammen gekommen war, dass sich bei ent¬ 
sprechender Witterung ein Zug ins Freie zur Abhaltung 
eines grossen Waschfestes an fliessendem Wasser belohnte. 
Die Schilderung, welche Willibald Alexis in den „Hosen 
des Herrn von Bredow“ aus einer um mehrere Jahr¬ 
hunderte zurückliegenden Zeit von solch einem Haupt¬ 
reinigungstage gibt, ist durchaus nicht nur für jene 
fernliegende Reformationszeit giltig. Mit geringen Ab¬ 
änderungen haben sie auch unsere Eltern noch selbst 
kennen gelernt. 
Badezimmer im Hause waren ebenfalls ein unbekannter 
Begriff, kamen sie doch selbst in königlichen Schlössern 
damaliger Zeit nicht vor. Auch hier wurde im Bedarfs¬ 
fälle eine transportable Wanne in das Schlaf- oder Toiletten¬ 
zimmer hineingesetzt. 
Alles dies ist inzwischen anders geworden, und daraus 
sind eine Menge Veränderungen entstanden, an welche 
man in diesem Zusammenhänge wohl selten denkt. Allein 
mit dem Abschaffen des Wasserholens vom Brunnen ist 
eine ganze Reihe von Geräthen ausser Gebrauch gesetzt 
worden: die Eimer, die Wasserbottiche, die Träger, an 
denen die Eimer über die Schulter gehängt wurden. Und 
alle diese Geräthe waren im Laufe der Jahrhunderte 
Gegenstand der Volkskunst gewesen. Das Hausgeräth 
war geschmückt mit Schnitzerei und anderen Verzier¬ 
ungen; man hatte ihm eigenartige Formen gegeben, 
welche seinem Gebrauch entsprachen und auf diesen 
symbolisch hinweisen. Mit dem Augenblick, wo die Wasser¬ 
leitung ins Haus eingeführt wird, sind alle diese Kunst¬ 
formen ausser Cours gesetzt und gehören nur noch der 
Geschichte an. Ebenso ist es im Beleuchtungswesen. So 
lange man nicht verstand, die Kerzen mit gedrehten 
Dochten zu versehen, hatte man die Lichtputzscheren 
nöthig. Diese waren ganz besonders bevorzugt in Bezug 
auf künstlerische Durchbildung, und unsere Museen be¬ 
sitzen wahre Kunstwerke dieser Art. Sobald aber die 
Kerzenfabrication weiter fortschritt, war auch die Licht¬ 
putzschere ihres Amtes enthoben und verschwand von 
der Bildfläche. 
Wir haben in den letzten Jahrzehnten unser Bedürfnis 
nach künstlerischer Ausgestaltung unseres Hausrathes 
dadurch zu befriedigen gesucht, dass wir die Kunstformen 
vergangener Jahrhunderte copierten. Aber diese Formen 
waren nicht wie zur Zeit ihrer Entstehung der noth- 
wendige äussere Ausdruck der inneren Gebrauchsform, 
weil man meist nicht verstand, dieselben unseren modernen 
Geräthen anzupassen. So wurde das eigentliche Gebrauchs- 
geräth durch die Form unbequem und unpraktisch, ausser- 
dem gieng man ja noch weiter, indem man geradezu meist 
sinnlos und rein aus Alterthümelei ganze Geräthe aus 
der Rumpelkammer hervorsuchte und in die „styl vollen“ 
Einrichtungen hineinstellte, wie Spinnrad, Lichtputz¬ 
schere und dergleichen, mit denen man überhaupt nichts 
anzufangen wusste. So blieben die Kunstformen zum 
erstenmale völlig getrennt vom lebendigen Gebrauch, 
sie blieben eine rein äusserliche Staffage, die nicht mit 
dem Wesen der Gegenstände verwachsen konnte. 
Deshalb auch vor allem gelang es der Mode, in 
schwindelnder Hast uns durch die verschiedenen Style 
hindurch zu treiben. Und jetzt macht sich infolge dessen 
eine nicht zu leugnende Uebersättigung an den Kunst- 
formen geltend. Das Motto der Gegenwart heisst: Mög¬ 
lichst einfach 1 
Aber dieses Sehnen nach Einfachheit entspringt 
weniger dem Widerwillen gegen die Kunstformen über¬ 
haupt — denn das Verlangen nach Sclnnuckformen ist 
gerade in den breiten Schichten der Bevölkerung jetzt 
lebhafter als früher — -als vielmehr aus dem Widerwillen 
gegen die sinnlose Anwendung der alten Formen in 
unserer modernen Industrie. Wir haben in unseren Museen 
alte Vorbilder, welche uns die höchste künstlerische Ent¬ 
wickelung eines Gebrauchsgegenstandes zeigen. Diese 
sind Einzelschöpfungen hervorragender Künstler, aus 
einem eigenartigen Gedanken, für einen besonderen Zweck, 
für einen besonders kunstverständigen Besitzer unter Auf¬ 
gebot aller Kunstfertigkeit in bester Ausführung und 
schönstem Material geschaffen. Was hat die moderne Zeit 
damit gemacht? Wo sie ein solches Ding fand, was durch 
eigenartige Conception sich auszeichnete, ist sie hin¬ 
gegangen und hat es copiert, aber nicht copiert als 
Einzelwerk, wieder für einen Besitzer, als kostbare B» - 
Sonderheit, sondern für die maschinelle Vervielfältigung 
in so und soviele Dutzend und Gros; und das Ding, das 
in Si iner Einzelexistenz das Auge erfreute und den Geist 
durch den ihm zu Grunde liegenden Gedanken anregte, 
grinst nun von jedem Winkel her dem Kunstverständigen 
entgegen, entweiht seines intimsten Reizes beraubt durch 
die schablonenhafte Maschinenarbeit und noch dazu meist 
durch das gemeine Surrogatmaterial, in dem es für ein 
paar Pfennige zu haben ist. Eine Silberschale des Ben¬ 
venuto Cellini in erbärmlichster Majolika oder Gipsguss 
mit Bronze beklext und ähnliches mehr 1 So ist die Form, 
die an sich schön und zweckmässig war, dem Auge ver¬ 
leidet, sie ist unerträglich geworden. 
Natürlich hat die Industrie auch noch in anderer 
Beziehung die Kunstform zu vergewaltigen verstanden. 
In dem Streben nach stylvollen Formen, auf der Suche 
nach Motiven möglichst erhabener Art, war es ihr sehr 
gleichgiltig, wo sie dieselben fand und ob diese auch 
wirklich zu dem modernen Zwecke passten. Der Stuhl, 
welcher als Ehrensitz für den Chef des fürstlichen König¬ 
hauses der Fugger mit vollem Rechte eine Bekrönung 
der Lehne erhielt, um der Gestalt des Hausherrn ein 
würdiges Relief zu geben, musste als Vorbild dienen für 
die modernen Speisezimmerstühle, hundertweise gefertigt 
und dutzendweise in einem Raum nebeneinander gestellt 
in den modernen Mietsräumen. Oder man nahm den 
Sakristeischrank einer Kirche und machte danach ein 
modernes Buffet. Dann darf man sich nicht wundern, 
wenn man auch heute noch in der Berliner Gewerbe¬ 
ausstellung 1896 Formen findet, die jedenfalls, gelinde 
gesagt, nicht zu den betreffenden Möbeln gehören; auf 
Betten Rococoaufsätze von grossen Altaraufbauten, oder 
aut' einem Schrank einen Barockgiebel, welcher für ein 
Kirchenportal völlig ausreichen würde.
	        
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