Volltext: I. Jahrgang, 1896 (I. JG., 1896)

Nr. 1. 
OBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG. 
Seite 3. 
langsameren Bauen, wo man dem Mauerwerk gehörig 
Zeit zum Austrocknen lassen konnte, liegt wohl ein Haupt¬ 
grund des früheren innigeren Zusammenhanges der Ma¬ 
terialien. In unserer Zeit, und das wird jeder der wirklich 
gebaut hat zugeben, ist der Baumeister in der schlimm¬ 
sten Lage; nicht leicht muss ein anderer dem Zeitgeist 
mehr dienen als er. Die Selbstsucht hat heutzutage eine 
Masse von Bauherren geschaffen, die es weder durch 
Beruf sind, noch die gehörigen Kenntnisse haben es zu 
sein, noch die Mittel besitzen, das durchzuführen, was sie 
angefangen. Diese sogenannten Bauspeculanten, die ein 
Gebäude nicht als Besitz, sondern nur als Ware betrach¬ 
ten, sind die eigentlichen Krebsschäden unserer jetzigen 
Baukunst. Diese Herren fangen damit an, dass sie die 
Zinsen berechnen, welche ihnen das Gebäude abwerfen 
soll, oder durch welche sie einen Käufer zu gewinnen 
hoffen. Um die Zinsen zu erhalten, wird eine Summe 
festgesetzt, die nicht überschritten werden darf, wenn 
diese herauskommen sollen. Für diese Summe wird nun 
möglichst viel verlangt. Das Gebäude muss, weil es wäh¬ 
rend des Baues keine Zinsen gibt, in einer Zeit fertig 
sein, in welcher es nicht gut herzustellen ist. 
Das Austrocknen der Umfassungs- und Scheidewände 
wird durch den Anwurf, das Austrocknen des Anwurfs 
durch die Tapeten verhindert, bis alles gemeinschaftlich 
sich zerstört, und der Anwurf mit der Tapete abfällt. 
Die Baukunst dient hier nur als feiles Mittel. Aufs 
Aeussera wird gerade so viel gegeben, um anzulocken. 
Alles soll solide aussehen, und daher muss das Gebäude 
den Anschein haben, als sei es von Werkstücken gebaut. 
. Das Material sehen zu lassen wäre eine Thorheit, man 
würde zeigen, dass es schlecht, zu schwach etc. ist, es 
wird also alles maskiert und zeigt ein Gesicht, welches 
sich nur zu bald demaskiert; Es ist in der That ein 
Jammer dieses Verfahren mit anzusehen und ihm nicht 
steuern zu können. Der Vorwurf aber, dass die Bau¬ 
meister hieran allein die Schuld tragen, ist zu unbegründet, 
um nicht deren Partei zu ergreifen. Fast in allen Städten 
gibt es indessen einige Baumeister,1 die mit Recht als 
die Sündenböcke .mitangesehen werden müssen; die¬ 
selben leisten den Bauspeculanten allen Vorschub und 
sich selbst schlechte Dienste, indem solche Bauübernehmer 
nur selten ihre Rechnung dabei finden, aber sie verder¬ 
ben ihren Collegen das Handwerk, und was das schlimmste 
ist, sie schaden der ganzen menschlichen Gesellschaft da¬ 
durch, dass sie der Gesundheit so nachtheilige Gebäude 
aufführen. Von Seite des Staates sind manche Sdhritte 
geschehen, um solchen Unwesen zu steuern, sie haben 
aber nicht viel geholfen. 
Unsere Humanität verbietet uns Gesetze zu geben, 
die die Freiheitsrechte kränken könnten, nun hat man 
also das Recht, schlecht zu bauen, den Leuten noch nicht 
streitig machen können; die Bauspeculanten verursachen 
den Baumeistern doppelten Schaden, indem sie nicht nur 
die von ihnen benützten Bauunternehmer auf keinen 
grünen Zweig bringen, sondern auch andere, die so glück¬ 
lich sind sich von. ihnen nicht in Anspruch nehmen zu 
lassen, verhindern gute Bauwerke denen zu liefern, die 
auf dem halben Wege sind einzusehen, dass im 19. Jahr¬ 
hundert jede Sache ihren Wert hat, und dass die Bau¬ 
materialien ihrer Güte nach sehr verschieden im Preise 
sind. Schwer sind allerdings auch diese Bauherren zu 
überzeugen, dass zwischen einem guten und einem schlecht 
gebauten Wohnhause ein grosser Unterschied sei. Die 
Beurtheilung eines Neubaues ist für Nichtkenner gewiss 
keine leichte Aufgabe, sie müssen sich daher auf einen 
zuverlässigen Beurtheiler verlassen, und trauen sie sich 
selbst ein Urtheil zu, so sind oft später gemachte Er¬ 
fahrungen ein theurer Lehrmeister. — Durch eine ver¬ 
ständige und unparteiische Kritik in Fachorganen könnte 
diesem Uebel vielleicht gesteuert werden. — Wir wollen 
demnächst einen Versuch machen. Kornhoff er. 
Ueber Grussstahlglocken. 
Von unserem Mitarbeiter Herrn Baumeister H. Altendorff, Leipzig. 
Während man früher nur Glocken aus Bronze kannte 
und dieses Material allein für die Kirohenglocken ver¬ 
wendbar hielt, hat in neuester Zeit der Gussstahl eine 
ausgedehnte Verwendung für den Glockenguss gefunden 
und scheint wegen seiner Wohlfeilheit, sowie vieler anderen 
Vorzüge die Bronze verdrängen zu wollen. Ein grosses 
Verdienst um diesen Fortschritt hat sich der „Verein für 
Bergbau und Gussstahlfabrication in Bochum“ erworben, 
derselbe besteht seit dem Jahre 1854 und beschäftigte 
sich, ausser mit der Herstellung von Eisenbahn-Bedarfs¬ 
artikeln, sehr bald auch mit dem Glockenguss, er ent¬ 
faltete hierin eine bedeutende Thätigkeit und da diese 
neuen Glocken nicht nur billig, sondern auch wohlklingend 
und haltbar waren, so fanden sie bald vielen Beifall und 
eine weite Verbreitung. Zunächst wurden sie allerdings 
nur von wenigbemittelten Gemeinden für ihre Kirchen 
erworben, während die reicheren Kirchen bei der Bronze 
blieben, gegenwärtig werden sie jedoch auch von diesen 
gern genommen und in allen Welttheilen sind jetzt Guss¬ 
stahlglocken aus Bochum zu finden. .Die von dem genannten 
Verein alljährlich veröffentlichten Berichte und Prospecte 
geben über den Fortschritt der Gussstahlglocken-Industrie 
nähere Auskunft, auch enthalten sie die von den Kirchen¬ 
behörden ausgestellten Zeugnisse, aus denen wir ersehen 
können, dass die Glocken von Gussstahl nicht nur eine 
edle Harmonie, sondern auch eine grosse Dauerhaftigkeit 
besitzen und noch niemals gesprungen sind, was bekannt¬ 
lich bei Bronzeglocken öfter vorkommt. Man verdankt dies 
in der Hauptsache dem guten Material und der grossen 
Sorgfalt, die in Bochum auf die Herstellung der Glocken 
und des Läutezubehörs verwendet wird, letzteres ist eben¬ 
falls aus bestem Metall gefertigt, die sogenannten Glocken¬ 
lager wurden patentiert, sie bedürfen keiner Einstellung 
und erleichtern das Läuten sehr. 
Anfangs hat man freilich auch diesen Leistungen 
grosses Misstrauen entgegengebracht und die Gussstahi- 
glocken konnten nicht gleich, besonders für kirchliche 
Zwecke, Eingang finden, im Laufe der Zeit änderten 
sich aber die Ansichten hierüber vollständig und heute 
ist ihre Aufhängung in den Kirchthürmen der Katholiken, 
Protestanten etc. etwras ganz gewöhnliches. Mit ihrer Aus¬ 
breitung hat natürlich auch eine Ausdehnung der Fabrik 
in Bochum stattfinden müssen, die Werkstätten derselben 
gehören bekanntlich zu den grossartigsten auf der Erde, 
in ihnen sind täglich gegen 4000 Arbeiter beschäftigt, 
ausserdem enthalten sie 230 Dampfkessel, viele Dampf¬ 
maschinen mit zusammen 11.000 Pferdekräften und eine 
grosse Anzahl von Arbeitsmaschinen bester Construction. 
Vermöge dieser vortrefflichen Einrichtungen kann der 
Bochumer Verein auch Grossartiges, Gediegenes und Voll¬ 
kommenes leisten; mit grösster Sorgfalt werden alle Ar¬ 
beiten hier ausgeführt, die Glocken erfahren eine genaue
	        
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