Volltext: Eckart Nr. 5 1913/14 (Nr 5 / 1913/14)

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Ironie nicht über dein Ganzen „wie ein göttlicher Hauch" als von dein 
Dichter ausgehende Kunst der Darstellung, sondern sie war eine Seelen 
verfassung einzelner Personen des Dichtwerkes und wirkte damit bestimmend 
auf den Gang der Ereignisse. Sie war also bei ihm noch kein ästhetisches oder 
auch technisches Moment, sondern bestand in der seelischen Veranlagung 
einer Figur, alle Dinge subjektiv zu betrachten, sowohl die Außenwelt als 
das eigene Ich mit seiner Innenwelt, und damit ihnen die Wirklichkeit ab 
zusprechen. Diese Ironie konnte zwangsweise, also krankhaft auftreten, 
oder auch freiwillig sein. Brüggemann hat in seinem Buche: „Die Ironie 
als entwicklungsgeschichtliches Moment" diese Art eingehend behandelt, 
ausgehend von Tiecks Roman „William Lovell". 
Einige kurze Beispiele werden den Begriff dieser Ironie erläutern 
können. William Lovell ist ein Mensch, bei dem die Empfindung über dem 
Verstände steht. Er lebt unter einer andauernden übertriebenen Empfind 
samkeit oder einem „Enthusiasmus", was bei Tieck dasselbe ist, tritt aber 
seinem Enthusiasmus nicht naiv entgegen, sondern kritisch. Damit ironisiert er 
sich schon selbst, und zwar bis zu einem erschreckenden Skeptizismus. Er hält 
es für unmöglich, durch das Denken zur Wahrheit zu kommen; denn die 
Vernunft bringt uns „in eine schwindelnde Höhe, wo der Wahnsinn droht, 
und der Mensch wirft sich wieder zur Erde, um sich zu retten". So handelt er 
auch: er wirft sich zur Erde nieder, um seinen Verstand zu behalten, er gibt 
das Streben nach Wahrheit auf, läßt sich bewußt täuschen, und will aus 
dieser Willk ürdas Recht zu jeder Handlung herleiten. Somit besteht die 
Ironie hier in einem Verzichtleisien auf die Reflexionen und die Ergebnisse 
des gesunden Menschenverstandes, auf die Erkenntnis des Wesens der Dinge. 
Dadurch hat William einen Vorwand gewonnen zum Sinnenrausch, zur 
moralischen Willkür, die allerdings anfangs noch viel zu heftig begehrt und 
durchgeführt wird, als daß man William schon volle Ironie, lächelnde, 
grinsende Blasiertheit in diesem Falle, zuschreiben könnte. Aber die Sinn 
lichkeit stumpft sich ab, die Menschen werden Lovell mehr und mehr zu „un 
beholfenen Maschinen", die Gegenstände erscheinen ihm als „leere Formen, 
als wesenlose Dinge", und so verführt er die Schwester seines Freundes, 
Emilie, aus reiner Ironie, aus Spielerei, und schreibt selbst darüber: „Ich 
übte eine Rolle an ihr, und sie kam mir mit einer andern entgegen; wir 
spielten mit vielem Ernste die Komposition eines schlechten Dichters, und 
jetzt tut es mir wieder leid, daß wir die Zeit so verdorben haben" (III. Buch, 
S. 99*). Die Ironie hat sich also aus einer anfangs passiven, unbewußten 
in eine positive, willkürliche entwickelt. 
Das mag genügen, um des jungen Tieck praktisch angewandte Ironie 
zu zeigen, soweit er sie vor der Prägung des Schlagwortes der „romantischen 
*) Zitiert nach der ersten anonymen Ausgabe des Romans in Berlin bei 
Nicolai, 1798—96.
	        
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