Volltext: Der Volksbote Linz 1932 (1932)

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„Und wo die Bedingungen fehlen, daß etwas werde, da wird auch nichts. 
Aufgabe unserer Staatsmänner wird es fein, jetzt wieder solche Faktoren zu 
setzen, aus denen vermöge der in ihrer Natur gegründeten Wechselwirkung 
als Produkt die Macht und Wohlfahrt des Reiches sich ergibt. Gleich das 
Produkt Haben wollen, ist Torheit!" „Zwangsarbeit nenne ich es," schreibt 
Stifters „wenn ich klar Wahres verleugnen, dem Gegenteil mich schweigend 
fügen und es fördern muß!" 
Die Reaktion, die politische Drosselung jeder geistigen Entwicklung, ge 
wann in den Folgejahren endlich wieder die Oberhand. Bekannt ist Grill 
parzers Ausruf aus jenen Tagen: 
„Hört ihr Leut' und laßt euch sagen, 
Der Kultus hat den Unterricht erschlagen!" 
Stifter aber, der Selbsterzieher, hämmerte auch diesen Schmerz zu Gold. 
Alle Kräfte, die sich nach außen in der Volksgemeinschaft nicht fruchtbar 
offenbaren und verlebendigen konnten, die bei so vielen Menschen als Ge 
beugte, Geschlagene müde zurückkehren in das Menschenherz von der jubeln 
den, hoffnungsreichen Fernfahrt ins Menschenland, alle die nichterfüllten 
Lebensträume seiner Dichterseele nahm er zurück in sein eigenes Inneres, ein 
Leben beseelter Ordnung, erlösender und selbsterlöster Harmonie gestaltend. 
Im „Nachsommer", jener tiefschürfenden Erziehungsdichtung, die unsere 
heutige Zeit ob ihres Umfanges nicht „Zeit" hat zu lesen, liegen Worte tiefster 
Lebensharmonie: „Jedes Ding und jeder Mensch kann nur eines sein, dieses 
aber muß er ganz sein." — „Der Mensch ist nicht zuerst der menschlichen Ge 
sellschaft wegen da, sondern seiner selbst willen" — und „Das Beste, das der 
Mensch für einen anderen tun kan, ist immer das, was er für ihn ist". 
Wie Stifter als Wegverkünder zur Menschwerdung seines Volkes Fichtes 
und Herders Gedanken auswirkte in seiner Umwelt, so gestaltete er als 
Selbsterzieher das klassische Bildungsideal Goethes in seinem Leben, das sein 
schönstes Kunstwerk ist, das nachleuchtet in Tagen der Unrast und Ratlosigkeit 
zur Beispielserziehung für das ganze Volk. 
Während die erwachende liberale Zeit mit dem noch heute sieghaften 
Kampfruf „Wissen ist Macht" einer einseitigen Herrschaft des Verstandes und 
in der Folge einer rein verstandesmäßigen kritischen Einstellung des mo 
dernen Menschen zum Durchbruch verhalf, die übersah, daß der Mensch auch 
eine Seele, ein nach innerem Erleben dürstendes Gemüt habe und sich in 
der Mechanisierung des Geistes, in der Rationalisierung des äußeren Lebens 
übersteigerte, suchte Stifter in der Nachfolge. Goethes und der Träger des 
deutschen Idealismus die inneren besonderen Werdegesetze zu erfühlen und 
in den vielfältigen Gesetzen alles Lebens den Willen der Gottheit zu ahnen. 
„Jede rechte Bildung ist bildend, formend, schöpferisch und also künstlerisch": 
wie der schaffende Künstler im rohen Block schon die Gestalt des noch in ihm 
schlummernden Kunstwerkes ahnend vorfühlt und nach den inneren Gesetzen 
des Darzustellenden aus dem Stoff zum Leben formt — so hat auch wahre, 
kulturbauende Volksbildung abseits von bloßer Wissensanhäufung, die Idee 
der Volkheit in sich tragend, aus der Materie der Masse nach ihrem beson 
deren Lebensgesetz das Volk zu „bilden". 
Immer wieder fällt es dem Stifters Schriften mit Aufmerksamkeit Lesen 
den auf, daß er noch im Sinne Goethes die uns heute gleiches besagenden 
Wörter „Verstand" und „Vernunft" scharf trennt. Goethe sagt: „Der Ver 
stand reicht zur Natur und Schöpfung nicht hinauf. Der Mensch muß fähig 
sein, sich zur höchsten Vernunft erheben zu können, um an die Gottheit zu
	        
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