Volltext: Heimatland Wort und Bild aus Oberösterreich Nr. 4 1924 (Nr. 4 / 1924)

Künstliche Menschen. 
Plauderei von Werner Stark. 
(Nachdruck verboten.) 
Der faustische Traum vom Homunkulus, vom künstlichen 
Menschen, ist keine Erfindung des Goetheschen Dichtergenius. 
Er gehört zu den uralten und ewig unerfüllten Menschheits— 
träumen. Phantasten und Gelehrte aller Zeiten haben sich 
nit dem seltsamen Gedanken beschäftigt, das Ebenbild Gottes 
nachzuschaffen — ein vermessenes unb vergebliches Unter— 
angen. 
Die Weltgeschichte weiß zu erzählen, wie oft man es 
schon versucht hat, Figuren herzustellen, die imstande wären, 
wenigstens eine der vielen Arbeiten des Menschen auszuführen. 
Wohl berichtet die Sage von manchen derartigen Geschöpfen, 
ber in Wirklichkeit kann man von „künstlichen Menschen“ 
nur bei den „Androiden von Droz“, so genannt nach ihrem 
Erfinder, reden. 
Pierre Jacques Droz wurde im Jahre 1721 im Markt— 
flecken Chaux-de-Fonds im Fürstentum Nauenburg geboren. 
Henaues über seine Jugend weiß man nicht. Man nimmt 
er an, er habe eine Lateinschule besucht und wollte sich 
dem Priesterstande weihen. Bestimmt weiß man jedoch, daß 
ex im Jahre 1742 die Baseler Hochschule als Theologe ver— 
lassen hat. Er legte bald, teils wegen seines Hanges zur Me— 
hanik, teils weil er keine Stelle als Pfarrer finden konnte, 
Stola und Brevier weg und wurde Uhrmacher. Dieser Beruf 
war ja seiner Familie eigen: Sein Großvater hatte im Jahre 
1679 zusammen mit einem gewissen Richard die Taschenuhren— 
ndustrie am Genfer See gegründet. Auch hat der letzte Vor— 
tahre von ihm, Jean Droz de Corselles, im Jahre 1303 dort 
eine Waldrodung angelegt, wo heute die Hochburg der Uhren— 
industrie liegt: in Le Locle. 
Bevor er das Werk begann, von dem ich hier reden will, 
soll er angeblich an der Ausführung kunstvoller Uhren ge— 
arbeitet haben. Auch sagt man ihm nach, daß er ein perpetuum 
mobile bauen wollte. Aber alle diese Angaben sind unsicher. 
Nachdem er eingesehen hatte, daß er durch die Versuche, 
ein perpetuum mobile zu konstruieren, nicht zum Ziele kommen 
werde, so beschäftigte er s mit der Herstellung einer Uhr, 
velche sich durch die verschicdene Ausdehnung zweier Metalle 
in der Wärme immer von wepp wieder aufzog. Und diesmal 
waren seine Bemühungen nicht vergebens: Das Kunstwerk 
war vollkommen in jeder Beziehung. Diese Uhr war die Quelle 
seines Glückes. Marechal, der Gouverneur von Neuchatel, 
and Gefallen an ihr und ließ sie an den Hof zu Madrid bringen. 
So wurde Droz dem Könige bekannt gemacht. Er verfertigte 
auch für den schwachsinnigen Ferdinand, der damals in Spanien 
— — 
äuschend nachahmte. Der Monarch fand Gefallen an dem 
Werkchen und kaufte es dem Künstler für 9000 Mark ab. 
Durch diesen Erfolg ermutigt, beschloß Droz, etwas noch 
e Dagewesenes zu konstruieren. Und so entstanden die zwei 
ünstlichen Menschen, die Androiden“: Der Schreiber und der 
Zeichr.— J I 
Die Androiden sind kleine, in Puppen eingesetzte Mecha— 
nismen, deren Hauptbestandteil eine vierzigteilige Scheibe ist. 
In den Umfang eben dieser Scheibe werden verschieden lange 
Stahlzähne eingesetzt. Diese wieder bringen die Bewegungen 
der Figur hervor: Das Eintauchen der Feder in die Tinte, 
den Wechsel der Zeilen und das Schreiben der Buchstaben. 
Fast alle Zeichen kann dieser unmenschliche Mensch zustande 
cringen.“ Es fehlen ihm nur ein kleiner und elf große Buch— 
taben. Die linke Hand des Schreibers schiebt das Papier 
weiter, während die Rechte die Lettern zeichnet. In einer 
alten Handschrift über den Drozschen Androiden heißt es, 
er schreibe das, „was man ihm nach Belieben diktiert, ohne 
daß man ihn mittelbar oder unmittelbar berühre“. Dies ist 
natürlich nicht der Wahrheit entsprechend. J 
Der Schreiber arbeitet ungefähr so: Jeder der im Umfang 
ingesetzten Zähne hat eine andere Aufgabe. Es bedeutet 
uͤm Beispiel der Zahn 1 „eintauchen“ der Zahn 2 „We usw. 
durch Druck auf diese Stäbe schreibt nun das Unikum die ver— 
angte Schrift. 
Im Jahre 1765 war der Schreiber fertiggestellt. Nicht 
ange darauf hat Jacques Droz einen ebenso großen Erfolg 
zu verzeichnen: Den Zeichner-Androiden. Dieser kann jedoch 
uur vier Figuren zeichnen; nämlich Ludwig XV. einen kleinen 
zund, den Kopf Georgs und den Charlottes von England. 
Wenn man im Jahre 1768 vom „großen Droz“ sprach, 
o sprach man mit ebenso großer Bewunderung und Anerken— 
iung von seinem 16jährigen Sohne Henri Louis Jacques. 
dieser, im Jahre 1752 geboren, ging schon in seinem fünfzehnten 
dahre an die Universität zu Nanch, um dort Mathematik 
ind Mechanik zu studieren. Als er die „Alma mater“ verließ, 
prach man von ihm bereits als das „Genie der Mechanik“. Er 
bidmete sich dem Berufe seines Vaters und vollbrachte ebenso 
Hroßes, ja man kann sagen, noch Größeres als jener.. 
Mit seinen beiden Androiden, dem „Schäferidyll“ und der 
Orgelwerksspielerin“, können weder Schreiber noch Zeichner 
ich messen. Der erstere stellt eine Landschaft dar, „eine schwei— 
exische Landschaft“, wie es in der Schilderung des Franzosen 
gernoulli heißt, „mit Felsen umringet, mit welchen die Sonne— 
iufgehet, auf eine Weise, welche mit dem Sonnenlaufe auf 
mserem Horizonte vollkommen übereinkömmt“. In dieser 
randschaft gibt es nun einen Hirten, der eine Flöte bläst. 
rine Schäferin spielt auf einer Zither, wird aber in ihrem Kon— 
zerte durch die Ankunft eines Bauern, der den Besitzer der 
Zennwirtschaft darstellen soll, gestört. Sie verschwindet in 
der Hütte, welche im Hintergrunde steht, während der Bauer 
rus dein Stalle einen mit einem Mehlsacke beladenen Esel 
solt und vor sich hertreibtt. 
Weit weniger Eindruck macht auf den Beschauer die 
Orgelwerkspielerin“. Aber dennoch ist von allen vieren gerade 
ieser Android der kunstvollste. Man hat lange das Werk als 
zarmonium oder Klavier bezeichnet. Aber mit Unrecht. Denn 
egelrechte, hölzerne Orgelpfeifen sind es, die das Werk zum 
ẽrtönen bringen. Die Hände der Gestalt bewegen jede der 
zwölf Tasten, so daß sie fünf Musikstücke spielen kann. 
Im Herbste des Jahres 1790 trauerte die ganze Welt. 
am Grabe des Pierre Droz; und ein Jahr später wurde auch 
her jüngere der beiden unvergleichlichen Kuͤnstler zur ewigen 
Ruhe getragäe. 
Was spãter mit den vier Kunstwexken geschehen ist, wissen 
vir nicht. Die einen Forscher meinen, sie wären in Amerika 
gewesen, während die anderen auf Grund einer Nachricht zu 
jlauben wissen, daß sie in einem Schlosse zu Frankreich ge⸗ 
landen sind. Jedenfalls war der Aufbewahrungsort ein nicht 
gerade günstiger, denn unverständige Leute haben den künst⸗ 
schen Menschen arg mitgespielt. Sie wurden in den ersten 
— und von 
em deutschen Chronometermacher Emil Froelich repariert. 
Sie 8* jetzt im Museum von Neuchatel aufbewahrt und aus- 
gestellt. X I — 
Auch später haben Nachrichten von künstlichen Menschen 
iel Auffehen erregt. So zum Beispiel der „Schachspieler“. 
Lange Zeit glaubte man, es hier wirklich mit einem Androiden 
u tun zu haben, bis endlich doch der Schwindel aufgedeckt 
vpurde. Es war nämlich in die Figur auf-kunstvolle Weise 
Platz für einen Menschen eingefügt worden, welcher die Funk 
ijonen des Schachspielers ausführte. So ist denn das Werk, 
velches die beiden Droz geschaffen haben, bisher unüber⸗ 
roffen geblieben. 
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