Volltext: Illustrierte Kriegsbeilage Nr. 37 1916 (Nr. 37 1916)

Sonntag, 10. September 
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*Rud) ein Field. 
Kriegserzählung aus dem Lande der Karpathen. 
Von W. Al ex y. (Nachdr. Verb.) , 
Während der Krieg an der Grenze Ungarns 
wütete und die Russen vor den Karpathen Stellung 
genommen hatten, wurde besonders die Dees- 
Bistrizer-Eisenbahn samt ihren Zweigen nach 
Nagybanya, Klausenburg, Szigeth und anderen 
Plätzen dazu benützt, Truppen und Kriegsmaterial 
von einer Station zur anderen zu befördern. Sie 
war deshalb zur Behauptung jenes Teiles des Lan¬ 
des unumgänglich notwendig. 
Die mit den Russen sympathisierenden Russo- 
philen — es befanden sich solche in diesem Teile 
des Landes — benützten jede Gelegenheit, um die 
Gleise dieser wichtigen Eisenbahn womöglich zu 
zerstören, unbefahrbar zu machen. 
Die Russophilen fürchteten, die Soldaten offen 
anzugreifen, da sie schwach an Zahl waren, aber, 
um eine Schiene zu verschieben, einen Baumstamm 
über das Gleise zu legen oder eine Weiche falsch zu 
stellen, in der Absicht einen Bahnzug, mit Soldaten 
oder Kriegsmaterial beladen, in eine tiefe Schlucht zu 
stürzen, deren es hier so viele gibt, dazu gehört 
wahrlich kein großer Mut. 
Die Bahn wurde so gut als möglich durch 
kleine Truppen-Abteilungen bewacht, welche an 
bestimmten Plätzen aufgestellt waren. Nichts¬ 
destoweniger gibt es manche einsame Orte an der 
Bahn, manche Schluchten, wo der feige und ge¬ 
wissenlose Rebell sein böses Werk ohne Störung 
vollbringen kann. 
Zu der Zeit, von der ich rede, wohnte dort, 
wo die Hauptbahn durch zwei andere Gleise durch-' 
schnitten wird, der Bahnwächter Florian Cs..., 
dessen Amt es war, die Gleise an jener wichtigen 
Stelle für die verschiedenen Züge zu stellen. 
Florian Cs... ist Ungar mit Leib und Seele, 
wie auch einer der ältesten und treuesten Bahn¬ 
wärter. Er kennt fast jeden Zoll der Bahn inner¬ 
halb eines Umkreises von über 100 Meilen wie 
ein Biber seinen Bau. 
Florian wohnte allein mit seiner kränklichen 
Frau und seinem Jüngsten, dem 13jährigen 
Stephan. 
Obgleich „Florians Hotel", wie die Leute das 
Häuschen nennen, völlig einsam liegt, so war und wird 
es heute noch von den Leuten der Umgegend oft auf¬ 
gesucht, da Florian allerlei Getränke, Speck, Brot und 
Tabak verkauft. Seine einfache Wohnung ist bisweilen 
so gesteckt voll mit Leuten wie eine Dorfschenke. 
An einem bitterkalten Abend, nachdem Florian den 
ganzen Tag an der Bahn beschäftigt gewesen war, in¬ 
dem ein Zug nach dem anderen, mit Soldaten beladen, 
das Wächterhäuschen passiert hatte, versammelten sich 
eine Anzahl von Männern in dem größten Zimmer des 
Häuschens, das als Trinkstube galt. Da sah man Bahn¬ 
arbeiter, Holzknechte und Bauern. Sie besprachen die 
militärischen Bewegungen. 
Der alte Florian stand hinter dem langen Tische, 
der ihm als Schenktisch diente und reichte seinen Gästen 
Branntwein. Seine Frau kochte im anstoßenden Zimmer 
und der kleine Stephan saß, halb schlafend, in der Ecke 
des Kamins. Er hatte fast den ganzen Tag seinem 
Vater bei der Arbeit geholfen, war daher sehr müde 
und schläfrig, als die Ofenwärme seinen Körper an¬ 
genehm erwärmte. 
Stephan kümmerte sich nicht um das laute Gespräch 
um ihn herum. Doch plötzlich wurde seine Aufmerksam¬ 
keit durch das leise Geflüster zweier Männer gefesselt, 
welche nahe bei ihm saßen. 
Er war ein schlauer Junge; ohne nur den Kopf zu 
bewegen, schielte er nach den Männern hin und er¬ 
kannte in einem derselben Vojn Zwies, einen allgemein 
bekannten Russophilen, der in der Nachbarschaft wohnte 
und schon mehrere Male unter die strengste Aufsicht 
der Behörden gestellt worden war. Stephan gab kein 
Zeichen von sich, daß er aus seinem Schlummer erwacht 
Das Kriegsfenster der Wfarre Koiflnzel. 
: Artikel „Kriegerdenkmale".- 
sei und so lauschte er auf das Gespräch der beiden, 
welches in flüsterndem Tone fortgesetzt wurde. 
„Ich sage dir", sagte der eine, „es kann nicht fehl¬ 
schlagen. Der Zug mit zwölf Wagen und mehr als 
1200 Soldaten wird Sz... s Station in fünf Stunden 
erreichen." 
König Aerdinand von Anrnänien. 
„Aber die Weiche, die ungebrauchte Bahn¬ 
weiche?" frug der andere. 
„Ist vollkommen losgemacht, verlaß dich 
drauf. Die Nägel, welche die Schienen an die 
Querbalken befestigen, sind zerbrochen. Wenn der 
Zug Sz...s Station erreicht, so wird er, anstatt 
gradaus zu fahren, in das alte, zerbrochene 
Gleise einbiegen, ungefähr 150 Meter darauf 
weiterfahren und dann mit Sack und Pack in 
den Abgrund rollen" 
„Gut. Wollen wir hier bleiben?" 
„Ja. Um Verdacht zu vermeiden, wird es 
besser sein, daß wir hier sitzen bleiben, bis die 
Geschichte vorüber ist." 
Die Sprecher tranken ihre Gläser aus und 
begaben sich an den langen Tisch, um sich die¬ 
selben von Florian tata füllen zu lassen. 
Stephan kennt die Stelle, von der die 
Männer sprachen, sehr gut, es ist dies eine ver¬ 
lassene Station auf der Hauptbahn, ungefähr 
25 Kilometer von dem Wächterhäuschen entfernt. 
Während des Baues der Eisenbahn wurde eine 
Bahnweiche an diese Stelle angebracht, durch 
die ein Zug von dem Hauptgleise auf ein kür¬ 
zeres geleitet werden konnte, um das Baumaterial 
den Arbeitern an der Eisenbahn zuzuführen. 
Dieses Seitengleise war nur 100 bis 150 Meter 
lang und endete an dem Rande eines sehr steilen 
und tiefen Abgrundes, in den die Arbeiter Steine 
und Erde warfen, die ihnen bei der Arbeit hin¬ 
derlich waren. Das alte Gleise wurde zwar nicht 
mehr gebraucht, als die Eisenbahn beendet war, 
doch wurde es nicht aufgerissen, sondern samt 
der Weiche, die es mit dem Hauptgleise verband, 
beibehalten, um irgend einem Notfälle vorzu¬ 
beugen, der sich ereignen möchte, wie, um zerbro¬ 
chenen Wagen einen zeitweiligen Aufenthaltsort 
zu geben, um Baumaterial zum Reparieren da 
aufzubewahren und zu ähnlichen Zwecken. Die 
Weiche samt den Kuppelstangen wurden da¬ 
gelassen, aber die Schienen der Hauptbahn da¬ 
durch unbeweglich gemacht, daß sie an die Quer¬ 
balken festgenagelt wurden, um das Knarren 
und Schütteln zu vermeiden, welches verursacht 
wird, wenn ein Zug über eine Weiche fährt. 
Nach dem Geflüster zu schließen, welches Ste¬ 
phan erlauscht hatte, mußten die Verschworenen 
die Schienen losgemacht, die Weiche geöffnet, da¬ 
durch die Verbindung der Hauptbahn unterbrochen und 
das Gleise so verrückt haben, daß es mit dem alten, 
ungebrauchten in Verbindung stand. Das Weiterfahren 
auf demselben mußte natürlicherweise zur Folge haben, 
daß der Zug mit einem Luftsprunge in den Abgrund 
stürzt. 
Man kann sich denken, welche Aufregung die Ent¬ 
deckung dieses teuflischen Anschlages in dem Gemüte 
des treugesinnten Burschen hervorrief. Ihm stockte der 
Herzschlag vor Schreck und Angst und er strengte seine 
Gedanken an, auf welche Weise er die Untat hinter¬ 
treiben könne. 
Stephan überdachte nochmals schnell das Gespräch, 
stand dann gähnend auf, rieb sich die Augen, als ob 
er soeben aus einem tiefen Schlafe erwacht sei und ging 
langsam dem Tische zu, an dem sein Vater, mit dem 
Ausschenken von Getränken beschäftigt, stand. 
Es gelang ihm, seinen Vater, ohne Aufmerksamkeit 
zu erregen, durch Zeichen verständlich zu machen, daß 
er mit ihm sprechen wolle. Dann ging er hinaus. 
Bald darauf folgte ihm der alte Florian. Er wurde 
fast vom Schlage gerührt, als Stephan ihm das soeben 
Gehörte mitteilte. 
„Um des Himmels willen! Sie werden unfehlbar 
alle getötet werden!" 
„Es muß um jeden Preis die ungebrauchte Weiche 
in Ordnung gebracht werden, ehe der Zug die Biegung 
erreicht", sagte Stephan entschlossen. 
„Das ist unmöglich. Es sind 25 Kilometer von 
hier nach Sz . . . s Station. Jetzt ist es 7 Uhr; um 
12 Uhr ist der Zug dort. Wir haben kein einziges 
Pferd im Stalle, denn das Fouragierungskommando 

Wr. 37.
	        
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