Volltext: Illustrierte Kriegsbeilage Nr. 20 1916 (Nr. 20 1916)

Sonntag, 14. Mai 
Gorlice, Herrn Bronislaw Ritter v. Swieykowski. 
Eine lange, hagere Gestalt mit scharf aus¬ 
geprägten Zügen. Die Liebenswürdigkeit selber. 
Zunächst entschuldigte sich der Mann, daß er eine 
Wunde auf der Stirn habe. Im Drange der Ge¬ 
schäfte sei er auf seiner engen Stiege gefallen. 
Durch das einfache, mit Bücherkasten angefüllte 
Schlafzimmer traten wir im ersten Stockwerk in 
das freundliche Bibliothekszimmer, das eigentlich 
schon eine Geistesphotographie seines Besitzers ist. 
Als er den Vorhang von den Bücherreihen hob, 
sahen wir auserlesene Werke von Kunst und Wissen¬ 
schaft. Und vor den Büchern der liebliche Duft von 
großen, rotbackigen Aepfeln und ringsumher überall 
Pflanzen und Blüten wie in einem Glashause. 
Daun kamen wir durch ein kleines Vorzimmer in 
das naturwissenschaftliche Laboratorium. Im Vor¬ 
zimmer fletschte unter Grimassen und Geschrei 
ein Kapuzineräffchen die Zähne auf uns. „Er beißt 
nicht", beruhigte uns der Bürgermeister, „ich habe 
ihm die Eckzähne herausgezogen!" Im Arbeits¬ 
raume fiel uns zunächst auf dem großen Arbeits¬ 
tisch ein weißer Vogel von Ueberamselgröße auf, 
der ganz zutraulich war. „Kennen die Herren diesen 
Vogel?" fragte scherzend der Gelehrte. Wir rieten 
alle falsch. „Es ist eine weiße Dohle!" — Und 
nun wußten wir, daß es außer weißen Raben 
auch weiße Dohlen gibt. Im Käfer- und Schmetter¬ 
lingsmuseum rissen wir die Augen auf, als wir 
die sorgsam und künstlerisch zusammengestellten 
Kästchen und Schachteln auf der Wand der Reihe 
nach in Augenschein nahmen. „Es ist meine Lebens¬ 
arbeit", sagte der Bürgermeister. „Schon über 
sechsundzwanzig Jahre lebe ich in dieser Einsam¬ 
keit still und vergnügt." 
Später verblüffte uns der Bürgermeister durch 
sein treffliches Gedächtnis, das ihn die Perso¬ 
nalien aller Priester Oesterreichs wissen ließ. 
Ungemein herzlich war das Abschiednehmen. 
Weißbrot, Honig, Aepsel und ein Fläschchen feinster 
Sliwowitz standen für uns bereit, und rasch schob 
ich den Sliwowitz in die Tasche, weil der Feldknrat 
so tat, als ob er ihn nicht gern hätte. Auf dem na߬ 
kalten Marsch in die Karpathen hat uns dieses La- 
ternchen gar sehr erwärmt, und auch die Gorlicer 
Schinkenwurst war höchst lobenswert. Lange sprachen 
wir noch von dem selten-guten Bürgermeister von 
Gorlice und ließen ihn bei dem frostigen Regen¬ 
schauer bei jedem Schluck Sliwowitz hochleben. Wie 
wird's ihm wohl gehen nach uns, war unsere bange 
Sorge. Denn nach den getroffenen Vorbereitungen, 
die wir bei unserem kurzen Aufenthalt auf Berg und 
Tal sahen, ließen sich große, kommende Dinge ver¬ 
muten. Und es war auch so. Bald nach unserm Ab¬ 
zug kamen am 16. November 1914 die Russen nach 
Gorlice und blieben dort bis 12. Dezember. Am Sil¬ 
vestertag kehrten sie zurück und blieben dort volle 
vier Monate zum Unglück und Kummer der Bevöl¬ 
kerung. Zufällig waren wir Anfang Mai 1915 wieder 
in der nächsten Nähe von Gorlice bei den deutschen 
Brüdern und fingen die erste Siegesnachricht von der 
großen Durchbruchsschlacht Gorlice - Taruow sozu¬ 
sagen brühwarm auf. 
War das ein Hallo auf dem Schlachtfeld! Ein 
Hurra folgte dem anderen. Alles jubelte und froh¬ 
lockte. Freudentränen flössen in brüderlicher Um¬ 
armung! Waren wir doch Augenzeugen eines der 
größten Ereignisse der Weltgeschichte, fielen uns doch 
zentnerschwere Steine vom Herzen beim Rückzüge des 
russischen Südflügels! 
Das brennende Gorlice bot einen Anblick von 
schauriger Großartigkeit, die den Stadtbrand von 
1874 in vieler Hinsicht übertraf, da ja diesmal auch 
die Granaten der schweren deutschen und österreichisch- 
ungarischen Geschütze in einem Bogen von Westen nach 
Südosten Brand und Tod in die Häuser und Straßen 
schleuderten. Ueberall schossen Flammen empor unter 
ohrenbetäubendem Krachen, Sausen und Pfeifen aus 
Hunderten von Geschützen. Was die Granaten nicht 
zerschmetterten, fraß das gierige Feuer. Die neue 
£in geistlicher Bürgermeister. 
Von Dr. Hans Richter, f. u. k. Stabsarzt. 
Ewig denkwürdig wird im Weltkriege die in 
den ersten Maitagen 1915 geschlagene Durch¬ 
bruchsschlacht bei Gorlice bleiben, die nicht nur zu 
den größten, sondern auch zu den folgenschwersten 
Schlachten der Weltgeschichte gehört. Der große 
Maisieg bei Gorlice bildet für Oesterreich-Ungarn 
und für Deutschland einen gewaltigen, erlösenden 
und befreienden Wendepunkt, von dem aus der 
herrliche Siegeszug der deutschen und österreichisch¬ 
ungarischen Heere nach Rußland seinen Anfang 
nahm. Wie lebhaft stehen diese Erinnerungen noch 
vor uns allen! Waren wir doch zweimal in der 
stattlichen Bezirksstadt Gorlice, die in malerischer 
Gebirgsgegend am Flusse Ropa liegt. Nach der 
Ueberlieferung sollen sie Ansiedler aus Görlitz in 
Schlesien gegründet haben. In früheren Zeiten 
besaß die Stadt viele Webereien und war be¬ 
rühmt durch ihre Leinwand. Eine Feuersbrunst 
zerstörte 1874 Gorlice fast vollständig. Das letzte 
Mal kamen wir wenige Tage nach Allerheiligen 
1914 in diese Stadt, und zwar von Dukla, wo 
wir uni ein Haar den Verwalter des als Wohl¬ 
täter weit und breit bekannten Grafen Adam 
Mecinski aufgehängt hätten, weil er erwiesener¬ 
maßen für die Russen Schweine schlachten ließ und 
die besten Weine für die russischen Offiziere in 
Bereitschaft hielt, für uns und unsere Pferde aber 
trotz des gegenteiligen Befehles seines Herrn kein 
Obdach in dem großen, schönen, dreiteiligen 
Schloß hatte. Wir froren alle unter freiem Himmel 
im gräflichen Schloßpark, und wir hörten, daß 
dieser Patriot nicht einmal Holz für die kranken 
Soldaten im Spital ausfolgte und auch kein Plätz¬ 
chen für die Grabstellen hatte, obwohl der gräfliche 
Besitz zu den reichsten und größten in Galizien 
gehört. Der Ortspfarrer und der Bürgermeister 
beteuerten uns diese Hartnäckigkeit unter Eid. 
Mißmutig zogen wir in diesen naßkalten No¬ 
vembertagen über Zmigrod nach Gorlice, mußten aber 
der einbrechenden Dunkelheit wegen schon in Koby- 
lanka nächtigen. Kobylanka liegt eine schwache Weg¬ 
stunde östlich von Gorlice und ist ein bedeutender 
Wallfahrtsort, zu dessen wundertätigem Christusbild 
alljährlich zu Pfingsten und am 29. September 
Tausende von Polen und ungarischen Slowaken pilgern. 
Unser Quartiermacher war mit einem erbeuteten russi¬ 
schen Motorrad vorausgefahren. 
Ueber die Nacht, die wir bann in Kobylanka ver¬ 
bracht, wäre einiges zu erzählen; als wir am näch¬ 
sten Tag in Gorlice ankamen, erfuhren wir zunächst, 
daß wir nicht mehr nach Sandec dürfen, wie der 
ursprüngliche Befehl lautete, sondern nach eintägiger 
Rast über Sekowa am Koniecznapaß die Karpathen 
zu überqueren Haben. Und so schickte ich denn unseren 
Feldkuratm auf die Quartiersuche. Er kam mit der 
Meldung zurück, auf der Pfarrei sei kein Platz mehr. 
Die Gastzimmer seien von geistlichen Flüchtlingen 
aus Lemberg und Przemysl überfüllt. Aber ber neue 
Bürgermeister, ein Religiousprofefsor, Habe uns die 
Schlüssel zur verlassenen Wohnung eines Advokaten 
übergeben. Nun Hatten wir Raunt genug. Eine ganze 
Flucht lichter, leerer Zimmer. Das heißt Sessel, 
Tische, versperrte Kästen waren vorhanden, auch 
Betten ohne Bettzeug. Wie waren wir glücklich über 
das schützende Dach! Denn branßen goß es in 
Strömen. Unb wozu braucht man im Krieg noch 
Bettzeug, wenn man warnte Decken Hat? Im Nu 
richteten wir uns unter Mithilfe ber Ofsiziersbieuer 
lykurgifch behaglich ein. Unb nun meinte unser Felb- 
kurat: „Meine Herren! Den Bürgermeister von Gor¬ 
lice müßt ihr euch ansehen! Das ist ein Unikum. Er 
bewohnt ein ganzes Hans in ber Nahe bet Pfarr¬ 
kirche. Mein Lebtag habe ich keine so große Käfer¬ 
sammlung gesehen wie bei biefem Bürgermeister. Ein 
Museum!" Unsere Neugierbe wurde wach, und schlie߬ 
lich stand ich mit unserem Feldkurateu unb dem 
Sanitätsoberleutnant vor dem Bürgermeister von 
Aürsterzvischof Dr. ZSalthasar Kaktner vor» Salzburg. 
Zur Jahrhundertfeier der Zugehörigkeit Salzburgs zu Oesterreich 
Die Stadt Salzburg. 
Vorne rechts ber Dom, links bte Franziskanerkirche. 
Zur Jahrhundertfeier der Zugehörigkeit Salzburgs zu Oesterreichs 
Phot. Harter, Steyr.
	        
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