Volltext: Illustrierte Kriegsbeilage Nr. 17 1916 (Nr. 17 1916)

Frof)e Botschaft. 
Eine Ostererzählung aus unserem Kriegsjahr von Julius G ö tz. 
(Nachdruck verboten.) 
Der Bauer von Wildtobelhof kniet in der schmucklos 
einfachen Pfarrkirche, zu welcher der fast 60jährige Mann 
volle fünf Wegstunden von seinem hochgelegenen, einsamen 
Berghof herabgewandert ist. Andächtig hat er seine derben, 
schwieligen Arbeitshände ineinander gefaltet, fest preßt 
sich Knöchel an Knöchel wie unter einem eisernen Druck, 
der Wildtobelhofbauer betet heiß und inbrünstig. 
Schiff und Altar im Gotteshaus des kleinen Tiroler 
Marktfleckens sind mit langen, schwarzen Tüchern ver¬ 
hängt und vor dem unsichtbar gewordenen, mehrhundert¬ 
jährigen Gnadenbild der Madonna ist in schlichter, bäuer¬ 
licher Kunst das Heilige Grab ausgestellt. Plumpe und 
ein wenig zu bunt bemalte Holzfiguren ragen da über 
künstlichem dunkelgrünen Blattwerk und breiten rosa- 
nnd weißsarbeue Rosengirlanden aus Chenillezeug. Die 
klagende Gottesmutter mit den sie begleitenden Frauen 
sieht man zu Füßen des gekreuzigten Heilandes. 
Ueber die toten Blätter und Blumen, die unbewegten 
bäuerlich starren Figuren spinnt süßer Weihrauch eine 
bläulichgrau niederwallende Wolke und die Stimmen der 
betenden Landleute branden daran wie der murmelnde 
Schwall einer mählich 
steigenden Flut: 
„Herr, erbarme dich 
unser! Christi erhöre 
uns!" 
Der Wildtobelhofer 
blickt mit feuchtschim¬ 
mernden Augen auf des 
hölzernen Jesus dunkel¬ 
rote Wundmale, seine 
Finger krampfen sich 
noch mehr zusammen und 
seine rauh und laut her¬ 
vorgestoßenen Worte 
schallen all den übrigen 
voraus: 
„Herr, erbarme dich 
unser!" 
Das Gesicht des 
Bauern ist von einer 
fahlen Blässe überzogen, 
Schweißtropfen perlen 
über seine zerfurchte 
Stirne. Er ist in argen 
Nöten und in banger 
Sorge, der Wildtobel- 
hoser. Und bittere Reue bedrückt ihn, als läge ein zentner¬ 
schwerer Felsstein auf seinem unruhig pochenden Herzen. 
Seine Lippen bewegen sich mechanisch, während er 
mit trüben, sinnenden Blicken immer wieder auf die vom 
flackernden Scheine der Kerzen wunderlich umspielte Gestalt 
des Gekreuzigten starrt. Und betet und betet dabei, bis 
das jähe Auftönen schrill klappernden Holzes, das heute 
am stillen Karfreitag den hellen Ton der Kirchenglocken 
zu ersetzen hat, den Wildtobelhofer wieder zu Ort und 
Zeit zurückruft. 
Die Litanei ist zu Ende. In den Betstühlen, am 
Steinfliese des Kirchenbodens scharren Füße und ein 
paar alte Weiblein machen humpelnd und unter Hüsteln 
und Flüstern den Anfang beim Austritt aus dem 
Gotteshaus. 
Der Wildtobelhofer ist einer der letzten, welche die 
Kirche verlassen. In derselben verlöscht der Mesner be¬ 
reits die Kerzen, nur das ewige Licht vor dem Kreuze 
Jesu glüht in seltsam mildem Glanz. Draußen steht der 
Bauer noch eine Weile auf dem von einer violettblauen 
Abenddämmerung wie nmwobenen Pfarrplatz, bevor er, 
den dicken Knotenstock in der Rechten, mit seinen grob¬ 
genagelten Bergschuhen übers hallende Buckelpflaster des 
Ortes hinzieht. Bald hat der Wildtobelhofer den kleinen 
Markt durchschritten, kein Haus ist ihm mehr zur Seite. 
Einen Pfeifenrauch lang folgt noch Ackerflur und Weiden¬ 
gelände, dann beginnt rechts wie links ein arges und 
stellenweise von hohem, braunem Wintergras dnrchsloch- 
tenes Geröll, das nach wenigen Minuten schon ein 
schmaler, steiniger Pfad ablöst. Der windet sich zwischen 
glattaufstrebenden Felswänden und einer immer beträcht¬ 
licher und gefahrvoller werdenden Tiefe tiahin. Und da, 
bei einer jähen Biegung dieses beschwerlichen Bergweges 
wird der Ausblick auf das gewaltige, wirrzerklüftete 
Massiv des Wildtobels frei. 
Eine frühe Abendröte liegt über seinen malerischen, 
weiß blinkenden Zinnen, manches Grat leuchtet wie in 
purem Gold, dieweil an anderer Stelle das scheidende 
Sonnenlicht gleich einem purpurnen Strome durch steile 
Schrüude und Gletscherspalten rinnt. So rot wie der 
Aar im Tiroler Landeswappen, so rot wie Blut 
Der Bauer steigt mit bedächtiger Vorsicht den schwin¬ 
delnd hohen Pfad empor. Der milde, fast laue Bergwind, 
der heute vom Wildtobelferner herunterstreift, kost förm¬ 
lich den entblößten Graukopf des Alten, der, feinen mit 
Gamsbart und vertrocknetem Almenrausch geschmückten 
Lodenhut in der Linken haltend, des öfteren mitten in 
seiner Wanderung einen wehen, tiefen Seufzer ausstoßt. 
Den Wildtobelhofer quält ein eigenes Leid Er 
hat nicht wie fast alle die andern drunten in der Kirche 
für einen zu beten gehabt, der im bedrohten Leben auf 
fernem, vom Donner der Geschütze umtosten Schlachtfeld 
steht. Kein Sohn ober Enkel, kein verwandter Mensch 
überhaupt ist aus dem Wilbtobelhof als des Kaisers 
Bilder aus der Türkei: Konstanlmopel mit dem Hotdenen Korn. 
streitbarer Solbat gegen ben Feiub gezogen . . 
Der Bauer hat nur ein einziges Kinb, seine Tochter 
Vroni. Unb Geschwister besaß er nie unb ein paar wenige 
Basen unb Bettern aus seiner Jugenbzeit sinb längst 
schon verstorben. Dazu ist ber Wildtobelhof ein statt¬ 
liches, großes Anwesen, wohl das schönste weit und breit 
um den Berg. Der Bauer hält mehr denn 30 Stück Kühe 
im Stall, seine Weiden und Felder gehen in die Huuberte 
Joch und ein holzreicher Hochwald, der dem Wildtobel- 
hoser gleichfalls zu eigen ist, begrenzt diese fruchtbaren 
und ertraggiebigen Fluren. An blanken Silbergulden 
unb blitzenben Goldkronen fehlt es ihm auch nicht in 
ber Wanbtruhe beim Herrgottswinkel unb boch: für 
wen ber Bauer vor bem gekreuzigten Heilanb so heiß 
unb instänbig gebetet hat, es ist feine geliebte Tochter 
Vroni, bas einzige teure Blut, bas ihm nach bem Tobe 
seines Weibes verblieben war. 
Der Wilbtobelhoser bleibt plötzlich keuchenb stehen, 
muß sich einen Augenblick lang an einem vorspringenben 
Felsstück festhalten. Denn in quälenden Flammen gleich 
brennender Vatersorge übermannt ihn nun aufs neue 
der Gedanke an sein Kind. 
Die Vroni! Vor kurzen Monden war die 
noch das munterste und hübscheste Mädchen in der 
ganzen Umgebung gewesen. Wie Milch und Blut, Wangen 
rein zum Hineinbeißen, unb Augen, ja Augen so glttzernb 
unb sunkelnb wie bie besten Diamanten, die in einer 
Königskrone festgeschmiedet sind. Mit ber einen zittern- 
ben Hanb fährt sich der Wilbtobelhoser über bie feuchte 
Stirne unb sinnt traurig nach. Wie lustig die Dirn ge¬ 
wesen war. Ihr Lachen und Singen.... der ganze 
Hof hatte vom Morgen bis am Abend davon gehallt. 
Unb hellsten Sonnenschein brachte bie Vroni, wohin sie 
nur kam 
Unb jetzt, was war aus biesem schönen unb heiteren 
Kinbe geworben! Ein bleiches, verhärmtes Geschöpf, bas 
stumm unb trübselig burch Stuben unb Kammern schritt, 
nur mehr ein beängstigenber unb orbentlich schreckhafter 
Schatten auf bem Wilbtobelhof war.... Die großen, 
blauen Augen hatten all ihren Glanz verloren unb rot¬ 
geweinte Liber verbeckten sie fast völlig. 
Der Bauer stöhnte. Daß es so hatte kommen müssen, 
baß just ben Jägersepp eine solch tiermalebeite Russen¬ 
kugel zu Tobe getroffen! 
Seines wunderlichen Denkens warb sich ber Wilb- 
tobelhoser selber nicht bewußt. Früher, ba hatte ihm 
Vronis treue unb standhafte Liebe zu bem armen Forst- 
gehilfen manch böses Wort, manch lärmende Rebe ent¬ 
lockt. Er war nie einwillig gewesen. Der Habenichts, ber 
Grünrock, wollte sich in ben warmen, reichen Hos Hinein¬ 
setzen! Mit allen Donnerwettern war ber Bauer da herein¬ 
gefallen. Das gab's nicht, bürste es nicht geben! Nie 
unb nimmermehr! — 
Da war ber Krieg gekommen, ber große Krieg! Tie 
Männer unb Burschen 
im ganzen Land Tirol 
rief er zusammen. Und 
alle eiltenkampfbegeistert 
zur Fahne des Reiches, 
zum schwarz-gelben 
ruhmvollen Banner des 
Doppeladlers. Der gute, 
alte Kaiser in Wien 
hatte an feine getreuen 
Tiroler nicht vergebens 
bas Wort gerichtet. 
Aus allen Flecken 
und Dörfern int Umkreis, 
aus ben Bauerngehöften, 
wie aus ben auf ein¬ 
samer, steiler Höhe lie- 
genben Alm- unb Jagb- 
hiitten zog bas wehr- 
kräftige Maunsvolk fort. 
Auf ihren mit schmucker 
Spielhahnfeber gezierten 
Solbatenmützen trugen 
sie bas silberglitzeritbe 
Ebelweiß unb in ihren 
Herzen ben besten ehern¬ 
sten Mut. Dem Wilbtobelhoser war burch Pfarrer, Schul¬ 
meister und andere Leute genugsam Ruhrneskunbe von 
biefen tapferen Kriegern auf feinen Berghof getragen 
worben. Wie sie als bie gefürchteten „Blumenteufel" 
Sieg auf Sieg errungen hätten. In grimmigem Winter- 
frost tagelang Schlachten schlugen unb über vereiste unb 
von Feuer unb Blei umwogte Gelände einen übermäch¬ 
tigen Feint) anstürmten, bes Kaisers Rainen unb ein 
Vaterunser auf ben Lippen. 
Einer ber tapfersten unter biefen helbenmütigen Vater¬ 
landsverteidigern war ber Jägersepp gewesen. War be- 
kotiert unb zum Feldwebel besörbert worben unb war 
vor wenigen Wochen in ben furchtbaren Kämpfen an 
ben Karpathenpäffen gefallen. Geblieben auf bem Felde 
ber Ehre! 
So hatte bas Gerücht geklungen unb wenn auch eine 
offizielle Verstänbigung barüber noch nicht ins Gemeinbe¬ 
amt gelangt war, soviel war sicher, ber Felbwebel Joses 
Spielauer würbe nach einem Gefecht bei Uszok von seiner 
zuftänbigen Truppe vermißt. Auf Vronis Betreiben hatte 
sich ber Psarrherr noch bes näheren beim Regiments- 
kommanbo angefragt, boch ber folgenbe traurige Rück¬ 
bescheid ward bem Priester geworben: „Obwohl wir bie 
Leiche unseres tapferen Kameraben noch nicht zu bergen 
vermochten, halten wir es boch völlig ausgeschlossen, baß 
er mit bem Leben baüongekommen. Wir vermuten viel¬ 
mehr, baß bie irbifchen Ueberreste dieses Braven in einer 
ber tiefen unb schneeverwehten Felsschluchten ruhen, bereu 
Räumung bestenfalls erst ber kommenbe Hochsommer 
lilE fliil! 
Sonntag, 23. April 
Hr. 17.
	        
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