Volltext: Illustrierte Kriegsbeilage Nr. 10 1916 (Nr. 10 1916)

Sonntag, 5 März 
Bleich, erdfahl ist sein Gesicht, und manchmal stöhnt erleise 
auf, wenn der Schmerz sich allzusehr einstellt. Und neben 
ihm am Lager sitzt seine alte Mutter und schaut voll 
Sorge und Unruhe in seine blassen Züge. Sie sieht es 
wohl, daß auf seiner Stirn der Tod geprägt ist; sie 
weiß es, es wird nicht gut mit ihm werden. Allzu 
schlimm ist die Wunde, die die Feinde ihm draußen in 
der Schlacht beigebracht haben. Der Kranke ahnt, was 
in der Mutter Herz vorgeht, und fühlt es, was sie denkt. 
Da richtet er sich auf. Mühsam nimmt er der Mutter 
rechte Hand und hält sie fest umklammert und spricht 
voll Schmerz und Weh', da er die Träne sieht, die über 
ihre gerunzelte Wange rinnt: 
„Du darfst nicht weinen, Mutter. Es ist doch nicht 
so schlimm. Und besser muß ich doch wieder werden. 
Du hast doch niemand andern, der für dich arbeitet und 
„Weine nicht, Mutter; Mutter, weine nicht; 
Der Herrgott läßt es wohl geschehen, 
Daß ich dich, geliebte Mutter, 
Werde einstens wiedersehen." 
Nach einigen Wochen. Im Krankenzimmer umstehen 
Mutter Deugs und die Nachbarn das Sterbe- 
bett des jungen Kriegers. Es geht zu Ende mit 
ihm. 
Da klingt von draußen her der silberne Klang 
eines Glöckleins ins Zimmer. Der alte, greise 
Dorfpfarrer kommt mit der heiligen Wegzehrung, 
um den Kranken auf die Reise in ein schöneres 
Jenseits vorzubereiten. Er setzt das Gefäß mit 
der heiligen Eucharistie auf den kleinen Haus¬ 
altar. Wer hätte es gedacht, daß sobald °fchou 
der Kranke Abschied nehmen muß! 
Der Pfarrer kennt den Sterbenden wohl. Er 
war früher immer sein Bester gewesen. Hatte ihm 
selbst, da er schon längst der Schule entwachsen 
war, die heilige Messe gedient, und es war dem 
ehrwürdigen Greis stets eine besondere Freude 
gewesen, wenn er sah, wie der gute Junge 
immer besorgt war, seiner alten Mutter den 
Lebensabend so schön als möglich zu gestalten. 
Der Pfarrer blieb mit dem Kranken kurze Zeit 
allein, nahm ihm die Beichte ab und bereitete 
ihn auf die letzte Wegzehrung vor. Dann knieten 
Mutter Dengs und die Nachbarn ums Lager 
und beteten. 
Nachdem der Kranke die Sterbesakramente 
i empfangen hatte, glitt er sanft wieder in die 
Mg lj i : if .ll Kiffen und fiel bald in ruhigen Schlummer. 
,// >i | /,« W il/AWf-MLWß \ UW \V$E^ . Da entrang sich dem Munde der alten Frau 
Im i W-Jmrim % ii ■ ife fwMI i»JL- ein tiefes Stöhnen. 
^xjjs LSW/W^imf i U ' Der Kranke schlägt die müden Augen auf. 
- fl /v'fJMrtiflyfi1 "Warst du es, Mutter, die so schluchzte? — 
' Darfst nicht weinen. Wenn ich von dir gehe, 
mjg *■ so kommst du doch auch bald. Weißt du — ich 
~~~ gehe doch in die schönere Heimat, wo viele, viele 
Kameraden sind, die mit mir für den Kaiser 
PEP®****.,. und das Vaterland gestritten haben. Der Herr« 
gott wird es einrichten, daß wir oben etoiq ver¬ 
eint sind." 
Mutter Deugs nimmt sanft den Kopf des 
Sterbenden und drückt ihn an ihr Herz und ihre 
Tränen rinnen auf des Kranken kalte Stirne. 
Selbst in den Augen des alten Pfarrers glänzt 
Bon der deutschen Marine: Zöglinge in den Masten eines Schnl- eine Träne, da er Zeuge dieses innigen Ab- 
~ schiedes zwischen Mutter und Sohn ist. 
Wieder beginnt der Sterbende zu reden, lang¬ 
sam und gebrochen: 
„Lebe wohl, Mutter.. .. Es hat nicht sein sollen.. . 
Komme auch du bald zu mir . . ." 
haucht nur schwach sein Mund noch. 
Dann legt die Mutter ihn wieder sachte in die 
Kissen Der Pfarrer beginnt mit den Sterbegebeten. 
Und als die alte Frau nach einer Weile sich über 
den Kranken beugte, da war er sanft hinübergeschlum¬ 
mert mit einem glücklichen Lächeln ans den Lippen. — 
Nun hat sie nur noch einen Wunsch. Daß auch sie 
bald aus der Welt zu ihm gehen darf. — 
sorgt. Bald wird es wieder besser sein. Siehst du nicht 
wie draußen alles so prächtig grünt und blüht? Der 
neue Frühling wird wieder meine Genesung bringen." 
Dann sinkt er wieder kraftlos zurück, und im Fieber¬ 
traum spricht er von dem großen Schlagen draußen in 
Feindesland. Da erzählt er, wie sie immer wieder mit 
neuem Mut und Begeisterung gegen die feindlichen Stel¬ 
lungen gestürmt sind, bis die geschlagenen Gegner ent¬ 
flohen, und von dem heißen Kampfe um die feindliche 
Fahne, wobei er sich das Eiserne Kreuz erwarb. Und 
da er erzählte, wie der Hauptmann ihm mit anerkennen¬ 
den Worten das Ehrenzeichen auf die Brust heftete, da 
umspielt die bleichen Lippen des Kriegers ein heiteres 
Lächeln. Dann wird er ruhig. 
.Ob's wahr ist, daß Gott ihn mir erhält?" spricht 
die alte Mutter leise vor sich hin. 
Er hat es doch gesagt, er würde wieder genesen. 
Oder ob er nur damit ihre Sorge um ihn verscheuchen 
„Weine nicht, Mutter; Mutter, weine nicht; 
Werde wieder besser werden. 
Kann allein dich doch nicht lassen, 
Muß dich, Mütterlein, ernähren." 
Ein Krankenzimmer in einem kleinen, sauberen Häus¬ 
chen an der Dorfstraße im Dorfe N In den weißen 
Kiffen ruht ein junger Mann in den besten Lebensjahren. 
Das erste Schneeglöckchen. 
Von Karl Hubert Meyer. 
Heute war trotz des Winters, in dem wir leben, 
ein rechter Vorfrühlingstag. Die Sonne, die sich monate¬ 
lang hinter dem schweren, dunklen Wintergewölk ver-
	        
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