Volltext: Illustrierte Kriegsbeilage Nr. 6 1916 (Nr. 6 1916)

PmsRPHUS ^ 
Schwindler reno 
VÄRWÜSSTT. PER 
HEXaifUMOTTO 
mein Belndi bei fiikita I.‘) 
(Mit mehreren Bildern.) 
Vier Jahre nachher zog's mich neuerdings in die 
Schwarzen Berge, doch beschloß ich, diesmal womöglich 
mit dem Fürsten selbst Freundschaft zu schließen. 
Also ich fuhr zunächst nach Cattaro. Dort früh¬ 
stückte ich im Rivacafs des Cavaliere Dojmi, nahm einen 
Vetturin auf und handelte ihm den schamlosen Preis 
von 60 Kronen bis Cetinje auf 40 Kronen und ein 
Trinkgeld herunter. Dann bestieg ich frohgestimmt seine 
Armsünderfuhre und fuhr los — ohne zu ahnen, 
daß das Tempo meiner Rückfahrt ein weitaus be¬ 
schleunigteres fein sollte, als das der 
Hinfahrt. 
Cattaros letztes Fort aus Veuetiauer- 
zeit, die Santa Trinita, passierend, klomm 
mein Gefährt auf der steilen Ser- 
pentinenstraße bergan über den Lov- 
cenfattel unb erreichte in einer Höhe 
von 1280 Meter den Njegnscher 
Gipfel. Ties unter mir lag nun 
Montenegro gleich einer Reliefkarte. 
Silbern leuchtete der Spiegel des 
Skntarisees und die Gletscher der 
albanischen Berge herauf, in scharf* 
umrtffeneit Konturen zeichneten sich 
die Gipfel der Bergkette von Anti- 
vari vom stahlblauen Himmel ab; 
— weit im Hintergrund beschloß 
der lange, Novipazars Grenze bil¬ 
dende Gebirgsgrat den Horizont. 
Links die dichte Gruppe des Dor- 
mitor — die dreifache Grenze 
zwischen der Herzegowina, Mon¬ 
tenegro und des Sandschak seligen 
Andenkens. Eine Straßenkrüm¬ 
mung — das großartige Pano¬ 
rama verschwand, und der Wagen 
rollte in das Dorf Njegusch, den 
Stammsitz der gegenwärtigen Dy¬ 
nastie. Dort befindet sich die Billa 
des Fürsten, die heute als Einkehr- 
haus das Andenken an die uralte 
Residenz aufrecht hält. Und hier 
war es, wo ich ein gar ergötzliches 
Abenteuer erlebte. Wir wurden von 
zwei riesigen Kriegern bei dem am 
Dorfeingange befindlichen Wacht- 
hanfe angehalten, die unsere Pässe 
verlangten. Mein Wagenführer 
rutschte ohne Anstand durch, da er 
den beiden seit langem als Cat- 
tarener, zwischen dort und Cetinje 
hin und her pendelnder Vetturin, 
bekannt war. Ich aber hatte keinen 
Paß, da ich nicht beurlaubt war 
und daher wohlweislich schwarz 
fahren mußte. Da erinnerte ich 
mich, daß noch just in der Brust- 
tasche dieses Sportgewandes die 
Rechnung meines Schneiders, eines 
Wiener Hoflieferanten, stecken müsse, 
die den kaiserlichen Doppeladler, 
der ja dem russischen ähnelt, an 
der Stirnseite trug. Ich suchte und fand sie und hielt 
sie kurz entschlossen dem einen unter die Nase. 
Er entfaltete mit ernster Stirne dieses Dokument und 
las es mit großer Aufmerksamkeit durch, hielt es jedoch 
verkehrt. Ich konnte nur durch mühsames Verbeißen des 
Lachens die Situation retten. Als mir aber das Ding 
zu lange währte, tippte ich mit dem Finger aus den 
Adler. Da sprang der Wackere zurück und überreichte 
*) Durch die Eroberung des Lovceu und Einzug der öfter» 
reich-ungarischen Truppen in Cetinje bekommt obige Erinnerung 
eines österreichischen Offiziers besonderes Interesse. Sie ist mit 
gütiger Erlaubnis des Verlags K. Thienemann in Stuttgart 
dem eben in der zweiten Auslage (6. bis 7. Tausend) erschienenen 
Buch von Rifat Gozdovic Pascha „Im blutigen Karst", Er¬ 
innerungen eines österreichischen Offiziers aus dem Kriegs¬ 
jahr 1914, entnommen. Preis 3 Mark gebunden. 
mir mit einer tiefen Verbeugung meinen Paß wieder. 
„Lieb Vaterland, magst ruhig fein!" dachte ich mir. 
Ich stieg zu kurzer Rast in dem fürstlichen Wirtshause 
ab, an dessen Anblick sich mein Wagenlenker schon von 
weitem erbaut hatte. In dieser gastlichen Stätte knöpfte 
mir der Herbergsvater für einen Kognak und ein, ver¬ 
mutlich noch vom letzten Türkeneinfall verbliebenes Brot 
den gewiß unter Brüdern zivilen Preis von vier Kronen 
j 
Eine Kriegserinnerung: Aas Wotivbild „Kitfe der KHristen" 
Wurde von einer Türkenkugel durchbohrt. Jetzt im k. k. Waisenhaus in 
ab, was mich wahrend der Weiterfahrt bezüglich meiner 
montenegrinischen Zukunft recht gedankenvoll stimmte. 
Die Sonne stand schon ziemlich tief, als wir Cetinje 
erreichten. Mein Kutscher fuhr beim „Grand Hotel" 
vor, denn er mußte ja wissen, was er tat. Ich aber 
war mir nicht bewußt, ihm je Böses zugefügt zu haben 
und hoffte daher, nicht wie in Njegusch abermals einem 
Straßenräuber ausgeliefert zu fein. 
Cetinje ist gar feine Stadt im abendländischen Sinne. 
Die ständige Residenz des seit dem Einzuge der Mecklen¬ 
burger Prinzeß etwas verfeinerten Hofes, der Mittel¬ 
punkt der Staatsämter, ein großer Marktplatz mit Kauf¬ 
läden und einer kleinen Terrakotta-Brunnenfigur als 
einziges „Denkmal" der Stadt, die Gesandtschafts¬ 
gebäude Oesterreich-Ungarns, Rußlands, Italiens und 
der Türkei, mehrere Konsulate, noch einige Kasernen und 
öffentliche Gebäude — dies alles in zwei parallel¬ 
laufenden Straßen schön geordnet — das ist das Ganze. 
In Cetinje findet man besonders wenig Einge¬ 
borene, die wirklich arbeiten. Hier, in der „Beamten¬ 
stadt", begegnet man allerorts dem großherrlichen Mann, 
der in malerischer Würde die seiner Abteilung zukommen¬ 
den „Regierungsgeschäfte leitet, welche ihm fast den 
ganzen Tag für den Aufenthalt auf der Promenade oder 
im Kaffeehaus übrig lassen. Und die wenigen Leute, die 
als Verkäufer in Geschäftsläden stehen, benehmen sich so, 
als ob es für jeden Käufer eine Ehre wäre, fein Geld 
für die schlechte Ware auf den Tisch zählen zu dürfen. 
Alles dies erzählten mir, während ich im 
„Grand Hotel" beim Abendmahle saß, in 
aller Geschwindigkeit einige anwesende 
Landsleute. — 
Vom „Grand Hotel" gewinnt 
man einen Ausblick auf die Ku- 
tunska ulica — die Kantongaffe 
— durch welche ich einen Rund¬ 
gang mit dem festen Vorsatz antrat, 
den Fürsten zumindest zu Gesicht 
zu bekommen; alles andere überließ 
ich dem Zufall und meiner schon 
oft bewährten Frechheit. 
Das zunächst ins Auge fallende 
Gebäude ist das von der Zarin 
Maria Feodorowna gestiftete und 
erhalteneMädchenerziehungsinstitut 
inmitten eines schattigen Parkes. Es 
beherbergte damals 90 Zöglinge, 
trägt den modernen pädagogischen 
Anforderungen Rechnung und steht 
unter der Leitung eines russischen 
Obersten. Daß ein rnssophiler Zag 
durch das ganze Gebäude weht, ist 
selbstverständlich. 
Rechts und links reihen sich die 
kleinen, aber auch viel billiger er¬ 
bauten Ministerien aneinander. Eine 
Zeile hoher Pappeln entlang ge¬ 
hend, erreichte ich bald die fürst¬ 
liche Residenz, vor welcher ein Per- 
janik (Soldat der Leibwache) auf 
und ab schilderte. Der Residenz, 
einem recht einfachen einstöckigen 
Bau, liegt das Palais des Prinzen 
Mirko gegenüber; weiterhin die 
Hofkapelle und die alte Residenz 
„Bigliarda", in der heute die hohen 
Gerichtsbarkeiten und Staats¬ 
ämter untergebracht sind. An der 
Berglehne das Monaftero, die 
Residenz des Metropoliten der 
Schwarzen Berge. 
Hier befinden sich die Gräber 
der Herrfcherfamilie und oben, auf 
dem überragenden Felsen, erhebt 
sich das von einem Eisengitter um¬ 
gebene schlanke Mausoleum, die 
Ruhestätte des Gründers der Dy¬ 
nastie, Vladika Danilo. Es wurde 
nach den Entwürfen der Königin 
Helena von Italien erbaut. 
Oft schon hatte ich von der Gepflogenheit des 
regierenden Fürsten gehört, daß er sich zur abendlichen Zeit 
auf die Terrasse seiner Residenz hinaussetze und es um 
diese Zeit jedem seiner Untertanen gestattet sei, vor ihm 
mit einem Anliegen zu erscheinen. Obwohl es schon 
ziemlich spät 'war, als ich dort vorüberkam, war die 
Terrasse noch” teer. 
So ging ich einstweilen weiter, um auf dem Rück¬ 
weg mein Glück nochmals zu versuchen. Der Abendstern 
blinkte schon über den Kämmen, als ich wieder an 
Nikitag Palais vorbeikam, und richtig: da stand schon 
eine Gruppe unter der mächtigen PIctntane. Nur einer 
saß auf einem einfachen Stuhl — Fürst Nikolaus, der 
hier nach homerischer Art Streit schlichtete und Recht 
sprach. Es waren vielleicht zehn Menschen um ihn 
in Wien. 
Wien. 
Sonntag, 6. Aeöiuar 
1916.
	        
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