Volltext: Illustrierte Kriegsbeilage Nr. 4 1915 (Nr. 4 1915)

Sonntag, 28. Aevruar 
Wr. 4. 
Km unschuldiges Apfer. Gemälde von Seymour-Thomas. 
Sie letzte lönigsiiciiniiiiö in Seims. 
Wenn die Franzosen jetzt entrüstet auf die Schä¬ 
digungen der Kathedrale von Reims hinweisen, die sie 
durch die Benützung des Bauwerkes zu Kriegszwecken 
selbst verschuldet haben, so mögen sie sich daran er¬ 
innern, daß die Kathedrale in der fran¬ 
zösischen Revolution ber Zerstörungs¬ 
sucht der eigenen Lanbslente ausgesetzt 
gewesen ist, so baß ihre Wieberherstel- 
luug mehr als 6 Millionen Franken er¬ 
forderte. Diese Herstellung würbe nicht 
nur von künstlerischen Gesichtspunkten 
aus erfordert, auch politische Beweg¬ 
gründe waren maßgebend, ba sich König 
Karl X. nach ber Sitte seiner Ahnen 
bei seiner Thronbesteigung (1824) in ber 
Kathebrale zum König von Frankreich 
krönen lassen wollte. Zn ben in ber 
Revolutionszeit zerstörten Gegenstänben 
gehörte auch bie Flasche mit bem hei¬ 
ligen Salböl, bas (ähnlich wie ber hei¬ 
lige Gral) von einer Taube vom Him¬ 
mel herabgebracht worben sein sollte. 
Seit Chlobwig waren aus biesem Gefäß 
alle französischen Könige gesalbt wor¬ 
den, und ba ohne bie Salbung mit dem 
heiligen Oel der Krönung bie mystische 
Weihe gefehlt hätte, so e'rfanb man bie 
ßegeitbe, baß in bett Scherben ber 
Flasche, bie man nach bem Wegzug ber Revolutionäre 
unter ben Trümmern bes Hochaltars gesunden hätte, 
noch einige Tropfen Oel enthalten gewesen wären, bie 
zur Salbung hinreichten. Mit allem Pomp unb Prunk 
mittelalterlicher Gebräuche würbe bie Krönung an Karl X. 
vollzogen. In weißem Atlasgewanb, mit einem Barett 
Sokdateil-BergfriedHof am Arche des MlMrigberges in der 
Mähe des Wetrinum. (Phot. Schwarz, Linz.) 
auf bem Haupte, bas burch bas Gewicht ber Ebelsteine 
unb Febern fast zu schwer war für das Haupt des 
70jährigen Herrschers, betrat Karl X. die Kirche, wo 
ihm ein Wams aus roter Seide angelegt wurde, das 
an der Brust unb an beiben Armen Einschnitte aus¬ 
wies, benn der König wurde nicht nur an dem Daumen 
und der Stirne, sonbern auch au ber Brust 
unb an beiden Armen gesalbt. Daraus 
legte ihm ber Erzbischof von Reims die 
Seidentunika, das veilchenfarbige, mit 
golbenen Lilien durchwirkte Obergewand 
unb einen mit Hermelin besetzten Königs¬ 
mantel um unb gab ihm Zepter unb 
Herrscherstab in bie . mit Ring unb Hand¬ 
schuhen befleibeten Hänbe. Unter feier¬ 
lichen Choralgesängen würbe ihm bann 
bie Krone, bie noch Karl ber Große 
getragen haben sollte, aufs Haupt gesetzt. 
Bis in bie kleinsten Einzelheiten hielt man 
an beit Satzungen fest, bie feit Jahrhun¬ 
derten Beobachtet worden waren, und so 
dauerte die Zeremonie von morgens 
7 Uhr bis zur Mittagsstunde: Gegen 
Schluß der Krönungsfeier war der König, 
der auch 126 Kranke berühren mußte, bie 
baburch gefttnb werben sollten, so erschöpft, 
baß es geraumer Zeit bedurfte, ehe er 
an bem Krönungsmahl in bem benach¬ 
barten erzbischöflichen Palast teilnehmen 
konnte.
	        
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