Volltext: Nr. 72 (72. 1920)

Redaktion 
und Administration 
Linz 
f rfrl losef-PIatz 29; 
Telephon 1225/U. 
Erscheint 
cden Freitag. 
/ 
JÜDISCHE 
NACHRICHTEN 
Cb= 
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'/4 jährig K 12 - 
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Allg. Depositenbank, 
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Die Spaltenbreite pro 
Millimeterhöhe 50 h 
(ü 
für die österreichischen Alpenländer, 
Nr. 72 
Linz, 
am 
8. Oktober 
26. Tischri 5681 
1920 
Stricker, Müller und Genossen. 
Als vor mehr als eineinhalb Jahren die junge Repu- 
:,]jk daran ging, ihre konstituierende Nationalversamm¬ 
lung zu wählen, haben wir es nicht verabsäumt, auch vom 
Standpunkte der Provinzjudenschaft hierzu Stellung zu 
Innen. Heute, wo wir knapp vor der neuerlichen Y\ a| 
der Nationalversammlung stehen, wird es von V ortei 
-rin, unsere seinerzeitigen Darlegungen ins Gedächtnis 
zurückzurufen und zu prüfen, ob und wie weit sie auch 
heute noch ihre Gültigkeit besitzen. 
In Nr 2 vom 14. Feber 1919 schrieben wir: „ . . - An¬ 
derseits sind wir Juden der deutschöstcrreiclnsehen 1ro- 
rinB verhindert, bewußte Juden als unsere \(;rtr^ ('1' ^ 
entsenden, dank eines Wahlsystem», das Inr ■ • 
luden einen einzigen Wahlkreis ermöglicht. Hofteu wir, 
daß wenigstens diese eine Möglichkeit, wirklich .,udrsele 
Vertreter zu wählen, voll und ganz ausgenutzt wird, dal! 
von Wien-Nordost zumindest Männer 
enteendet werden, die mit allem Nachdruck die Rechte 
der jüdischen Minorität stets zu wahren wissen weifKu. 
Inzwischen hat am 16. Feber 1919 Wien-Nordost in 
der Tat einen jüdischen Vertreter'gewählt, hat Ingenieur 
Robert Stricker in die N atipnalve««amni tag®^ 
det. Als einziger Repräsentant der bewußt-.,udl«lm» Be¬ 
völkerung hatte wahrlich dieser Mann eine, nnendhch 
schwierige und verantwortliche Aufga c \ ot • 
nach eineinhalbjähriger Tätigkeit können wir mit 
rückhaltloser Bewunderung und nut tiefer, dankba • 
friedigung feststellen, daß S t r i c k e r .1 e, m hn 
ten hohen Erwartungen nic^t nur erfüllt. >sonckm 
übertroffen hat. Die bisherige er " U"S ' - en 
viele Persönlichkeiten aufzuweisen!; unter den \\enigen 
StriX" eine der markanteren. Wahrend be, da» 
Reden irgendeines Parlamentarier« meisten* nm die eige 
KSÄ. ihre Aufmerksamkeit 
gen zuwandten, fand Stricker .tat» im gan». 
aufhorchendes Auditorium. Lud es gtse i (jc^ 
daß Stricker in wirkungsvoller Weise m den Gang der 
Verhandlungen eingriff. Wer m dieser Hinsichch mit 
der Leistung Strickers näher Wkannt m^ie 
wird der soeben erschienene, v-ieizig . i 
sende Tätigkeitsbericht sehr willkommen sein. 
Ohnie auf Details einzugehen, kann wer¬ 
den, daß es diesem einzigen Abgesandten dt os 
sehen Judenschaft gelungen ist, die Win ■ ^ ^ ^ 
Namens zu erhöben, Achtung um i!i Offenheit 
Judenfrage zu erwecken. Durch rückhaltlose Ollenheit 
erzwang er sich eine beachtenswerteste]lung, welche 
seine politischen Gegner nicht minder respektieren. 
Denn all die Männer, die sich in der Wahlkampagne 
um jüdische Stimmen bewarben und schließlich m die 
Nationalversammlung einzogen, überließen es seeleftrukg 
<lem jüdischen Abgeordneten. Fragen, die pid.asches.Wohl 
und Wehe betrafen, zu lösen, auch wenn diese Herren 
selbst Juden waren. . . . 
Und Stricker Heß nicht die kleinste Gelegenheit yoi- 
übergehen, ohne sich für jüdische Interessen mit semer 
besonderen Kraft und überzeugenden W arme emzuseW 
So bedeutete die Tätigkeit Strickers im Pai lament 
als Ganzes einen Erfolg, im Gegensatze zu den israeli¬ 
tischen Kandidaten der anderen Parteien, innen bede^en- 
den Gewinn für die gesamte österreichische Juihnheit. 
Siricker hat jedoch nicht nur jüdische Interessen in vor¬ 
bildlicher Weise vertreten, er hat es nicht minder vei- 
'tanden, sich, für die Notwendigkeiten und Erfordernisse 
des Staates einzusetzen, und damit neuerlich den prak¬ 
tischen Beweis erbracht, daß jüäischnational« Politik nut 
den Staatsbürgerpflichten in schönsten Einklang zu 
bnU Anderswie vor einem Jahre stehen wir heute voi¬ 
der Wahl. Damals mochte es immerbin angst!» h< 
,uüter gegeben haben, die eine aussichtsreiche Kandidatin 
des volksbewußten Judentums als ein riskantes Expev- 
l'Lt betrachteten. Heute aber, nach eincuihnlb- 
i-ihrieer Erfahrung, können sich keinerlei derartige L .\ei 
fei Ea4i «»haffen: Heute liegt es zweifeibs im Interesse 
des Judentums, nicht minder aber auch im Inteiebs. 
unserem Staates und seiner Stellung zur pidischen Bevol- 
kerunj?, wenn dieser erprobte Mann neuerlich die Ver¬ 
tretung des aufrechten Judentums übernimmt. 
\iich die an zweiter Stelle normierte Kandidatin is 
„»» Ät Fremde. Per Kiinie Annita M .n«.»t 
'ibet nicht nur hier jedermann ,ge.<u P- , 
t Gr«rei, unsere, Lande» 
f SXkir Hie „nrergleinhliel,,,, LeWrn^i 
dbser Frau auf sozialem Gebiet, ihre unermndbehe Auf- 
oXung ihre Initiative sowie nicht miffder ihre 
glänzende Rednergabe prädestinieren sie m heiv 
i mender Weise zu unserer Vert reterin.- 
.md
	        
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