Volltext: Nr. 71 (71. 1920)

Nr. 71 
Jüdische Nachrichten 
.geleistet, kein Fluß überschritten, kein Fleisch gekocht, 
kein Bad genommen, vom König kein Rock gewechselt 
werden. Auch für den fünften und sechsten — Un- 
alücksfeiertag — gab es dergleichen Gebote, weil ja 
]iaeh der babylonischen Weltanschauung das ganze Men¬ 
schenleben mit allem Gelingen und Mißglücken vom 
Himmel vorgezeichnet ist. Aus diesem babylonischen 
Dies ater schüfen die Juden durch dem ethischen Ge¬ 
danken, daß selbst Gott am siebenten Tag aus Freude 
an der Schönheit und Wohlechaffenheit der Schöpfung 
ruhte, den Sabbath, den Feiertag des lichten Friedens 
und der leuchtenden Freude, eine himmlische Fermate 
im irdischen Sechs-Achtel-Takt der Werktagswoche, 
deren heilige Stille kein profaner Laut, des Jubels nicht 
und nicht der Trauer, kein Fehdeton und kein Befehl s- 
ruf «stören dürfen, denn heilig ist dieser Tag, dem gan¬ 
zen Volk als eine Possessio sacrosancta von seinen 
Führern! zubeschwören, an ihm ist jedes Weisen von 
Sonnenuntergang zu Sonnenuntergang geweiht. Denn 
als in Ägyptens Ziegelgruben alle, Herr wie Knecht und 
Weib wie Kind, an ihren Leibern spüren mußten, welch 
eine Qual ein Leben ist, das einen Menschen ohne Pause 
freien Atems ans Tretmühlrad erzwungener Arbeit kettet, 
da (schwuren sie sich zwischen ihren Seufzern dais Gelübde 
ab, einst frei geworden, in ihres Landes Grenzen kein 
Geschöpf, nicht Mensch, nicht Vieh, zu diesem Sklaven¬ 
schicksal zu verdammen!. Hier unter den Knuten der 
ägyptischen Schergen entrang sich ihrem gequälten Busen 
die erhabene -Überzeugung, daß ein jedes Wasen, wie 
niedrig' es das Schicksal auch gestellt, ein sittlich Aniec it 
habe auf ein Siebenteil der Ruhe, auf einen Sabbath, an 
dem die Menschenseele sich, dem Ewigen, Überirdischen 
zugewendet, den Nöten, Nichtigkeiten und Notwendig¬ 
keitein des Alltags entschwinden könne, ja entschwinden 
müsse, denn durch diesen Sabbath tag der Seele werde erst 
die Woche wert, gelebt zu »ein. „Sechs Tage sollst du 
arbeiten" — hier kli,n|gt zum ersten Mal in der Ge¬ 
schichte der Kultur das hohe Lied der Arbeit an, das 
heute die Halle der Menschheit als hunderttausendMim- 
rniger Choral durchbraust, — „aber der siebente sei dir 
ein Feiertag, dir, deinem Sohn und deiner Tochter deiner 
Magd und deinem' Knecht, deinem Vieh und dem Fremd¬ 
ling, der in deinen Toren weilt", an diesem siebenten 
Tage wird — Triumph der jüdischen Weltanschauung! — 
der Alltag durch den Sabbath, die Profanität des Lrden- 
lebens durch die Heiligkeit himmlischer Erhebung uber¬ 
wunden. An diesem Tag, da alle Schranken fallen und e> 
nicht Arme mehr und Reiche gibt, da niemand darben 
darf in Israel und jedes Hauses Türen offen stehen, da 
sich der Arme als Bruder an den Tisch des Reichen setzt, 
an dem die Feindschaft ihre Lanze .senkt, und der 11 all 
sein Beil vergrabt, der Dränger schweigt und der Schuld- 
■ner frei ist, an dem die Träne dem Lächeln und die 
Trauer der Freude weichen, an dem der Frieden trium¬ 
phiert über den Kampf, die Gerechtigkeit über die Unbill 
und die Liebe über, die Feindschaft, an dem die ganze 
Nation sich der Erfüllung nahefühlt, „ein Königreich 
von Priestern und ein heilig Volk zu sein", an diesem 
Weihetag der Woche sieht Israel sein messiamsch ideal 
verwirklicht, dem es als dem1 unverrückbaren Ziel scinoi 
geschichtlichen Sendung zustrebt. Durch die_seehs; \ e 
«pochen des Völkerwerktages hin zum Sabbath der 
Menschheit! 
Ans sittlichen Motiven geboren und zu «ittlichen 
Erfüllungen verpflichtend, hat der judische Sabbath 
nichts, aber audi gar nichts mehr gemein mit dem Un- 
glücks-sabattu des» Babyloniens, ja, auch nichts gemein 
mit dem arischen Sonntag,' diesem Mi sehl-Masch von 
Weihe und Gemeinheit, diesem Centaumtag, dessen Mor¬ 
genstunden die MIenge in die Kirche strömen sieht und 
dessen Abend sie in den Bordellen findet. Der judische 
Sabbath ist unvergleichlich mehr als profane Aibeits- 
pause oder ein Tag vulgären Volksvergnügens: weltüber¬ 
windende Würde weiht die Stunden, die vom Glanz des 
Sabbathlichts durchstrahlt sind. Sabbathtag in einer judi¬ 
schen Stadt — wer lebt ihn ? Und wer ihn lebte — wer 
Vergißt ihn? Da lärmen keine Karussels, da laufen nicht 
die Kellner schwitzend mit den Kaifeetassen zwischen 
den besetzten Tischen und schleppt nicht der müde Gaul, 
der in der Woche seinen Karren zog, die Sippschaft seines 
Herrn zur Rennbahn hin — „auf daß dein Ochs und dein 
Esel ruhen und sich erhole der Sohn deiner Magd und 
der Fremde in deinen Toren ... darum hat dir der 
Ewige, dein Gott, den Sabbath befohlen. 
Indem djis »ludentum so den Sabbath als den einzig 
benannten Tag* der Woche nicht nur über alle Arbeits¬ 
tage, sondern in der Strenge seiner Heiligkeit stogar über 
alle Feste hebt, proklamiert es in ihm eines seiner er¬ 
lauchtesten Postulate : die Superiorität der sabbathlichen 
Kontemplation über den werktäglichen Aktivismus. Hoch 
steht die Arbeit — „sechs Tage sollst du arbeiten! - 
aber höher die Ruhe; höher die Tat, die ihn erzeugt, steht 
der Gedanke, den sie gebiert. Die Tat ist Tihamlat, die 
Drachemmitter, der alles Leben verdankt; der Geist ist 
Marduk, der Lichtsohn, der sie überwindet, Oper an se¬ 
qui tur esse. Arbeitt Weg zum Leben, aber nicht wie in 
unserer amerikanischen Welt Inhalt und Endzweck. An 
den Werktagen arbeitet man," aber man lebt am Sabbath, 
wenn die Lichter glänzen, wenn die Psalmen klingen, 
die Kinder den Worten der Mütter lauschen und die 
Männer über heiligen Schriften im Gespräch die Fäden 
uralter Weisheit zu immer neuen Gedankenbilder.nl weiter 
spinnen. Der Sabbath ist die siebentägige Verkündigung 
der Autonomie des Geistes über den Körper, der Supre¬ 
matie der Freiheit über alle irdischen Bindungen. 
Mitteilungen 
des Jüdischen Nationalfonds. 
Bausteine für das dritte jüdische Reich. 
Die außerordentliche Nationalfonds-Konferenz vom 
31. August hat die sofortige Aufbringung eines 10 Mil- 
lionen-Kronien-Fonds durch 500 Teilspenden von je 
20.000 Kronen als „Bausteine" für das dritte jüdische 
Reich beschlössen. Schon jetzt ist die Zentrale in der 
Lage, die ersten. Bausteine ausweisen zu können. Die 
Spender sind die Herren M. Alst er (Wien), Max 
Klein und Jakob Kaufmann (Mödling). Nach 
einem Vortrage des Herrn Wolf gang Weißl in Mödling 
verpflichtete sich die zionistische Ortsgruppe, ehestens 
zehn Bausteine zu je 20.000 K aufzubringen, davon zu¬ 
mindest sechs Einlzelspenden eines Hausteines. W ii geben 
hievon Mitteilung, in der sicheren Erwartung, daß dieser 
Beschluß in unseren Gemeinden Nachahmung finden wird.
	        
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