Volltext: Nr. 71 (71. 1920)

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Jüdische Nachrichten 
Nr. 71 
sätze innerhalb der Gemeinde ausgleichen könnten. Das 
Komitee, dem auch Vertreter der Kultusgemeinde ange¬ 
hören, sprach sich im Sinne der Anregungen aus und 
beschloß, in einem geeigneten Zeitpunkte — es wurde auf 
die Nähe der Wahl in den Kultusvorstand hingewiesen — 
an einie Reihe von " Person ] ich k ei ten mit dtem Ersuchen 
um Mitarbeit heranzutreten, um dann eine großzügige 
Werbearbeit für die Palästina-Idee zu beginnen. In¬ 
zwischen erwies sich die Notwendigkeit, für die Palä- 
stina-Emigration vorzusorgen. Das Komitee wird 
trachten, sowohl die Fürsorgeaktion für Chaluzim in 
Wien zu fördlern als auch Maßnahmen lokaler Natur für 
Palästina-Wanderer zu treffen. 
Jüdischer Turn- und Sportverein. Wir verweisen 
auf die heutige Anzeige in unserem Blatte, betreffend die 
am 29. September stattfindende Hauptversammlung. Es 
erübrigt «ich, die Wichtigkeit dieser Yersammiltung zu 
betonen und zu bemerken, daß es Pflicht aller 
Mitglieder ist, in erster Linie aller Turner und 
Turnerinnen, vollzählig und pünlktlich zu er- 
seh einen. 
Jüdische Volksbibliothek. Allgemeinen Wünschen 
Rechnung tragend, wird ab 1. Oktober die Bücherausgabe 
wieder jeden Sonntag von J.0 Uhr bis 11 Uhr 
erfolgen. Gleichzeitig ergeht an alle Leser, die mit dem 
am1 1 August fällig gewordenen Semestr§lbeitrag von 
10 K im Rückstände sind, das Ersuchen, die Einzahlung 
ehestens leisten, zu wollen. 
Eine starke Zumutung. Wenn man bisher der An¬ 
sicht war, daß die konfessionelle Vertretung der Kultus- 
gemeinde in Linz in erster Linie berufen, ist, im Geiste 
des traditionellen Judentums vorbildlich zu wirken, so 
hatte mJan am Jörn Kippur hinreichend Gelegenheit, sich 
von der Fälschlichkeit dieser Auffassung zu überzeugen. 
Es hat Bich ein Anlaß geboten, festzustellen, wie weit der 
Geist der Versöhnlichkeit, des Wohlwollens und der- 
Güte an diesem heiligen Tage in die Herzen der diversen 
Kultusväter eingedrungen ist, und es hätte das Interesse 
jedes Psychologen erregt, zu beobachten, wie sehr die 
rauhe Schale den guten Kern dieser Herzen zu verhüllen 
vermochte. 
Nun aber zum nüchteren Sachverhalt. 
Wie jedes Jahr, hatten sich auch diesmal eine Reihe 
von auswärtigen Gemeindemitgliedern eingefunden, um 
den Versöhnrungstag traditionell zu begehen. Unter 
diesen befand -sich auch eine Gruppe, die großen Wert 
darauf legte, am Jom Kippur zur Thora aufgerufen zu 
werden, da sie ja das ganze Jahr nicht dieser Ehre teil¬ 
haft werden; da jedoch die Aufrufe bereits verteilt 
waren, beziehungsweise zu den ausgehoben^n zwei 
Seforim nicht genügend Aufrufe sich ermöglichten, 
stellte Oberkommissär Ingenieur Finger aus W eis 
im Namen dieser Gruppe an den Tempel vor steher 
Töpfer das Ersuchen, es möge ein dritter befer aus¬ 
gehoben werden, aus dem gleichzeitig im „kleinen 
Tempel" geleint werden sollte, um auf diese Weise den 
Ansprüchen der Auswärtigen gerecht zu werden. 
Anfänglich über diese, die bisherige Gewohnheit 
durchbrechende Forderung höchst verduzt, holte man das 
Gutachten der Rabbiner .ein. Und siehe da, es stellte 
sich heraus, daß gegen die Bitte nichts einzuwenden sei. 
Wer jedoch glaubte, daß damit die Angelegenheit im 
günstigen Sinne erledigt war, gibt sieh einer argen Täu¬ 
schung hin. Der „Konservatismus sitzt tiefer. Irotz 
der vermittelnden Haltung der Herren Rabbiner und 
Oberrevidenten Orlik erschien die Sache den anderen 
maßgebenden Herren undurchführbar, und konnte es 
eich Herr Josef Töpf er nicht versagen, sogar mit seinjer 
Demission zu drohen. 
Der Konflikt war da und konnte nur durch eine 
glatte Absage an die Petenten erledigt werden, was auch 
ohne Zögern geschah. Herr Bernhard T a u s s i g, dessen 
Abwesenheit zur kritischen Zeit nicht übersehen werden 
konnte, erhielt über die ganze Affäre nachträglich Be¬ 
richt, und hielt sich bemüßigt, das Ansuchen des Inge¬ 
nieurs Finger diesem gegenüber einier Kritik zu unter¬ 
ziehen, die sicherlich jedem Schuljungen — aber nur 
einem! solchen — hätte imponieren können. 
Und das Fazit? Eine sehr verständliche und berech¬ 
tigte Erbitterung der auswärtigen Mitglieder und — 
Kampfstimmung ini Kultusvorstand. Man denke : nicht 
nur, daß man den „Auswärtigem" gestattet —, Kultus¬ 
steuer zu zahlen, verlangen sie noch, am Jom Kippur auf¬ 
gerufen zu werden, ja sogar aus einem dritten Sefer zu 
„leinen"! Eine selche Anmaßung hat bisher die Ge¬ 
schichte der Kultusgemeiinde nicht gekannt; die Forde¬ 
rung stellt ein Novum dar. Es ist eine starke Zumutung 
an den scheidenden Vorstand, noch in letzter Stunde 
bedenkliche Neuerungen einzuführen. Was zuviel ist, 
ist zuviel! 
Verlobung. Herr Otto Schlesinger, Beamter 
der Allgemleinen Depositen-Bank, Filiale Linz, hat sich 
mit Fräulein Bisa Rujder, Tochter der Frau Berta 
Rujder in Gmunden, verlobt. 
Feuilleton. 
^]Dnr]DDDnDDODDDDDDDDDDDDDDDDODDDDDCIDDOnC,: 

Der Sabbath. 
Wir veröffentlichen nachfolgend ein Bruchstück 
aus dem soeben im Welt-Verlag, Berlin, erschienenen 
Buche von Fritz Kahn: „Die Juden als Rasse und 
Kulturvolk", dessen eingehende Würdigung wir uns noch 
vorbehalten. ^'e Redaktion. 
Die Geschichte ist eine Schauspielerin, die mittags 
die „Madame sans gene" und abends die Antigone spiel I. 
Sie gleicht der Serpentintänzerin, die jetzt in Rot er¬ 
strahlt und nun in Gelb erblaßt, um eine Sekunde spater 
in Purpur aufzuflammen, je nach der Scheibe, die dei 
Regisseur „Historiker" vor den Scheinwerfer der W ahr- 
heit schaltet .... . , 
Delitzsch heißt den Sabbath, der seit dip Jahr¬ 
tausenden Jude gewesen, Babylönier werden, und er 
folgt wie ein Akteur, der sich zwischen zwei Szenen ver¬ 
kleidet, dem Geheiß des, Intendanten. „Da auch die baby¬ 
lönier einen Sabbathtag hatten", schreibt er m seinem 
berühmten Vortrag, „. . . so dürfte kein Zweifel sein, 
daß wir die in| der Sabbath-, bezw. Sonntagsruhe be¬ 
schlossene Segensfülle im letzten Grunde j^nem alten 
Kulturvolk am Euphrat und Tigris verdanken.' Klingen 
in uns wirklich, wenn wir — schönstes aller semitischen 
Worte, die in den Sprachschatz der Völker eingingen 
— Sabbath sagen, klingen in uns wirklich Akkorde 
nach, die Babylon in den Saiten der Menschheitsseele 
anschlug? . 
In Babylon gab es gemäß der astrologischen Zeit¬ 
einteilung Glücks- und Unglückstage. Der Haupt- 
imglückstag der Woche war als1 der siebente ? 
gliicks-Sieben — der sabbattu; an ihm durften, weil sie 
mißlingen, kein Geschäft abgeschlossen, kein Jim
	        
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