Volltext: Nr. 65 (65. 1920)

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far die österreichischen JUpevtfliiidev 
Nf. 65 
16. Juli 
Linz, am - 1 A^ 5680 
1920 
Erhaltung und Erneuerung. 
Der Sommer war nach alter parlamentarischer Ge¬ 
pflogenheit Ferialzeit für die verschiedenen öffentlichen 
Vertretung&körper. Heuer hat man nirgends Zeit zu 
feiern; insbesondere rege ist aber das öffentliche Leben 
im jüdischen Volke. Das Interesse an seinen eigenen 
Angelegenheiten, teilweise bis zur Leidenschaft gestei¬ 
gert, formt sich in den zahlreichen Tagunigen und Kon¬ 
gressen, welche in diesen Wochen verhandelt haben, ge¬ 
rade zusammengetreten sind oder binnen kurzem bevor¬ 
stehen. 
Unstreitig die erste Stelle unter diesen Konventen, 
welche der Beratung jüdischer Dinge gewidmet sind, 
nimtart die J ah reskonf erenz der zionistischen 
Organisation ein, welche zur Zeit in\ London tagt. 
Wenn sie auch nur ein Surrogat für den allgemeinen 
großen Kongreß darstellt, den einzuberufen die Verhält¬ 
nisse noch immer nicht erlaubten, so ist sie doch die Ver¬ 
sa mim lung freigewählter Vertreter des j ü d i- 
sehen Volkes aus allen Teilen der Welt. Zurüi ersten 
Male können sich auch die russischen Juden unmittelbar 
an den Beratungen beteiligen; in stattlicher Anzahl sind 
die Vertreter der amerikanischen Judenheit erschienen. 
Van Österreich wurden soeben Delegierte entsandt. 
Die Aufgabe®, welche die Jahresversanfmlung zu lösen 
hat, sind von entscheidender Bedeutung. Das Programm 
der zionistischen Organisation ist seiner Durchführung 
nahe gerückt. Jetzt heißt es die Wege finden, auf denen 
es erfolgreich zu Ende geführt werden kann. 1 alästina ist 
dem jüdischen Volke zugesprochen worden; seine auf 
der Jahreskonferenz versammelten Vertreter werden 
nicht bloß zu dieser Tatsache Stellung zu nehmen haben, 
sondern von London muß jetzt auch die Weisung aus¬ 
gehen, was ntun zu geschehen hat. lausende warten aui 
den Augenblick, wo sich ihnen die Tore des Landes öffnen, 
das ist das eine Problem, das zu lösen ist ; das andere 
ist die Beschaffung der ungeheuren Mittel, «velche der 
Aufbau von Erez Israel fürs erste verlangt. Millio- 
nen, welche die Schaffung der jüdischen Heimstätte mit 
Freude oder wenigstens Sympathie begleiten, müssen 
ihrerseits auch zur Tat schreiten, sie müssen das finan¬ 
zielle Instrument schaffen, welches zu unserem Werke 
unerläßlich ist. Die zionistische Jahreskonferenz muß 
Klarheit bringen und Weisung geben für Entwicklungen, 
die noch in entfernte Jahrzehnte reichen und für eine 
Tätigkeit, die schon morgen einzusetzen hat. 
Von ganz anderen G esichtspunkten ist die allgemeine 
jüdische "We 11-H i 1 f sk o n f er e n z, welche in Küize 
in Karlsbad zusammentreten wird. Die Vertreter der be¬ 
deutendsten großen Hilfsorganisationen, welche alten jü¬ 
dischen Geist in neuer Form betätigen, sollen da zusam¬ 
menkommen, um die so wichtige einheitliche Linie für 
ihre Arbeit zum Wohle der leidenden Judenheit festzu¬ 
stellen. Denn daß die augenblickliche l\Tot, unter welcher 
der größere Teil unseres \ olkes leidet, nur durch die gro߬ 
zügigsten Maßnahmen gelindert werden- kann, ist der 
Grundgedanke dieser Konferenz, deren Haüptprogramm- 
pünkte die Organisierung einer schnellen Hilfe, der 
Wanderung und eine Arbeitsgemeinschaft 
sinid. Zionistische Jahreskonferenz und \V eltliilfskonfe- 
renz stehen gewissermaßen in Kommunikation; nicht nur, 
weil die letztere ihren Zusammentritt auf zionistischen 
Impuls zurückführen muß. Während die erster© über die 
Grundlagen der zukünftigen Gestaltung des jüdischen 
Volkskörpers zu entscheiden hat, gilt die letztere der Not 
de3 Tages, der augenblicklichen Linderung. Was in Lon¬ 
don beraten wird, soll den Gegenstand einer zukünftigen 
Hilfskonferenz, die Judennot, aus der Welt schaffen. 
In Amerika tagt der permanente jiidische 
Kongreß. In ihm hat sich das große amerikanische Ju¬ 
dentum, bei-dem heute das Schwergewicht unseres Vol¬ 
kes liegt, eine Tribüne geschaffen, von der aus,seine For¬ 
derungen gehört werden. Die amerikanischen Juden 
haben über die Gegensätze hinweg sich geeinigt, wobei 
man jedoch beachten muß, daß jenseits des Ozeans jeder 
Jude sich zu einer uneingeschränkten Erkenntnis der Be¬ 
deutung Palästinas fürs jüdische Volk durchgerungen hat. 
Die Juden Italiejis haben ebenfalls einen allge¬ 
meinen Kongreß nach T r i e s t einberufen, der sicherlich 
berufen ist, die nationale Orientierung der aufstreben¬ 
den Gemeinden zu vereinheitlichen, zusammenzufassen, 
und /sie/'dem gezäunten jüdischen Volk dienstbar zu, 
machen. 
In der Schweiz wird eine ungemein rege Tätigkeit 
entwickelt. Nachdem vor kurzem eine für die künftige 
Entwicklung von großer Bedeutung abgehaltene Tagung 
der zion. Delegierten stattgefunden hat, schicken sich 
eine Reihe von anderen- jüdischen Organisationen, darun¬ 
ter die Agudas jisrael an, in Konferenzen die Richtlinien 
ihrer nunmehrigen Tätigkeit festzulegen. 
Wenn auch in den Ländern Mitteleuropas die Juden 
noch nicht die gemeinsame Plattform für. Beratungen ge¬ 
funden haben, so bedeuten die Tagungen, welche dort vor 
kurzem veranstaltet wurden, die Manifestationen der 
aktiven Kreise des Volkes. Die letzten Wahlen in der 
Tschechoslowakei brachten den. vereinigten jüdir
	        
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