Volltext: Nr. 63 (63. 1920)

Jüdische Nachrichten 
5fr. 63 
Löwensohn wie allen, die durch ihre Mitwirkung dem 
gottesdienstlichen Akt so. feierlich und herrlich gestaltet 
haben. 
Schauturnen des Jüd. Turn- und Sportvereines. Das 
bereits für Dienstag, den 29. Juni, angekündete Schau¬ 
turnen verspricht einen glänzenden Verlauf zu nehmen. 
Es wird gewissermaßen eine Schlußproduktion für das 
erste Tätigkeitsjahr des Jüdischen Turnvereines sein, 
die den Beweis erbringen wird, mit welchem Ernst, Eifer 
und Verständnis gearbeitet wurde. Eine willkommene 
Bereicherung werden die Darbietungen von Musterriegen 
des Wiener Makkabi X bilden, welche in liebens¬ 
würdigster Weise der Einladung der Turnleitung fol¬ 
gend, hieher kommen, und die sicherlich allen, jenen Lin- 
zern, welche beim Wiener Kreisturnfest waren, in beater 
Erinnerung sind. Wir heißen schon heute unsere Wiener 
Gäste herzlichst willkommen, und haben nur den einen 
Wunsch, daß sie sich in unserer Mitte recht wohl und 
heimisch fühlen mögen. — Hinsichtlich, des Programmes 
verweisen wir auf unsere heutig« Ankündigung, und be¬ 
merken, daß Einladungen, die infolge unrichtiger Adres¬ 
sierung oder aus sonst einem Grunde nicht durch die r ost 
eingetroffen sind, beim Obmann, Herrn Emil Bruder, 
behoben werden können. 
Todesfälle. Am 19. Mai 1920, Siegmund Mautner, 
Privatbeamter, 69 Jahre alt. Beerdigung fand am 21. Mai 
1920 von der Leichenhalle aus statt. — Am 3. Juni 192 t, 
Alfred Kanitz, Pflegling der Diakonissenanstalt Gall- 
neukirchen, 70 Jahre alt. Beerdigt am 8. Juni in Linz. 
— Am 11- Juni 1920, Dr. Moritz Holz er aus Grein, 
im Allg. Krankenhaus zu Linz, im 51. Lebensjahre. Be¬ 
erdigung fand am 17. Juni in Linz statt. 
* 
Dem Verstorbenen widmeten die Linzer Tagesblät¬ 
ter ehrende Nachrufe. Dr. Holzer war ein Arzt von her¬ 
vorragendem fachlichen Wissen, der wie selten ein Arzt 
' weit und breit gesucht, sich der größten Beliebtheit in? 
ganzen Bezirk erfreute. Besonders die arbeitende Be¬ 
völkerung wußte seine wahre Menschlichkeit und llilis- 
bereitschaft zu schätzen. Trotzdem hat seinerzeit bei der 
Vergebung der Stadtarztstelle die damals deutschtrei- 
heitliche Gemeindevertretung ihn, den Sohn des Stadt¬ 
chens Grein, übergangen, weil er Jude war, und noch 
kurz vor seinem Tode setzte von selten des klerikalen 
„Machländer Boten" eine häßliche Hetze ein, Anwur e, 
die sich freilich bald als gemeine Lügen erwiesen Auch 
ihm ist die moralische Judennot nicht erspart geblieben. 
letztere jeden Freitag die Bauern der Umgegend am so¬ 
genannten „Fischstein" ihren Markt hielten und judische 
Köchinnen in mehr oder weniger reinen Netzen, jüdische 
Hausväter in mehr oder weniger reinen Schnupftüchern 
ihr Kontingent an „Schabbesfischen'' nach Hause trugen. 
trugen. . ,. , 
Das Gericht hatte einen solennen Anstrich, bur die 
Größe des Festes zeugte die Qualität der Fische, den 
drei hohen Festtagen gehörte der Lachs, den minderen 
der Karpfen in der spartanischen Sauce; die gewohn¬ 
lichen Sabbate mußten sich mit Barben und Weißfischen 
begnügen. Doch ohne Unterschied der Rangstufen wur¬ 
den die Fische stets von meiner Mutter eigenhändig zu- 
beratet, denn mein Vater behauptete, daß niemand aui 
Erdeni eine Fischsauce „ä la Mutter" bereiten könne. Mit 
gerechtem Stolz heftete die Mutter jeden Freitag vormit¬ 
tags sich die weiße Schürze um, an deren beide^ Zipfel 
ich und meine kleinere Schwester uns klammern durften, 
um Zeugen bei diesem Wunder der Kochkunst zu sein. 
So oft nun die in Stücke zerteilten Fische aus dem blan¬ 
ken Messingkessel genommen und symmetrisch auf die 
lange Schüssel geordnet wurden (das Gericht wurde 
abends kalt kredenzt), legte die Mutter das kraftigste 
Kopfstück auf einen besonderen Teller, begrenzte es mit 
Zwiebeln und Zitronenscheiben, übergoß es mit der ge¬ 
würzig duftenden Sauce und stellte es auf den weiu- 
gescheuerten Anrichtetisch mit dem Worten: „Für laute 
Guttraud." 
Allwöchentlich sahen wir Kinder diesen neidens- 
werten Tribut hinwegtragen, ohne uns von der Zwangs¬ 
pflicht, die uns kopflose Fische auferlegte, Rechenschalt 
* geben zu können. Tante Guttraud war eine Mutterschwe¬ 
ster unserer Mutter, die mit einem kranken Mann und 
zwei ältlichen Töchtern in einem Gäßchen nahe der altern 
Schul", dem Bethaus der Strenggläubigen, ihre Woh¬ 
nung hatte, aus der sie nie den Fuß setzte. So oft aber die 
Mutter nur ihrem Namen nannte, geschah es mit einem 
Ausdruck frommer Verehrung, zu der auch wir Kinder 
mit angehalten wurden, ohne sie zu begreifen oder je nach 
ihrem Grunde zu fragen. Ja unsere heilige Scheu ge¬ 
wann einen Anstrich von Furcht, wenn wir mit der Mut¬ 
ter Freitag abends nach der „Schul" (Gottesdienst) die 
alte hölzerne Treppe, die einen Strick statt, des Geländers 
hatte, zur Wohnung der Tante Guttraud hinaufkletter¬ 
ten, um uns, wie es die Mutter nun einmal eingeführt 
hatte, von ihr „benschen" (segnen) zu lassen. 
(Fortsetzung folgt.) 
FnaaaaaaaaaaaaaaaaaoQaaGaaoaaaaaoaaaaDGiJt^ij 
Feuilleton. □ 8 
Tante Guttraud. 
Von S. H. Mo sen thai. 
Ich weiß nicht, wie es historisch zu begründen ist, 
daß wir Juden für die Mahlzeit am Freitagabend, als 
am' „Eingang des Sabbats", ein Fischgericht für unerlä߬ 
lich halten. Die Bibel zählt unter den nationalen Lieb- 
lingsspeisen nur die Zwiebeln und den Knoblauch auf. 
Ob sich das angestammte Fischgericht durch 1 etri Fisch¬ 
fang oder das Wunder mit den Fischen auf seine histo¬ 
rische Quelle zurückleiten lasse, das mögen die Archäo¬ 
logen entscheiden. So viel aber weiß ich, daß in meiner 
Vaterstadt, die eine überwiegend protestantische, eine 
kleine katholische und eine ziemlich beträchtliche 
jüdische Bevölkerung besaß, fast ausschließlich für die 
Bücher und Zeitschriften. 
Jakob Finger mann: „Menschen im Abgrund 
(R Löwit 1920. Die äußere Ausgestaltung, die der sonst 
so geschmackvolle Vorlag Löwit dem Buche angedeihen 
ließ, läßt einem dieses Buch mit geringen Voraussetzun¬ 
gen in die Hand nehmen. Man erwartet eine minder- 
wertige sensationelle TTnterhaltungsmache. Und dann is 
dieses Buch ein Kriegsroman und gegen, diese liegen wir 
seit den Erzeugnissen gewisser Kriegspoeten ein nicht 
unberechtigtes Mißtrauen. Aber Fingermann ist keiner 
von ihnen. Sein Buch ist kein Kriegsroman, wenn er 
auch Ereignisse zur Zeit der Besetzung der Stadt Lublin 
durch die österreichische Armee zum Vorwurf hat, son- 
dern ein kulturgeschichtliches Werk von hervorragenden 
Qualitäten, dem es in erster Linie um Wahrheit und 
Reinheit geht. Mit unerbittlicher Strenge wird hier zu 
Gericht gesessen. Die Sünden einer Soldateska, deren
	        
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