Volltext: Nr. 63 (63. 1920)

Jüdische Nachrichten 
Nr. 63 
Auf dem Rücken des Judentums. 
Das Schändlichste an unserem öffentlichen Leben in Österreich ist, daß alles, so edel oder so verwerflich m 
erfähi"' ",,d ™ - ■« «*». ™ - ä 
Zur Illustration: 
Die Landesgruppe O b © r ö s t e r r e ich der 
Gewerkschaft deutscher Postler: 
„Wir machen aufmerksam, daß die Aussperrung 
Ungarns vom internationalem Gewerkschaftsbund, dias ist 
also lediglich von der sozialdemokratischen Arbeiter¬ 
schaft ausgeht, wogegen sich die deutschvölkischen und 
christlichen Gewerkschafter Österreichs in scharfer 
Weise gegen diese Gewalttat wenden, die nichts a Is ein 
Attentat des internationalen Judentumes ist. Wir teilen 
mit, daß der zum Tode verurteilte Sekretär der Post¬ 
angestellten Ungarns, namens Levai, ein Jude, nie¬ 
mals Postbeamte r w a r, während der Bäteherr¬ 
schaft in Ungarn eine schändliche Polle spielte und hie- 
bei drei Morde, einen Bankraub, 17 Diebstähle und 
40 Freiheitsberaubungen verübt- hat. Er wurde vor einem 
ordentlichen Ges'chwornengerichte verurteilt und gab 
seine Schuld bezüglich der Morde rückhaltslos zu. Als 
Verteidigung führte er einen „höheren Auftrag" an. Um 
ein solches Scheusal zu schützen, sollen wir Postler in 
einen Streik treten, der noch dazu uns mindestens ebenso 
trifft wie Ungarn, da wir im kommenden Jahr auf die 
Lebensmittel zufuhr aus Ungarn unbedingt angewiesen 
sind. - 
Sobald irgendwo einen oder mehrere Juden das 
Schicksal ereilt, erhebt sich die gesamte jüdische Presse 
und ruht und rastet so lange nicht, bis unsere leider allzu 
leichtgläubige arische Bevölkerung getäuscht ist und sich, 
zum Großteil unbewußt, zum Büttel Israels macht. Daher 
ist es nicht richtig, wenn von Seite des hiesigen Post¬ 
gewerkschaftsverbandes behauptet wird, daß dieser Boy¬ 
kott mit der Politik gar nichts zu tun hat. 
Wir erachten es als unsere Pflicht, die Öffentlichkeit 
hier aufmerksam zu machen, daß alle Sendungen nach 
Ungarn von den Post- und Telegraphenämtern angenoim 
men werden müssen. Bei Annahmeverweigerung wende 
man s-ich mit einer Beschwerde an den Ämtsvorstand. 
Auch ist es zweckdienlich, die Aufgabe bei einem anderen 
Schalter oder bei einem anderen Amte zu versuchen, da 
es noch genug besonnene, volksbewußte Postler gibt, die 
sich weigern werden, durch die Teilnahme an diesem 
Gewaltakt volksschädliche Interessen zu fördern." 
Die deutschen Postler tun also nicht mit, weil sie damit auch einen Juden schützen würden, und Herr 
1 orstner wurde offenbar die Aktion nicht billigen, wenn n u r Juden umgebracht worden wären ... 
Der sozialdemokratische Nationalrat Aug. Forst¬ 
ner: 
„Der Aufruf zum Boykott gegen Ungarn ist bekannt¬ 
lich vom Internationalen Gewerkschaftsbüro in Amster¬ 
dam ausgegangen. Der Boykott soll eine wirksame De¬ 
monstration der sozialdemokratischen Gewerkschaften 
gegen den weißen Terror und die Unterdrückung der 
Arbeiter in Ungarn sein. Die Boykottbewegung als eine 
Aktion auf Veranlassung der Juden zu bezeichnen, ist 
eine grobe Verleumdung, ebenso wie die Angaben der 
ungarischen Regierung über die Zahl der Hingerichteten 
und Eingekerkerten in Ungarn völlig unrichtig sind. 
Es sei ausdrücklich erklärt, daß im Internationalen 
Gewerkschaftsbüro, das den Boykott beschloß kein ein¬ 
ziger Jude sitzt. Der Boykott setzt auch nicht wegen 
der Ermordung von Juden in Ungarn, sondern wegen der 
von. Arbeitern und wegen der Unterdrückung jed¬ 
weder sozialdemokratisch - gewerkschaftlichen Organi¬ 
sationsbestrebung in Ungarn ein. 
In meiner Hand befindet sich eine Liste von 454 
Namen. Es sind die Namen eines Teiles jener Menschen, 
die in Ungarn, ineist durch die Brachialtruppeni, hin- 
gemjordet worden sind. Die Zahl ist nur ein Bruchteil 
der vielen Hunderten von Ermjordeten — die ungarische 
Regierung gibt nur f ii n f z i g zu — die a 11 e n G e s e 11- 
schaftskiassen angehören. Die Liste weist Namen 
von Bürgern, Beamten und Arbeitern auf. Neunzig Pro- 
zen t dieser Ermordeten sind A r i e r und Christenund 
nur z e h n P r o z e n t Juden. Viele Intellektuelle befinden 
sich unter den auf der Liste angeführten Toten, zumeist 
jedoch Arbeiter. 
Der Boykott ist eine Maßregel, die gegen dieses Un¬ 
garn der- Gewalt angewendet werden mußte. Die im 
Transportarbeiterverband organisierten Genossen sind 
ebenso einig in der strengen und gewissenhaften Durch¬ 
führung des Boykotts wie alle anderen sozialdemokra¬ 
tischen Arbeiter, die am Boykott mitzutun haben." 
^DDnnaDaDDaGnDaoaaaoanGaGcoaaaüüaaDDaanGc^ 
Aus dem jüdischen Leben. § § 
EJDaaDDaoDacoDaoooDQDQaaannnnnnnnnnnnnnnr^il 
Palästina-Chronik. An der Klagemauer in Jerusa¬ 
lem verden zurzeit wieder Stützarbeiten vorgenommen. 
Die IWerwaltung war taktlos genug, die Arbeiten am 
Sabbath nicht unterbrechen zu lassen. Durch herum¬ 
fliegende Splitter wurden einige Beter verletzt. Auf Be¬ 
schwerde des- Vorstehers der Palästinakommission, 
Ussischkm, wurde Arbeitsunterbrechung für den Sabbath 
angeordnet und die Arbeiten wurden an Juden übertra¬ 
gen. — Der durch den Pogrom in Jerusalem angerichtete 
Schaden beläuft sich auf 90.000 Pfund Sterling. — The 
London Jewish üorrespondenc Bureau meldet drahtlich 
aus Jerusalem: Die Geulah-Woche hat in Palästina be¬ 
gonnen. Die Sammlungen werden mit großer Begeiste- 
rung durchgeführt. Am ersten Tage wurden an Bargeld, 
Gold, Juwelen und Bauplätzen 15.000 Pfund Sterling 
gesammelt. Das arme Palästina will die Sammlung mit 
mindestens 30.000 Pfund Sterling abschließen. — Das 
Endresultat zu der palästinensischen Delegierten Ver¬ 
sammlung ist folgendes: Bei 18 eingereichten Wahllisten 
wurden, außer den rechtsstehenden Orthodoxen, deren 
Wahlen, wie bereits gemeldet, besonders vorgenomtaien 
wurden und deren Resultat noch nicht bekannt ist, 253 
Delegierte gewählt, Avovon auf die drei Hauptorganisatio¬ 
nen der palästinensischen Judenheit Achduth Haawodah 
08, Sefardin 54, den Block von Hapoel Hazair und Zeire 
Hamisrach entfallen. J. p. Z. 
Die Frau in Palästina. Wie das Büro des Kongres¬ 
ses des internationalen Verbandes für Frauenstimmrecht
	        
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