Volltext: Nr. 55 (55. 1920)

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■ , . 5. März 
Nr.55 I Linz, am 15> Adar5680 
1920 
Die Sitzung des großen Aktionskomitees 
der zionistischen Organisation. 
In der Zeit vom 10. bis 23. Feber tagte in London 
ein Konvent von jüdischen Männern, dessen Beratungen 
wohl der größte Teil deft jüdischen Volkes mit Spannung 
und Erregung folgte. Man kann sagen, (faß seit dem 
ersten Kongreß, den Theodor Herzl in unerschütter¬ 
licher Liebe zum jüdischen Volk und mit fester Ziel¬ 
sicherheit allen den vielen Hindernissen zum Trotz nach 
Basel einberufen hatte, keine Sitzung der zionistischen 
Organisation^ einem gleichen Interesse begegnete und 
selbst die an Bedeutung nicht armen 'Kongresse der 
Vorkriegszeit hinter der schlichten Zusammicnkunft der 
erweiterten zionistischen Exekutive zurückbleiben. Aber 
auch in Kreisen, die mit der zionistischen Organisation 
als solchen nur in lockerer oder gar keiner Fühlung 
stehen, hat maxi auf die Nachrichten, die über die Ta¬ 
gung des Aktionskomitees zu uns kommen, wohl acht. 
Man weiß, daß dieses die entscheidende Instanz ist, 
welche den Bericht der Wortführer des jüdischen Volkes 
über ihre Erfolge hi der Durchsetzung unsere* An¬ 
spruches auf die nationale Heimstätte entgegenzu¬ 
nehmen hat. 
Langsam beginnt auch in den früher antizionisti¬ 
schen Köpfen die Erkenntnis aufzudämmern, wie be¬ 
deutungsvoll die Herzische Schöpfung d<*s Gebäudes der 
zionistischen Organisation ist. Auf freier, wahrhaft 
demokratischer Grundlage aufgebaut, besitzt sie den 
ganzen Apparat, der zur Vertretung des jüdischen Volkes 
geeignet macht. Seitdem im Jahre 1913 der Kongreß, 
gleichsam das jüdische Parlament, seine Beratungen in 
Wien beendigt hatte, war es Aufgabe des Engeren Ko¬ 
mitees, das mit der verantwortlichen Regierung eines 
freien Staates vergleichbar ist, aus eigener Initiative in 
den nun sich überstürzenden Ereignissen der Kriegsjahre 
das Schiff lein des jüdischen Geschickes zu lenken. Und 
die Möglichkeiten, die sich dieser kleinen Schar von 
Männern boten, in deren Hand allein während einer 
Spanne von mehr als fünf Jahren das Ruder lag, waren 
nicht gering. Wir kennen auch im allgemeinen, wras sie 
geleistet und erreicht haben. Trotzdem aber erforderte 
ihre Aufgabe, das jüdische Volk im Getriebe der großen 
politischen Faktoren, wrelche heute die Welt regieren, 
zielbewußt und erfolgreich zu vertreten, daß der wich¬ 
tigste Teil ihrer Arbeit der Öffentlichkeit nicht bekannt 
wurde unci wesentliche Angelegenheiten von ihnen im 
eigenen Wirkungskreise erledigt werden mußten, über 
vieles mußten sie den heute mehr als je mißkreditierten 
Schleier der Geheimdiplomatie hängen. So ist es erklär¬ 
lich, daß die organisierten Zionisten und mit ihnen das 
ganze jüdische Volk, immer lebhafter den Wunsch äußer¬ 
ten, daß eine übergeordnete Instanz die Tätigkeit der 
Exekutive unter Kontrolle iiehme. Die zionistische Orga¬ 
nisation hat selbst in den ersten Kriegslagen den Zu¬ 
sammenhang mit allen ihren über die ganze Erde ver¬ 
streuten Landesverbänden nicht verloren; die in verschie¬ 
denen Städten errichteten Büros vermittelten die Ver¬ 
bindung; was abriß, war im wesentlichen der persönliche 
Kontakt und auch heute noch hindern äußere Hemmun¬ 
gen die Znsammenrnfung der Delegierten aus allen Erd¬ 
teilen zum Kongre ß. Nunmehr ist ersatzweise das 
Große Aktionskomitee zusammengetreten, das ist die 
Versammlung jener von den Kongressen stets gewählten 
25 Männern, welche dem Engeren Aktionskomitee als 
Beirat zur Seite gestellt sind. Heuer hat man diese Kor¬ 
poration auch noch dadurch vermehrt und ihren Beratun¬ 
gen damit mehr Bedeutung gegeben, daß auch Vertreter 
jener zionistischen Verbände und Föderationen geladen 
wurden, deren Stimme sonst nicht gehört hätte werden 
können. 
Die Berichte über die Tagung sind sehr vorsichtig 
gehalten. Man darf nicht vergessen, daß vieles noch nicht 
spruchreif ist, daß die politische Konstellation jenen, die 
mit ihr zu rechnen haben, nicht erlaubt, in die Öffent¬ 
lichkeit zu bringen, was noch Gegenstand von Unter¬ 
handlungen ist. Wir wissen nur, daß die meisten zur 
Tagung gereisten Komiteemitglieder und Vertreter mit 
der Absicht kamen, scharfe Kritik zu üben und daß alle 
einmütig den Wortführern der zionistischen Sache vor 
dem Völkeräreopag die Anerkennung und den Dank aus¬ 
sprachen. Das kann auch den Ungeduldigsten zur Ge¬ 
duld mahnen. Wir haben Grund zur Annahme, daß die 
Zukunft des jüdischen Volkes vorsichtig und klug vor¬ 
bereitet wird! 
Wir lassen einen kurzen Bericht über die Sitzungen, 
bei denen die österreichischen Zionisten durch Abge¬ 
ordneten Stricker und Adolf B ö h m vertreten 
waren, folgen. 
Nach der Begrüßung der Anwesenden und Verlesung 
der eingelaufenen Telegramme, worunter besonders das 
LT s s i s c h k i n s aus Jerusalem zu erwräbnen ist, nahm 
Dr. W eizmann das Wort zu einem politischen Be¬ 
richt. Er stellte fest, daß in der allernächsten Zeit mit 
der Erteilung des Mandats für Palästina zu rechnen ist, 
dessen Präzisierung das Ergebnis eingehender Beratungen
	        
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