Volltext: Nr. 54 (54. 1920)

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und Administration 
Linz 
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Ersch eint 
jeden Freitag. 
JODISCHE 
NACHRICHTEN 
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|j Die Spa!;eabreite pro 
il Millimeterhöhe 50 h 
für die österreichischen Alpenländer. 
Nr. 54 
f . 20. Februar 
Linz, am i# Adar 5680 
1920 
Zur freundlichen Kenntnisnahme. 
Als vor wenigen Wochen unser Blatt in den zweiten 
Jahrgang trat, verabsäumten wir es nicht, unseren Lesern 
und Freunden mitzuteilen, in welcher Weise wir uns die 
Weiterführung' der „Jüdischen Nachrichten" denken, 
welche Neuerungen und Erweiterungen wir vorzunehmen 
beabsichtigen, um den Ansprüchen der Zeit und unserer 
Leserschaft besser genügen zu können. 
Unseren besten Absichten, unserem ehrlichsten 
Wollen wurde nur allzu rasch ein energisches Halt ent¬ 
gegengerufen. Der immer toller werdende Wirbel unseres 
wirtschaftlichen Niederbruches reißt vieles in die Tiefe 
und wie nicht anders zu erwarten war, hat auch die 
Herausgabe unseres Blattes mit den täglich grotesker an¬ 
wachsenden materiellen Schwierigkeiten einen schweren 
und ungleichen Kampf zu kämpfen. Trotz des erhöhten 
Bezugspreises läßt sich kein erträgliches Verhältnis 
zwischen den Abonnementsbeträgen und den Her¬ 
stellungskosten herstellen; die Kosten der Drucklegung 
steigern sich in gänzlich unvorhergesehener Weise, da so¬ 
gar rückwirkend höhere als vereinbarte Preise zu bezahlen 
sind und anderseits di<j neuen Lohnforderungen der Ar- 
b iter ein weiteres Steigen der Herstellungskosten ver¬ 
ursachen werden ; auch die Beschaffung des Druckpapiers 
und dessen exorbitant hohen Preise vermehren die Schwie¬ 
rigkeiten in ungeahnter Weise. Gleichgeblieben ist nur 
die alte Bereitwilligkeit der freiwilligen Mitarbeiter. 
Die angeführten materiellen Schwierigkeiten, deren 
Höhepunkt sicherlich noch nicht überschritten ist, 
könnten uns neuerdings Anlaß sein, sowie es gerade 
wieder die Tageszeitungen tun, abermalige finanzielle 
Opfer von unseren Lesern zu fordern. Wir glauben, es 
jedoch nicht verantworten zu können, wieder mit 
einer solchen Forderung vor unsere Leser hinzutreten, 
um den augenblicklichen materiellen Schwierigkeiten 
begegnen zu können. Anderseits hören wir es von vielen 
unserer Leser und Freunde, daß eine, wenn auch nur vor¬ 
übergehende Einstellung unseres Blattes eine schwere 
Schädigung ideeller Interessen bedeuten würde. Viele 
Stimmen aus unserer Nähe und auch aus der Ferne sogen 
"ns, daß das einmal geschaffene Sprachrohr der alpen- 
hindischen Judenschaft nicht verstummen dürfe. Dies ' 
Meinungen unterstützen uns in unserer Auffassung, daß • 
die ,,Jüdischen Nachrichten" dem Druck des Existenz¬ 
kampfes sich nicht ergeben dürfen, daß es unsere Pflicht 
ist, allen Hemmnissen zum Trotz, alles zu tun, um die 
gegenwärtigen schweren Zeiten auf erträgliche Weise 
zu übertauchen. Nach reiflicher 'Überlegung haben wir 
uns daher entschlossen, unser Blatt vorläufig bis auf 
weiteres v i e r z e h n t ä g i g erscheinen zu lassen. Wir 
sind uns wohl bewußt, was diese Einschränkung bedeutet. 
Wir vertrauen auf die wahre Freundschaft inserer Leser 
und glauben, daß auch sie mit Rücksicht auf all das 
Angeführte mit diesem momentan einzig gangbaren Weg 
(unverstanden sind. Es versteht sich von selbst und bedarf 
erst keinerlei Versicherung, daß wir in dem Airgenblicke, 
als es die Verhältnisse nur halbwegs' gestatten, des Blatt 
nicht nur in der bisherigen Art erscheinen lassen werden, 
sondern, daß uns das Ziel einer möglichsten Ausgestaltung 
unentwegt vor Augen schwebt. 
Vorerst bitten wir jedoch alle unsere werten Leser, 
Einsender, Inserenten die Tatsache zu beachten, daß die 
.,Jüdischen Nachrichten" nunmehr jeden zweiten Freitag 
erscheinen werden, somit die nächste Nummer am 
5. März 1920, 
Die „Jüdischen Nachrichten". 
Vor dem Wandersturm. 
Nachdem schon vor Monatön der bekannte 
zionistische Schriftsteller Davis T r i e t s c h und Nathan 
B i r n I) a u m darauf hingewiesen haben, welche gewalt¬ 
ig men Erschütterungen der jüdische Volkskörper binnen 
kurzem erfahren wird, beginnt sich nun in . immer 
weiteren Kreisen die Erkenntnis Bahn zu brechen, daß 
wir vor einer jüdischen Wanderbewegung stehen, die 
iüan tatsächlich nicht besser charakterisieren kann als 
mit dem Ausdruck „Wander s t u r in". Man weiß ja, 
wie auflösend der Krieg auf die jüdische Siedlung ein¬ 
gewirkt hat, der sich gerade in dem Hauptwohngebiet 
der Juden in Osteuropa abspielte und noch abspielt, man 
kennt nun schon seit Jahrzehnten den stetigen Prozeß 
der Abwanderung der osteuropäischen Judenheit in 
Gegenden des geringeren wirtschaftlichen oder politischen 
Druckes, um sich ein Bild machen zu können von dem 
Strom jüdischer Emigranten, der sich aus dem neu¬ 
gebildeten Polen, aus der tJkraina, aus Litauen und den 
anderen Kandstaaten des ehemaligen Zarenreiches nach 
allen Keifen ergießen wird. Alle warten nur auf den 
Augenblick, wo ihnen die jetzt durch unzählige Grenz¬ 
sperren verschlossene Welt offen steht, um mit ihrer 
geringen Habe in günstigeren Gegenden mit dem Schicksal 
den Kampf aufzunehmen. Es ist eigentlich verwunderlich, 
daß es so lange gedauert hat, bis die große jüdische
	        
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