Volltext: Nr. 46 (46. 1919)

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und darf im Juden nichts anderes sehen als den Neben¬ 
menschen, mit dem ihn, abgesehen von aller persön¬ 
licher Zuneigung oder Abneigung-, das gewaltige, bio¬ 
logische und moralische Band, das die Gesamtmenschheit 
umschließt, verbindet. 
Möge der deutsche Kulturmensch den Kampf mit 
seinen jüdischen Mitbürgern nur immer aufnehmen, 
aber einen Kampf mit den Waffen der Arbeit, der per¬ 
sönlichen Leistung, des Intellektes und des Charakters. 
Möge er bestrebt sein, seinen jüdischen Mitbürger in all 
diesen Gebieten zu übertreffen. Dann wird er einer 
gefürchteten Verjudung am allerbesten vorbeugen und 
wird gleichzeitig durch das gemeinschaftliche Streben 
der Entwicklung des eigenen Volkes den größten Vor¬ 
schub leisten. Schimpfen, hetzen oder prügeln sind 
Handlungsweisen, die meistens die ultima ratio des 
geistig Schwächeren bedeuten. 
Die zionistische Provinztagung in Linz. 
Die österreichische Eisenbahnverwaltung hat dem 
Organisationskomitee dieser Tagung einen argen Strich 
durch die Rechnung gemacht, indem sie. die Einstellung 
des gesamten Eisenbahnverkehres während der Weih- 
iiachtswoche verfügte. Unsere Verkehrs Verhältnisse sind 
derartig verzweifelte geworden, daß man keinerlei Pro¬ 
jekte von heute auf morgen — seien sie politischer, 
geschäftlicher oder allgemein bürgerlicher Natur — 
machen kann,, die eine Benützung , eines öffentlichen 
Vehikels verlangen, denn schlauer Weise ist die Eisen¬ 
bahnverwaltung mit ihrer Absicht erst herausgerückt, 
als die Verkehrseinstellung auch schon vor der Türe 
stand. So kam! es, daß die Vorbereitungen für die 
Tagung schon fast zur Gänze getroffen waren; insbe¬ 
sondere lag der diesbezügliche Artikel in diesem Blatte 
schon im Drucke vor und es ließ sich nur mit Mühe noch 
jener Nachtrag publizieren, der die Verschiebung der 
Konferenz verlautbarte. 
Das Organisationskomitee entschloß sich, der Wich¬ 
tigkeit der Taguug entsprechend, diese nicht auf einen 
unbestimmten Termin zu verschieben, sondern setzte 
nunmehr den 1. und 2. Februar für die Zusammenkunft 
der Vertreter der zionistischen Provinzorganisationen 
fest. Es ist zu hoffen, daß dann keine Schwierigkeiten 
die Tagung unmöglich machen, auf deren Bedeutung 
schon in der vorigen Nummer dieses Blattes hingewiesen 
wurde. 
8 § Aus der jüdischen Welt. § R 
Die jüdische Politik bei der Friedenskonferenz und 
«hre künftigen Aufgaben. Über dieses Thema sprach 
das Mitglied der jüdischen Delegation in Paris, Herr 
Dr. Markus Krämer, in gut besuchten Versammlungen 
vor einigen Tagen in Zürich. Folgende Resolution wurde 
nach eifriger Diskussion, welche sich insbesondere auf 
Palästina und den „W^aad Haarazoth" bezog, ein¬ 
stimmig angenommen: „Die Versammlung nimmt den 
Bericht des Herrn Dr. Markus Krämer über die Tätig¬ 
keit des Komitees der jüdischen Delegation in Paris mit 
Befriedigung zur Kenntnis. Die Versammlung aner¬ 
kennt die Bedeutung des Komitees als momentanes 
Zentrum für die Aufgaben, welche über die Arbeit der 
Juden in den einzelnen Ländern hinausgehen, und be¬ 
grüßt den Plan der Schaffung dauernder Einrichtungen 
zur Verteidigung und Verwirklichung der jüdischen 
Rechte." 
Eine neue jüdische Gärtnereischule. Der Verein zur 
Förderung der Bodenkultur unter den Juden Deutsch¬ 
lands und die Berliner Jüdische Gemeinde errichten vor 
Berlin gemeinsam eine Gärtnereischule, deren Betrieb 
bereits im Frühjahr eröffnet werden dürfte. 
Neue Bibelübersetzungen. Nach Mitteilung der 
Bibelgesellschaft ist die Bibel während des Krieges in 
38 neuen Sprachen veröffentlicht worden. 
Amerika gegen die, Pogrome. Am 24. November 
fand in New-York eine jüdische Riesendemonstration 
gegen die Pogrome in der Ukraine statt, wie sie New- 
York niemals vorher in dieser Größe gesehen hat. Einige 
Ilunterttausende von Juden marschierten zum Protest 
durch die City. Mehr als 10.000 jüdische Soldaten bil¬ 
deten die Spitze des Zuges, der alle Straßen des jüdischen 
Viertels mit seinen Massen bedeckte. Eine besondere 
Gruppe bildeten die jüdischen Palästinalegionäre. Neben 
den Versammlungen, die in verschiedenen Teilen der 
Stadt abgehalten wurden, fand eine Riesenversammlung 
in der Carnegiehalle unter Vorsitz von' Obst. Cuttler statt. 
Der Kampf für die hebräische Sprache in Palästina. 
Der lebhafte Kampf, den die jüdischen Führer in Jerusa¬ 
lem für die Rechte der hebräischen Sprache führen, hat 
in der arabischen Presse Mißstimmung hervorgerufen, 
besonders erklären sich sämtliche in Damaskus er¬ 
scheinende Zeitungen als Gegner der hebräischen 
Sprache. Die Haltung* der arabischen Presse in Damas¬ 
kus darf übrigens nicht wundernehmen, wenn man das 
Verhalten der dortigen Allianceschulen der hebräischen 
Sprache gegenüber in Betracht zieht. Hiefür liefert die 
neugegründete Mädchenschule der Alliance in Dam&s^ 
kus den besten Beweis. Die Aufnahme der Mädchen 
erfolgt nur dann, wenn die Mädchen folgende Ver¬ 
pflichtungen übernehmen: 1. Die hebräischen Abend¬ 
kurse nicht zu besuchen, 2. mit den Schülern der hebrä¬ 
ischen Schulen keinen Umgang zu pflegen, 3. an Stelle 
des Grußes Schalom „Bon jour" zu gebrauchen, 4. auf 
der Straße nur französisch zu sprechen! 
Die hebräische Sprache hat aber einen Erfolg er¬ 
rungen, der allseits mit Freuden aufgenommen werden 
wird: Es ist dies eine Schulgründung der „Ameri¬ 
kanischen Medizinischen Expedition Hadassah" zur Aus¬ 
bildung von Krankenschwestern. Sämtliche Fächer 
werden ausschließlich in hebräischer Sprache unter¬ 
richtet. Vorläufig nehmen 40 Schülerinnen an den 
Kursen teil und soll die Anstalt in der nächsten Zu¬ 
kunft bedeutend ausgebaut werden. Im Zusammenhang 
mit dieser Einrichtung der „Hadassah" ist auch die 
Frage der Errichtung von Hochschulkursen von neuem 
akut geworden. Der Vorstand des ,.Vereines zur Grün¬ 
dung der Hochschulkurse" "hatte eine Konferenz mit 
Professor Weizmanri, in der die- Grundlagen und Richt¬ 
linien für die Errichtung derselben festgelegt wurden. 
Reformen im Chalukawesen. Die Chaluka- 
empfänger in Jerusalem zeigen seit neuester Zeit die 
Neigung, sich vom Empfang der Chaluka loszusagen. 
Es wurde das Chalukawesen nunmehr derartig refor¬ 
miert, daß eine Zweiteilung der Subventionsgelder statt¬ 
findet.: Ein Teil wird für Wöhltätigkeitszwecke, der 
andere Teil für Überführung der geeigneten jüngeren 
Elemente zur Landarbeit in Palästina verausgabt und 
wird auf diese Neuerung bei der Sammlung in der 
Diaspora besonders hingewiesen. Als Symptome eines 
Gesundheitsprozesses der Chaluka sind diese neuen 
Regungen höchst begrüßend- /und beachtenswert,
	        
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