Volltext: Nr. 46 (46. 1919)

für die deutschösterr. Provinz. 
, 24. Dezember j -iqiq 
Nr. 46 Um, am 2 Tebetll 5680 
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Linz 
Franz Josef-Platz 29; 
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Telephon 422. 
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JÜDISCHE 
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Inserate nach 
Vereinbarung. 
Zur gefl. Beachtung! 
Aus technischen Gründen gelangt diese Nummer 
vorzeitig zur Ausgabe. Die nächste Nummer unseres 
Blattes erscheint wieder regelmäßig am Freitag den 
2. Jänner 1920. 
Neue Kräfte. 
Auch in der Geschichte der Völker und Nationen 
spielt das Gesetz vom» Kampf 11ms Dasein eine- große 
Rolle. Für uns Juden war der ewige Kampf um unsere 
Existenz, der stets nur in der passiven, leidenden Holle 
aus gefochten wurde, die Quelle, aus der wir die Kraft 
genommen haben, uns jahrhundertelang1 inmitten an¬ 
derer kulturell hochstehender Völker rein zu erhalten, 
d. h. unsere Entwicklungslinie ist nur wenig durch die 
Einflüsse der Umgebung abgebogen worden, oder mit 
anderen Worten, der Jude in Frankreich und Deutsch¬ 
land, in Amerika und Rußland konnte von den Völkern, 
inmitten welcher er lebt, nicht so viel annehmen, daß er 
nicht doch noch, wenn er es auch noch so gerne leugnen 
möchte, mehr Jude als irgend etwas anderes ist. 
Dieser Kampf ums Dasein, bei uns also um die mehr 
oder minder klar zutage tretende nationale Eigenart 
hat es zuwege gebracht, daß das jüdische Volk ein kleines 
geblieben ist, wahrend andere, die zur selben Zeit, als 
die Geschichte des jüdischen Volkes als geschlossenes 
Ganzes bereits abgeschlossen war, erst in die Welt¬ 
geschichte eingetreten sind. Hat die geschichtliche Ent¬ 
wicklung der europäischen Völker in den letzten tau- 
fönd Jahren etwas Anziehendes, so mußte sich das jü¬ 
dische Volk jederzeit damit abfinden, daß nennenswerte 
feile in dem Daseinskampf aufge- und zerrieben wrirden, 
spurlos in d,en anderen Völkern untergingen. T nd es 
waren durchaus nicht immer die schlechtesten Elemente, 
'lie so verloren gingen. Nicht schlecht als Individuen, 
aber steril für den Stamm, von dem sie fielen, wie eirt 
welkes Blatt, da» der Sturm vom Stamme schüttelt. 
Seit einem Menschenalter kommen zu diesen von 
äußenher wirkenden Kräften Strömungen, die berufen 
*'nd, dem Judentum von innen heraus (und nur so kann 
f inem Volke geholfen werden) neue ^Impulse zu geben, 
die aber die Nebenerscheinung zeitigen, daß Elemente, 
^ie dem gehässigsten Antisemitismus, der gesellschaft- 
Hchen Anfeindung, der staatsbürgerlichen Entrechtung 
l,T'd dem wirtschaftlichen Boykott vollkommensten 
^Wehmut und Resignation entgegengestellt haben, nun¬ 
wehr vor die&em neuen Geiste, der ihnen in ihrem stum¬ 
men Leiden Kraft und Ausdruck verleihen könnte, die 
Flucht ergreifen. Das schon alte Lied: Daß das neu 
erwachende nationale Leben im Judentum so viele 
Taufen am Gewissen hat. Was innerlich schon tot fürs 
Judentum war, wird abgestoßen, keiner soll solchen Ele¬ 
menten eine Träne nachweinen. 
Diese wunderbare, einzigartige Wiedergeburt eines 
jahrhundertelang in Lethargie und stummem Dulden 
gelegenen Volkes, dieses Wiedererwachen, das so viele 
herrliche* wertvolle Kräfte in uns frei und froh macht, 
das der ganzen Jugend eines Volkes Daseinsinhalt und 
Tatenlust verleiht, gibt uns ein Mehr. Ein eigenartiges, 
kaum glaubliches Mehr. Viele gehen von uns in dieser 
Zeit des Aufstandes ; . .. . in Gottes Namen,-hier werden 
sie nicht vermißt, dort nicht als Bereicherung empfan¬ 
gen. Aber es finden auch welche zurück zu den Ihren. 
Und wenn ihre Zahl klein ist, nicht über Namen verfüg't, 
mit denen man vor der Öffentlichkeit prunkeji kann, 
nichts mitbringen als heiße leidenschaftliche Herzen, so 
sind wir doch hochbeglückt, kommt doch, was das 
deutsche Volk oder die katholische Kirche von unseren 
Überläufern nicht behaupten kann, neue wertvolle Kraft 
zu uns. 
Wer aber sind die, die in einer Zeit des Gärens, der 
Unklarheit und großen Fragen, zu diesem Volke stoßen, 
das erst um seine primärsten Rechte kämpfen muß' Es 
sind die Söhne und Töchter so mancher derjenigen, Je 
einst aus unseren Reihen getreten sind, um ihren Kin¬ 
dern, — für sich selbst erwarteten sie das Aufgehen in 
der Gesellschaft ohnedies nicht —, . . . wie sagt man 
doch so schön, gesicherte Existenzbedingungen und eine 
ruhige Karriere zu verschaffen. 
Diese selben Kinder, da sie nun reif und denkend 
geworden sind, wollen bei diesem Kuhhandel nicht mit¬ 
tun. Sie, die Jugend, fühlt, was die oft nur zu dick¬ 
häutigen Eltern nicht fühlen konnten, daß man sie an 
eine falsche Stelle bringen wolle, falsch nach dem Emp¬ 
finden der anderen wie dem ihren. Sie lockt nicht Staats¬ 
karriere noch Offiziersehre (heute klingt das. ja grotesk, 
aber wie länge ist es her, daß die Herren Kaiserlichen 
und anderen Räte keine anderen Schmerzen hatten) . Sie 
fühlen, daß ihr Platz bei dem Volke ist, das jetzt urn 
seine Existenz den letzten Endkampf führt, für das zu 
kämpfendem Leben Inhalt und Zweck gibt, und'das . . . 
trotz allem ihr Volk geblieben ist, Ihnen wird, was 
ihren Vätern mehr oder weniger Anlaß zum Abfall war, 
zur Brücke, die zurück führt. Und wenn ihre Väter 
feig und verstohlen davon geschieden sind, so stürmen
	        
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