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Jüdische Nachrichten
Nr. 38
S 8 Aus dem antisemitischen Lager, g §
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In Wiener Neustadt provozierten christlichsoziale
und deutschnationale Studenten anläßlich der Auffüh¬
rung von Schnitzlers „Professor Bernhardi" im dortigen
Theater einen antisemitischen Krawall.
Nach einem Moskauer Bericht war die Stadt Orel
zwei Tage in den Händen der Weißen Truppen und
würde während dieser Zeit schonungslos geplündert. Am
ersten Tage wurde die Stadt für vier Stunden als außer
dem Gesetz stehend erklärt und ein großer Pogrom ver¬
anstaltet.
Neue Pogrome in der Ukraine. Der Ukrainische
Pressedienst meldet: Die Soldaten Denikins haben nach
der Einnahme von Kiew in der Stadt einen zweitägigen
Pogrom veranstaltet. Die Kiewer Zeitungen weisen die
Namen von 27 Opfern aus. In Charkow finden Plünde¬
rungen jüdischer Häuser und Gewalttaten an Juden statt.
In anderen Teilen Südrußlands haben die Truppen
Grigorieffs und Petljuras die jüdischen Siedlungen rui¬
niert und eine große Anzahl ,von jüdischen Kolonisten
getötet. Die Schäden in der Ukraine lassen sich vor¬
läufig nicht feststellen. Über 300 Dörfer sind voll¬
kommen zerstört, bei den Pogromen kamen über 30.000
Juden ums Leben.
Glossen.
I.
Michael N öbauer, Supplent, das ist der Mensch,
der bei der anti-semitischen Demonstration am 5. Oktober
dieses Jahres in Wien Flugschriften verteilen ließ, mit
der Aufforderung, sich mit Fichtenknütteln bei ihm zu
melden! Zweck: Schlagende Argumente zur Vertrei¬
bung der „Ostjuden".
AI? ob nicht die antisemitischen „Westchristen" zu
allerletzt das Recht hätten, über die „Ostjuden", nämlich
die galizischen Flüchtlinge, zu Gericht zu sitzen.
Hätte es noch eines Beweises für den Tiefstand
deutscharisch-antisemitischer Kultur bedurft, hier wurde
er restlos erbracht. — Und ein Supplent mußte es sein!
Ihm ist se'in pädagogischer Befähigungsnachweis für
Österreich glänzend gelungen! O armes deutsches Volk
der Dichter und Denker, wie bist du auf den Nöbauer
gekommen ! Schiller hat wohl nicht vermutet, daß seine
Worte im „Lied von der Glocke": „Nehmet Holz vom
Fichtenstamme — —" solche Auslegung finden werden.
Überhaupt: Kennen die Antisemiten von Schiller mehr
als den Namen? Und Fichte? Keine Ahnung! Ganz
ungenügend Herr Supplent! Aber Fichtenknüttel? Sehr
gut! Da stellt der wackere Antisemit seinen Mann.
IL
Kürzlich wurden im Innviertel 2 Schleichhändler
aus Czernowitz verhaftet. Der Name war ein ausge-
sprochen deutscharischer. Warum meldet sich kein anti¬
semitisches Blatt, diese beiden „Ostchristen" an den
Pranger zu stellen? Wird nur der jüdische Schleich¬
händler angegriffen, weil er gegen den arischen „un¬
lauteren Wettbewerb" treibt? Max Adler.
Fördert die jüdische Presse:
Met für die .Jüdischen Nachrichten"!
g § Aus den Gemeinden. H 8
Linz.
Jüdischer Wanderbund „Blau-Weiß". Die diesjäh¬
rige Generalversammlung wird am 17. November 1919
stattfinden. Ort und Stunde werden noch bekannt¬
gegeben werden. Tagesordnung: Berichte der Führer¬
schaft und des Ausschusses, Kassebericht, Neuwahlen,
allfällige Anträge.
Todesfall. Am 23. Oktober 1919 starb in leplitz-
Schönau Herr Rabbiner Dr. Adolf K u r r e i n und wurde
am 28. Oktober dortselbst zu Grabe getragen. Der Ver¬
storbene war in den Jahren 1876 bis 1883 in Linz als
Rabbiner tätig. Viele Gemeindemitglieder werden sich
noch seiner als glänzenden Prediger und ausgezeichneten
Pädagogen erinnern und ihm ein warmes Angedenken
bewahren. In Linz schloß er auch seine Ehe mit einer
englischen Jüdin, der sein als Rabbiner in Karlsruhe
tätiger Sohn entsproß. Herr Rabbiner Dr. Adolf
Kurrein schloß sich gleich nach Herzls Auftreten der
zionistischen Bewegung an, der er mit warmer Begeiste¬
rung treu blieb.
Geselligkeitsverein „Unitas" — Generalversamm¬
lung. Sonntag, den 26. d. M., fand die Generalversamm¬
lung des „Unitas" statt. Nach Verlesung des Tätigkeits¬
und Kasseberichtes wurde von Seiten mehrerer Redner
der Wunsch laut, daß der Verein seine seit fünf Jahren
unterbrochene Tätigkeit wieder aufnehme. Aufgefor¬
dert, legte denn Herr Paul Stein die Gründe dar, warum
er und seine Gesinnungsgenossen einen Eintritt in den
Ausschuß ablehnen müßten: Die bisherigen Erfahrungen
mit den hiesigen Geselligkeitsvereinen hätten nicht ge¬
zeigt, daß durch sie das jüdische Gemeinschaftsgefühl
gehoben werde. Auch scheine die Zeit für leichte Unter¬
haltung nicht geeignet zu sein. Die Wahlen in das
Komitee ergaben: Herr Max Adler, Emil Bruder, Leo
Albrecht, Moritz Eisenberger, Martin Hoffmann, Richard
und Rudolf Kafka, Rudolf Kauder, Max Klein, Bernhard
Löwensohn, Heinz May, Simjon Schubert, Lng. Salomon
Stern, Viktor Taussig, Theo Weiß.
*
Die Generalversammlung bewies, daß der Wunsch
nach Gemeinsamkeit unter der Linzer Judenschaft stets
rege ist. Nur schiene es uns zweckmäßiger, statt die
Hypertrophie unseres Vereinslebens zu vergrößern, die
Vereinheitlichung desselben anzustreben. Wir werden
jetzt neben dem Turnverein, der in anderen Städten stets
auch für Unterhaltungsabende sorgt", wieder die beiden
sich bekämpfenden und überbietenden Geselligkeitsver¬
eine haben. Es erscheint uns begreiflich, daß die Jüdisch¬
nationalen eine Verschärfung der bestehenden Gegen¬
sätze nicht unterstützen wollen. DieRed.
Amtsantritt. Herr Rabbiner Dr. Heinrich Schul-
singer wurde als Rabbinatssubstitut bestellt und hat
seine Tätigkeit bereits aufgenommen.
Versammlung. Der Einzelverein „Zion" Linz ver¬
anstaltet am Sonntag den 2. November im blauen Saal
eine Versammlung, welche sich mit der wichtigen Pa¬
lästinafrage beschäftigen wird, und die sehr interessant
zu werden verspricht.
Gmunden, 26. Oktober 1919. Heute fand das
Leichenbegängnis eines alten Pensionisten der Staats¬
bahnen statt. Als Fremder und in den alten Traditionen