Volltext: Nr. 26 (26. 1919)

Redaktion 
und Administration: 
Linz, 
Franz-Iosef-Plat^ 29, 
III. Stock. 
Telephon 1225/U. 
Erscheint 
jeden Freitag. 
JODISCHE 
NACHRICHTEN 
Bezugspreise: 
Monatlich . . K 1.50 
'/Jährlich . . K 4.50 
Bankkonto bei 
Pinschof &, Co., Linz. 
Inserate 
nach Vereinbarung. 
für die deutschösterr. Provinz. 
Nr. 26 
Linz, am 
1. August 
5. Ab 5679 
1919 
Die Aussichten des jüdischen Volkes. 
Da,s Mitglied der amerikanisch-jüdischen Delegation 
zu Paris, Josef B a r o n d e s s, hat einem Vertreter des 
Newyorker „The Day and the Warheit" über die jüdi¬ 
schen Aussichten noch vor Bekanntgabe der im Friedens¬ 
vertrag enthaltenen Klauseln über den Mi n o r i täten sc h u t z 
die nachstehende Information erteilt: 
Es sind die besten Hoffnungen und Aussichten vor¬ 
handen auf ein jüdisches Ileim in Palästina und auf 
Erlangung nationaler und vollbürgerlicher Rechte der 
Juden in den Ländern, in denen ihnen dieselben noch 
vorenthalten sind. Ich habe nie so sehr wie gerade jetzt 
bedauert, daß wir Juden keine organisierte politische 
Regierung haben. Ich kann mich vom schweren Ein¬ 
druck nicht befreien, den unsere Hilflosigkeit auf mich 
gemacht hat. Wir müssen innm$r noch mit unseren Bit¬ 
ten an den Pforten der Mächtigen pochen. Die anderen 
Nationen reden im Namen einer Macht und treten als 
Macht auf. Man rechnet mit ihnen als Machtfaktor, 
während uns nur Umwege und Hintertüren offen stehen. 
Man sieht wie hilflos ein Volk ist, das noch kein eigenes 
Heim und kein eigenes Land besitzt. Dennoch hat die 
Delegation des amerikanisch-jüdischen Kongresses unter 
lührung von Julia Mack und Louis Marshall 
Großes geleistet um den Auftrag, den das amerikanische 
Judentum ihr erteilt hat, zu erfüllen. Ich kann nur be¬ 
dauern, daß Stephen Wise Paris so früh verlassen 
mußte. Er ist einer der besten Freunde Wilsons und 
diese Freundschaft ist nicht nur eine persönliche, son¬ 
dern eine politische. Wilson hat großes Zutrauen zu 
der Rednerkraft und moralischen Autorität Rabbiner 
Wises-. Die Sache des jüdischen Volkes hätte sicherlich 
viel gewonnen, wenn Rabbi Wise während der ganzen 
Dauer der Verhandlungen in Paris hätte bleiben können. 
Über die Beziehungen Wilsons zu den Forderungen 
des jüdischen Volkes, äußerte sich Bar-ondess: Es mögen 
meine eigenen Worte mitgeteilt werden : Wir haben noch 
niemals einen solchen J ud-en.freund gehabt wie Prä¬ 
sident Wilson. Unter den Verdiensten Wilsons werden 
mit ehernen Buchstaben seine großen Verdienste um die 
Zukunft eingeschrieben sein. Als Wilson sich über¬ 
zeugte, daß die Forderung nationaler Rechte für die Ju¬ 
den wenig Aussicht auf Verwirklichung habe, hat er die¬ 
selben unter dem Namen von Minderheitsrechten durch¬ 
gesetzt. Dies ist nur eines der vielen Beispiele, wie Wil- 
-< n sieh der Juden annimmt. 
Bezüglich Palästinas und des zukünftigen jüdi¬ 
schen Heimes, antwortete Barondess: Die Zionisten 
haben nacheinander der Friedenskonferenz vier ver¬ 
schiedene Pro j e k t e vorgelegt: jedesmal in 
vollster Übereinstimmung mit Amerika und England. 
Mit dem letzten Projekt sind a u c h F r a n k r e i c h 
und Italien vollständig einverstanden. Dr. Weizmann 
hat England gegenüber eine Rolle gespielt, die die Oe¬ 
se Iik'lite nur in Zukunft wird ganz würdigen können. 
Um dies zu verstehen, muß man wissen, daß in England 
angenommenen wird, daß drei Juden einen Hauptanteil 
am englischen Siege haben, nämlich Lord Reading, 
Lord S a m uels und Dr. Wciz m a n n. YVeizmanns 
Tätigkeit als Experte und Erfinder der Explosivstoffe 
für England gab Weizmann Gelegenheit, Einfluß auf die 
englischen Regierungskreise zu gewinnen und seine Tä¬ 
tigkeit als jüdischer Diplomat zu beginnen. Sein Erfolg 
war schon von Anfang an ein glänzender. Man muß, um 
dies zu verstehen, nur die Hauptpunkte des letzten durch 
England und Amerika protegierten Projektes der jüdi¬ 
schen Forderungen in Bezug auf Palästina in Betracht 
ziehen, ebenso das Prinzip, wonach die Macht, die das 
Mandat vom Völkerbund für die Verwaltung Palästinas 
erhalten wird, später das Land vollständig dem jüdischen 
Volke übergeben soll, wenn die dazu nötigen Bedingun¬ 
gen geschaffen sein werden. Überhaupt war es im gegen 
wärtigen Momente zweckmäßig und wichtig, daß wir 
Juden nicht so sehr die äußerliche, demonstrative Souve¬ 
ränität, wie die innerlichen, faktischen Bedingungen für 
die Aufbauung des jüdischen Staates erhalten, und diese 
Bedingungen werden uns gegeben. Vor allein^wird alles 
Eigentum der früheren türkischen Regierung, soweit es 
in den Grenzen des neiien Palästina liegt, dem jüdischen 
Volke übergeben, welches das Land verwalten wird. 
Weiterhin werden die jüdischen Feiertage als National¬ 
feiertage anerkannt; die hebräische Sprache als gleich¬ 
berechtigte, offizielle Sprache gemeinsam mit dem Eng¬ 
lischen und Arabischen bestimmt; alle jüdischen Schulen 
und Kultur-Institutionen werden auf Kosten des Staates 
erhalten; und endlich wird uns die völlige Freiheit für 
diel Einwanderung der Juden all^r Länder gewährt. 
Barondess ist der Ansicht, daß wir für Palästina unsere 
Wünsche in vollstem Maße durchgesetzt haben.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.