Nr. 16
Jüdische Nachrichten
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kenn trusses, daß unsere Zugehörigkeit zum Judentum
lediglich die Zugehörigkeit zu einer Religionsgenossen-.
schaff, bedeutet, daß wir jedoch in nationaler Hi n-
s i c h 1 Den t s c h e sind. Vermöge unserer Mutter- und
Umgangssprache, vermöge unseres Erziehungs- und Bil¬
dungsganges, vermöge unseres ganzen Denkens und Peh¬
lens gehören wir dem deutschen Volke an und diese un¬
sere Angehörigkeit lassen wir uns weder von deutsch¬
völkischer, noch von jüdischnationaler Seite abstreiten.
Wir waren und b 1« i b e n deutsch! Reichen¬
berg, den 4. April 1910".
Eine ähnliche Erklärung erfolgte von 180 Juden in
Gablonz.
Auch die jüdische Jugend Reichenbergs hat das
Wort ergriffen, um von ihrer Treue und Anhänglichkeit
an das deutsche Volk in seiner Not Zeugnis abzulegen,
und zwar mit folgender Erklärung:
„Wir, die Jugend, können, dürfen und wollen nicht
von dem deutschen Volke lassen. Wir können nicht,
denn unser Fühlen und Empfinden sträubt sich dagegen;
wir dürfen nicht, denn ehrlos ist der, welcher seine Tlei-
mat in der Not im Stiche läßt; wir wollen nicht, weil
unser Deutschtum unser schönstes Gut und Glück ist.
Dies soll kein Bekenntnis sein, denn bekennen kann man
sieh zu einer Partei, zu einer Religion, zu seinem Volke
kann man nur unentwegt fest und treu stehen."
Ist diese Anhänglichkeit der Juden Reichenbergs
/inn deutschen Volke, mit dem sie nur sein Elend teilen
und zum Danke dafür Schimpf und Hohn ernten können,
nicht rührend? Zeigt uns dieses Beispiel nicht einen
geradezu heroischen Grad von Selbstentäußerung unserer
deutschböhmischen Glaubensbrüder! Was aber, wenn
ihre heldenhafte Haltung trotzdem die Wirkung bei den
Deutschnationalen verfehlt und es den jdeutschböhmischen
Juden nicht gelingt, damit den Beschluß der Hauptver¬
sammlung unizustoßen, wie sie es in einer gemeinsamen
Beratung nachträglich versucht haben? Wird dieses
tapfere Häuflein Juden auch den Mut aufbringen, mit
seiner bisherigen politischen Gesinnung ein für allemal
zu brechen, oder glaubt es auch dann noch immer einen
Verrat am deutschen Volke zu begehen, wenn es von nun
ab nicht mehr in dem Zustand der unglücklichen, weil
unerwiderten Liebe zu ihm verharrt? Wird es wirklich
die Jüdischnationalen für das Verhalten der ihrem Her¬
zen so nahestehenden Deutschnationalen verantwortlich
machen?
Vielleicht wäre die Politik der Jüdisch nationalen
weniger radikal, wenn wir endlich aufhören würden, den
Gott der Deutschnationalen anzubeten, auf seinen Altä¬
ren unsere besten Kräfte, ja unser Herzblut zu opfern,
während diese nicht müde werden, uns mit einer oft ver¬
letzenden Deutlichkeit zu erklären, daß ihr Gott nicht
unser Gott und w i r auch nicht sein auserwähltes Volk
sind.
So wie die Zionisten sich bei ihren Handlungen von
der Erwägung leiten lassen müssen, daß sie auf die Inter¬
essen aller Juden Rücksicht zu nehmen haben, so müssen
auch die außerhalb dieser Bewegung Stehenden ihre Hal¬
tung ihnen gegenüber den örtlichen und zeitlichen Er¬
fordernissen entsprechend einrichten. Nur so kann die
Kluft, die sich zwischen ihnen und uns aufgetan, über¬
brückt werden und die gesamte Judenschaft sich in einem
Schutz- und Trutzbündnis vereinigen.
Einigkeit unter uns kann uns allein stark machen.
Stark genug, um den Gefahren zu trotzen, die uns jetzt
von allen Seiten bedrohen, stark genug, um uns die bis¬
her oft versagte Achtung unserer Umwelt zu erringen.
Viktor T a u s s i g.
Die traurigen Sefiratage des Jahres 1096.
Von I)r. Alexander Kristianpoller, Linz.
(Fortsetzung.)
Am 8. April war Peter von Amiens in Trier, am
10. in Köln, wo er sich bis zum 19. aufgehalten hatte.
Speyer mußte er etwa den 25. April passieren, denn am
8. Mai überschritt er bereits die ungarische Grenze (siehe
oben). Die Begebenheiten in Speyer spielten sieh in den
ersten Tagen des Monats Mai ab, sie waren also das Werk
derjenigen. Kreuzfahrer, die Peter folgten.
Über das Datum des Gemetzels in Speyer :;ind wir
genau unterrichtet. Es war Samstag den 8. Mai, d. i.
8. Jjar (Bericht I, S. 2, vgl. Salfeld a. a. O. S. 101). Die
Zahl der hingeschlachteten Juden betrug 11. Im Ver¬
hältnisse zu den anderen Gemeinden sind hier wenige
Opfer gefallen, denn die Juden ließen sich nicht überrum¬
peln, zerstreuten sich nicht in ihre Häuser, sondern sam¬
melten sich an einem Orte. So haben sie es verstanden, den
Feind solange aufzuhalten, bis der Bischof die Mannschaft
gesammelt hatte und ihnen zu Hilfe eilte. Gewiß ist zu
berücksichtigen, daß die Juden die notwendigsten Mittel
besaßen, sich zu wehren. Waren doch die Juden nach
dem Wortlaute der Urkunde vom Jahre 1084 verpflichtet,
die Mauern des Judenviertels zu befestigen und Wachen
aufzustellen.
Der edle Bischof meinte es auch mit seiner Hilfe
ernst und ließ die Kämpfenden nicht lange auf 4ich war¬
ten. Die Kreuzfahrer wurden vertrieben, die Juden in
den Bischofspalast überführt, die Bürger aber, welche
sich den Kreuzfahrern angeschlossen hatten, hart bestraft.
Bischof in Speyer war damals Johannes, ein Mann von
edlem Charakter, ein naher Verwandter Heinrichs IV.
(Remling, Geschichte der Bischöfe in Speyer, I, S. 318.)
Im Bericht III, S. 48 (171) wird vom! Eingreifen des
Kaisers Heinrich zu Gunsten der Juden in Speyer ge¬
sprochen, die Verwandtschaft des Kaisers zum Bischof
wird also hier gewiß mit von Bedeutung gewesen sein.
Der Bischof war auch früher wegen seiner Anhäng¬
lichkeit an den Kaiser vom Papste in den Bann gelegt
worden, es ist daher erklärlich, daß die päpstlich gesinn¬
ten Chronisten über den Bischof nicht gut zu sprechen
sind, die edle Tat des Bischofs zu verunglimpfen suchten,
als ob er von den Juden bestochen worden xväre. Gegen
diese Beschuldigung nimmt schon der hebräische Bericht
III, S. 48 (171) Stellung. —
Wer stand an der Spitze der Kreuzfahrer in Speyer.
Aus den hebräischen Berichten ist zu entnehmen, daß die
Zahl der Kreuzfahrer in Speyer eine große war. Der
Wüterich Emicho kommt hier noch nicht in Betracht, denn
er sammelte seine Schar erst Ende Mai. Es wäre also nur
der Führer Gottschalk in Betracht zu ziehen, der bald nach