Volltext: Nr. 14 (14. 1919)

Jüdische Nachrichten 
Literarischer Nachlaß. 
Von den Hinterbliebenen des vor kurzem gestor¬ 
benen ehemaligen Linzer Oberkantors Isidor S c Ii w a r z 
wurde der Redaktion dessen literarischer Nachlaß zur 
Verfügung gestellt. Derselbe besteht nebst mehreren 
kleinen, schon nicht mehr zeitgemäßen Feuilletons aus 
?ren Essais religiös-philosophischen Inhalts: 
Sj \\ VI - -- , . - j 
,,Zionismus" und „Die Pseudojuden, Glosseil über Haspen 
entartung und Glaubensverrat im Judentum . In beiden 
bekennt sicli der Verfasser zur konservativ-konfes¬ 
sionellen Eichtling im Judentum, nimmt aber gegen alles 
Halbe und Selbstsüchtige Stellung. Tiefes, gediegenes 
Wissen nicht allein auf dem Gebiete der jüdischen Ge¬ 
schichte, Ethik und Religionsphilosophie, auch umfang¬ 
reiche, über den Rahmen des Alltäglichen weit liinaus- 
- gehende Kenntnisse auf dem Gebiete der Philosophie und 
christlichen Religionslehre (Kirchenväter) zeichnen die 
Arbeiten von Schwarz aus und zeigen uns, welche leb¬ 
hafter Geist, welch tiefes Wissen fast unbekannt in 
unserer Mitte gelebt hat, und das Studium dieses Nach¬ 
lasses löst mit der Erinnerung an diesen einsamen Mann 
das Bedauern aus, daß ein trauriges Schicksal wieder 
Uli? l/V VIUUV1U «IV. , v..,.., o- 
einmal ein starke? Talent im Keime erstickt hal. 
-ff. 
Berichte 
Linz. 
Wahlbewegung. Am 18. Mai finden die Wahlen für 
die Landesversammlung von Oberösterreich und den 
Gemeinderat der Stadt Li uz statt. Das Ergebnis dürfte, 
wenn bei dem bedeutend geringeren Interesse, das jetzt 
die Öffentlichkeit sichtlich an der Wahlagitation nimmt, 
keine allzu große Wahlenthaltung stattfindet, annähernd 
das der Wahlen vom 16. Februar sein und demzufolge 
in Linz, wie auch in vielen kleineren Städten eine sozia¬ 
listische Mehrheit erreicht werden. Die Agitation sämt¬ 
licher Parteien vollzieht sich — wenigstens einstweilen 
in wesentlich ruhigeren Formen als bei den National- 
ratswahlen, was nur zu begrüßen ist; die ganze Presse 
aller Parteien steht unter dem dumpfen, deprimierenden 
Drucke der äußeren Lage. 
Die sozialdemokratische Partei hat in ihre Liste, die 
„He Berufs- und Erwerbsschichten umfaßt, auch drei 
Juden aufgenommen. Von fit) Kandidaten an f. Stelle 
Dr. H. Schnee w e i ß, an IB. Stelle Ing. E. M ii 11 c r, 
Eisenbahnbeamter, und an 41. Stelle L. AI brecht, 
Postbeamter. Was diese Kandidaturen uns Juden so 
sympathisch macht, ist durchaus nicht, daß irgend welche 
Juden, die mit der jüdischen Gemeinschaft keinerlei 
Zusammenhang haben, daher auch weder das Vertrauen 
der Tnden besitzen, noch auch je in ihrem Namen spre¬ 
chen dürfen, aufgestellt sind, sondern daß alle drei 
Herren — wir können das mit einer gewissen Genug¬ 
tuung konstatieren — Männer sind, die in der jüdischen 
Gemeinschaft eine bedeutende Rolle spielen und als \ ei- 
1 rauensmänner der gesamten Linzer .Tudenschalt 
«reiten dürfen. Dr. Sehneeweiß ist langjahrigei 
[\ n ltusvorsteh erstell Vertreter und ebenso wie Herr 
I Alb recht dem konservativen Teil der Judenschatt 
angehörig; beide sind nicht allein als geistige Arbeiter 
überzeugungstreue Sozialisten, sondern dabei auch et¬ 
liche aufrechte Söhne ihres Volkes. Ing. Mullei is 
einer der Führer der zionistischen Bewegung in Linz TO 
genießt nicht allein das Vertrauen der vielen tausend Eisen¬ 
bahner, sondern nicht minder der gesamten .Tudenschalt. 
Organisation der Provinz-Judenschaft. Über Emla- 
dung der Herren Richard Kafka, Adolf Rabl und Bern¬ 
hard Taussig trat am 4. d. M. em Komitee zusammen um 
die Schaffung einer allgemeinen Organisation der 110- 
vinz-Judenschaft zu beraten. Es erschienen : Lilly Bloch, 
Emil Bruder. Ernst Brett. Helene Eng mann. I ritz 
Frank, Heinrich Freund. Marie Heller. Richard und Ru¬ 
dolf Kafka. Leontino Klauber, Dr. Gustav Moiaenstein, 
Stb.-Rat Ing. Emil Müller, Erwin Piskatv Adolf Rabl, 
I)r Hermann Schneeweiß, Benedikt Schwager, ! lax 
Sonn. Paul Stein. Oberbaurat Ing. S. Stern. Albert Stern¬ 
schein, Albert Tandler, Bernhard und Viktor Taussig, 
Betty Veitler. 
Nachdem der Vorsitzende, Herr Bernhard I aussig. 
die Anwesenden begrüßte, erstattete Herr Erwin 1 iskal\ 
ein ausführliches Referat, in welchem er vorerst die 
Gründe einer Provinzorganisation nachwies, dann die 
gegenwärtig bestehende Organisierung der Provinz-Ju¬ 
denschaft vorführte. . 
Der Referent stellte fest, daß ehestens folgende Kes¬ 
sort-einzurichten sind: 1. Kataster, 2. Ressort für jüdi¬ 
sche Kultur (geistige und körperliche), 3. Erziehungs¬ 
wesen und Jugendbewegung, 4. Politik, 5. Organisation, 
6. Finanz- und Wirtschaftsreferat, 7. Zentralsekretariat. 
Der Debatte, in welcher die Herren Bernhard 1 aus¬ 
sig, Schwager, Dr. Morgenstern, Freund, Dr Schnecwcib 
ihre volle Zustimmung zu den Ausführungen des Keteren- 
ten erklärten, folgte das Schlußwort Piskatvs, woran! 
die verschiedenen Anträge zur Abstimmung kamen, 
welche im wesentlichsten beinhalteten, daß em lOgliedri- 
ger Ausschuß gewählt wurde, welcher sofort mit der 
Durchberatung der Organisationsvorschläge, sowie des 
Programmes zu beginnen hat. 
Wir werden das Referat, welches würdig ist, unseren 
Lesern mitgeteilt zu werden, in nächster Zeit eingehen¬ 
der behandeln. 
Todesfall. Am Freitag den 2. Mai starb hier Herr 
Julius Adler, Beamter der Kriegsgctreidegesellschatt, 
und wurde am Sonntag den 4. Mai beerdigt. 
Innsbrucker Brief. 
Auch die Innsbrucker Kultusgemeinde steht vor der 
Neuwahl des Kultusrates. Daß diese Wahlen nicht aul 
Grund des alten, dem Zeitgeiste nicht mehr Reehminu 
tragenden Wahlrechtes möglich sein werden, dessen wurde 
sieh auch der bisherige Kultusrat bewußt, und er be¬ 
schloß, das Wahlrecht zu erweitern. Mit der Demokrati¬ 
sierung ging man freilich nicht zu weit — und das konnte 
wohl vorausgesehen werden —, wollte sich doch der Kul¬ 
tusrat- seiner Macht nicht begeben. 
So wurde bloß das Alter der aktiven Wahler und 
Wähleririnnen auf das vollendete zwanzigste Lebensjahr 
herabgesetzt; die Beschränkung der Wahlberechtigung 
auf die Steuer zahlenden Gemeindemitglieder blieb nach 
wie vor bestehen. Eine Erweiterung erfuhr das W ab 1- 
recht insoferne, als auch die Ehegattinnen der Steuer¬ 
zahler das aktive Wahlrecht erhielten. Hervorgehoben 
muß wohl werden, daß das Wahlrecht an keinerlei Staat ■ 
Zugehörigkeit, gebunden wurde, wodurch wenigstens dem 
Standpunkte Rechnung getragen erscheint, daß das Ju¬ 
dentum eine unteilbare Einheit bildet.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.