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JÜDISCHE
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Nr. 12
125- APnl
Linz, am — ,T.—
' 25. Nissan 56/9
1919
Zionismus und Sozialismus.
Dem Geiste des Judentums ist die Idee des Sozialis¬
mus seit altersher keine fremde; im (legenteil zeigen alle-
alt jüdischen Institutionen einen den damaligen Verhält¬
nissen und Begriffen angepaßten, deswegen aber nicht
weniger stark ausgeprägten Zug ins Soziale, wie ja auch
die ganze Staatsverfassung eine für die damaligen Ver-
, hältnisse unerhört demokratische war. Als der Richter
republik und den ersten -Wahlkönigen dank dem Einflüsse
von außen die Despotie folgte, sehr entgegen dorn Sinne
der Schrift und dem Volksgeist, waren es die großen
jüdischen Geister, die Propheten — allen voran Jesaia,
später Rabbi Jeschuah und die Talmudisten — in deren
Werken ein tiefliegendes soziales Empfinden zum Aus¬
druck kommt.
Und daß die besten Geister des Judentum» seit der
Emanzipation gerade dem Sozialismus ihre tiefsten Ge¬
danken, ihre reinsten Erkenntnisse gewidmet haben, ist
allbekannt, stehen doch an der Wiege des modernen,
wissenschaftlichen Sozialismus zwei Juden: Marx und
Lassalle.
Was Wunder, wenn die kaum aus der Enge des
Ghetto befreiten jüdischen Massen im Sozialismus den
Ausdruck ihres eigenen Wollens und Wünschens fanden,
deckte sich doch der ganz .und gar auf dem Boden des
internationalen stehende Sozialismus in einem wesent¬
lichen Punkte so ganz mit den kosmopolitischen Idealen
unserer Großväter, hofften doch sie alle wirtschaftliche
und geistige Befreiung in dieser Idee zu finden. Je mehr
der alte 48er Liberalismus abwirtschaftete, desto mehr
glaubten die politisch reiferen Kreise des Judentums in
der sozialistischen Partei, der Partei der Unterdrückten
und Geknechteten, auch für sich, die Parias unter den
^ olkern, Befreiung und wirkliche Gleichstellung zu
finden.
Mit dem Wiedererwachen des jüdischen ^ olks-
bewußtseins, mit jüdischem Nationalismus und poli¬
tischem Zionismus erwachen auch Tausende Juden zu
politischem Denken und Handeln, Tausende aber, die
im internationalen (das heißt die Kationen nicht leug
enden, aber in seinen Zielen über das Maß einer ein¬
zelnen Nation hinausgehenden) Sozialismus den restlosen
Ausdruck ihres politischen Wollens gesehen haben, sind
vor ein Dilemma gestellt. .Die Sozialdemokraten der ein¬
zelnen Staaten und in Österreich der einzelnen Nationen
haben sich'in einer Neuorientierung in nationalen Fragen
nationalisiert. Die Internationale eines Karl Marx, noch
eines Bebel und Viktor Adler zerfällt in nationale Sozia¬
listenparteien, die nur — der Krieg sollte es zu deutlich
demonstrieren — durch ein ganz schwaches Band an¬
einander gebunden waren.
Sollten die ganz in den Gedankengängen des Sozia¬
lismus aufgehenden Juden,(manche waren sogar auf füh¬
renden Posten) den Weg der sozialdemokratischen Par¬
teien in den Nationalismus mitmachen? Sollten sie, sich
ihres Volkstums besinnend, sich auf den jüdischnationalen
Standpunkt stellen?
Die Tatsachen geben uns laut und beschämend Ant¬
wort. Renegatentum im tiefsten, tragischesten Sinne bei
den Führenden, Übelwollen, Verkennen und Mißver¬
stehen des jüdischen Volksgedankens bei den Massen!
Teile der großen sozialistischen Weltpartei, in Polen
sogar der überwältigende Teil der jüdischen Proletarier,
sind den Weg ins nationale Fahrwasser aber in entgegen¬
gesetzter Richtung gegangen und haben mit und durch
den sozialistischen Gedanken zum nationalen Judentum
heimgefunden. „Poale Zion", auf marxistischer Grund¬
lage, eine ausgesprochene Arbeiterpartei, zählt heute
viele Zehntausende Mitglieder in Polen, Amerika und
Erez Israel; „Hapoel haza'ir" mehr auf dem Boden des
Volkssozialismus stehend, die Partei der jüdischen Intelli¬
genzproletarier, gewinnt täglich neue Freunde. Beide
Parteien, Hapoel haza'iz und Poale Zion, stehen auf dem
Boden des nationalen Judentums, sind dem zionistischen
Welt verband angeschlossen und vom Kopenhagener So¬
zialistenkongreß als sozialistische Bruderpartei aner¬
kannt. Lediglich die Sozialdemokratie Deutschösterreichs
hat bis jetzt mit der Anerkennung gezögert. Aber auch
die Anerkennung dieser Partei wird nicht ausbleiben . . .
Diese gegenwärtige Situation muß man sich vor
Augen halten, will man die Frage vieler deutschöster¬
reichischer Sozialisten jüdischer Abstammung (von Kon¬
fession kann bei einem wirklichen Sozialisten — Gelegen-
heits- und Konjunktursozialisten zählen nicht, weder für
die Partei, noch in unseren Betrachtungen — nicht die