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VEREINS-CHRONIK.
schriftfragmente des Nibelungenliedes. Die Ent¬
deckung eines schönen Schrotblattes — eingeklebt
in einen unscheinbaren Folianten — war unsere erste
Forschertat, und wer weiss was noch alles entdeckt
worden wäre, hätte uns nicht das Dampfross nach
einstiindigem Aufenthalt nach Wasserburg entführt.
Zwar hatten sich auf dem Bahnhofe weder Festjung¬
frauen noch die städtische Musikkapelle eingefun¬
den, als wir in animierter Stimmung anlangten. Da¬
für nahmen uns gleich in liebenswürdigster Weise
der Herr Bezirksamtmann und der Herr Bürger¬
meister von Wasserburg in Beschlag und geleiteten
uns durch die alten, malerischen Strassen und Gas¬
sen. In Anbetracht der zu überwindenden Arbeits¬
last wurde in einem lauschigen Garten sofort ein
Frühschoppen abgehalten und hierauf das städtische
Museum — ein altes ehemaliges Kirchlein — be¬
sichtigt. Gar manches schöne Stück gabs da zu
schauen, wer von uns möchte nicht die beiden herr¬
lichen Glasgemälde, die so träumerisch von dem
einen Fenster herunterleuchteten, sein eigen nen¬
nen? Warum nicht gleich sich das beste wenig¬
stens wünschen, wenn man es doch nicht haben
kann! Auffallend gut waren noch ein paar Holz¬
skulpturen, besonders ein Gottvater mit Papstkrone.
Dass natürlich in Wasserburg eine altberühmte Spe¬
zialität, die Dosen, in schönen Exemplaren zu sehen
sind, darf uns weiter nicht wundern; kurz, Jeder
fand etwas, was er zum Andenken recht gerne mit¬
genommen hätte.
Nachdem also solcher Weise unser antiquari¬
scher Magen seinen Teil abbekommen, sorgte ein
treffliches gemeinsames Mal bei Fletzinger für die
gewöhnlicheren Bedürfnisse, die ja bei einem der¬
artigen Vereinsausfluge eo ipso viel intensiver auf¬
zutreten pflegen. Verschiedene Toaste, der erste
auf unseren allerhöchsten Protektor, S. Kgl. Hoheit
Prinzregent Luitpold, dann auf die Stadt Wasser¬
burg und auf unseren Verein selber wurden ausge¬
bracht. Doch halt, eines hätte ich beinahe ver¬
gessen, den Besuch des alten Rathaussaales, der
neu aus der Asche erstehen soll und den der baye¬
rische Staat mit Bildschmuck versehen lässt. Vielen
wird ja die Konkurrenz, die in Künstlerkreisen seiner¬
zeit etwas Staub aufgewirbelt hat, noch in Erinne¬
rung sein. Wir können den Wasserburgern zu ihrem
neuen Rathaussaal nur gratulieren, er wird für das
schöne Städtchen eine Zierde und Sehenswürdig¬
keit mehr sein. Den Nachmittag füllte ein Spazier¬
gang entlang der steilen Sandabfälle am Innufer
mit herrlichen Blicken auf Stadt und Fluss in bester
Weise aus. Noch ein kleiner Vespertrunk —
und der Regen, der merkwürdiger Weise seit eini¬
gen Jahren unsere Vereinsausflüge begleitet, war
getreulich — warum sollte es auch in Wasserburg
nicht sein — wieder da, ohne uns jedoch die Stim¬
mung noch verderben zu können. Der Abschied
von dem reizenden Fleckchen Erde, Wasserburg
geheissen, versetzte den Schreiber dieses und wohl
manchen anderen, in schier wehmütige poetische
Stimmung. Es war doch ein Stückchen andere,
schönere Welt als die einer angehenden Grossstadt
mit ihrem prosaischen Hasten und Jagen.
VEREINS-CHRONIK.
Jahresbericht pro 1903,
erstattet bei der Generalversammlung am 11. Januar 1904.
Im verflossenen Vereinsjahre führte die bei der
Generalversammlung am 12. Januar 1903 gewählte
Vorstandschaft die Geschäfte, die aus den
gleichen Herren bestand wie im Vorjahre:
I. Vorstand: Jos. Heigenmooser, Königl.
Seminardirektor und Kreisscholarch,
II. Vorstand: Dr. Jos. Bauer, prakt. Arzt,
Säckelmeister: Heinrich Kotz, Landrat,
Ausschussmitglieder: Moriz Ballin, Kommer¬
zienrat, Wilhelm Schräder, Rentner.
Bibliothekar: Wilhelm Orlemann, Architekt.
Die Mitgliederzahl blieb gleich wie im
Vorjahre. Wir haben 8 neue Mitglieder zu be-
grüssen, bedauern aber auch den Austritt von
8 solchen. Die Gesamtzahl beträgt 152. Im Jahr¬
gang 1903/4 unserer Zeitschrift wird das Mitglieder¬
verzeichnis veröffentlicht.
Der Tod raubte uns das hochverehrte Ehren¬
mitglied des Vereins: Herrn Geheimrat von Hef-
ner-Alteneck. Bis in die letzten Jahre seines
hohen Greisenalters besuchte er unsere Versamm¬
lungen und belebte sie aus dem reichen Schatze