Volltext: Zeitschrift des Münchener Alterthums-Vereins XIV und XV Jahrgang (XIV. / XV, Jahrgang / 1903/04)

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PLASTISCHE BILDWERKE DES XV. UND XVIII. JAHRHUNDERTS. 
prächtiges Werk Riemenschneider’scher Kunst. Die 
Madonna mit dem Kinde auf dem Arme trägt in 
ihrer Auffassung und Behandlung so klar das Ge¬ 
präge und die charakteristischen Merkmale des frän¬ 
kischen Meisters, dass man an ihrer Herkunft nicht 
zweifeln kann. Inwieweit jedoch der Meister selbst 
an der Statue gearbeitet oder dieselbe seinen künst¬ 
lerisch tüchtig geschulten Gehilfen zur ersten Be¬ 
arbeitung oder weiteren Ausführung nach seinem 
Modelle überliess, wäre eine Untersuchung für sich, 
die nur bei eingehendstem Vergleiche der verschie¬ 
densten Originale nebeneinander möglich wäre. Ob 
dann das gefundene Resultat ein ganz sicheres 
wäre, wer weiss es ? Denn auch ein guter Meister 
hat eine schlechte und ein minder tüchtiger Ge- 
hülfe auch eine gute Stunde, so dass ein Irrtum 
sehr leicht möglich wäre, wollte man das vorzüg¬ 
lich Gelungene nur dem Meister und das minder 
Geglückte dem Gesellen zuschreiben. So viel ist aber 
jedenfalls sicher, dass Riemenschneider sich bei 
seiner reichen Produktivität tüchtige Gehilfen hielt, 
die unter ihm nach seinen Modellen arbeiteten und 
die Figuren bis zu einem gewissen Grade der Voll¬ 
endung, manchmal wohl auch vollständig fertig in 
Holz oder Stein ausführten. Ein Werk, das ihn 
besonders freute oder auch besser bezahlt würde, 
wird die Spuren seiner Hand mehr auf weisen als 
ein anderes, das ihm weniger am Herzen lag. Da 
und dort wird aber auch manche tüchtige Arbeit 
eines Schülers oder Gehülfen unter seinem Namen 
gehen. Daran liegt aber nicht viel. Denn der¬ 
jenige, welcher einem Werke den bestimmten Cha¬ 
rakter aufprägte, war nicht der Schüler, sondern der 
Meister selbst. Sobald ein Werk so individuell 
ist, dass es das Gepräge einer selbständigen 
Auffassung und eine persönlich eigenartige For¬ 
mensprache aufweist, wird man es auch sofort von 
einem „Riemenschneider“ unterscheiden und es ver¬ 
liert von selbst dessen Namen, wenn auch der Name 
seines Urhebers vielleicht nicht mehr gefunden wird. 
Die Madonna steht mit einer leichten Hüften¬ 
ausbiegung nach rechts, die Mondsichel zu ihren 
Füssen, auf Wolken. Sie trägt das Christuskind, das 
mit seinem Gesichte und dem Körperchen ziemlich 
nach vorne gewendet ist, auf den Armen, indem 
sie es mit der rechten Hand unter der rechten Brust¬ 
seite fasst und mit der linken die Beinchen hebt. 
Das Christuskind ruht teilweise in dem herabge¬ 
zogenen Kopftuch, das es mit der Hand des lin¬ 
ken, wagrecht ausgestreckten Armes emporhebt, 
während die rechte herabhängende Hand einen an¬ 
deren Teil des Tuches leicht fasst. Die Madonna 
hat reiches, aufgelöstes Haar, das auch nach vorne 
über die linke Schulter in schönen Wellenlinien 
herunterfliesst. Sie trägt eine Krone, während die 
anderen bedeutenderen Madonnen Riemenschnei¬ 
ders meist ohne Krone dargestellt sind. Unsere 
Madonna weist mit der Riemenschneider’schen Ma¬ 
donna im hiesigen Nationalmuseum, mit denen in 
der Sammlung des K. K. öst. Museums in Wien, 
im Königl. Museum zu Berlin und einigen anderen 
grosse Aehnlichkeiten auf.1). Die Draperie zeigt 
in der Anordnung vielfach die gleichen Motive, 
die natürlich in den Details sehr variieren. Das 
Christuskind auf den Armen der Madonna verrät 
deutlich den Typus Riemenschneider’scher Christus¬ 
kinder. Die Verhältnisse des gelockten Köpfchens 
und der einzelnen Gliedmassen zum Körper, sowie 
die technische Behandlung des Fleisches ist durch¬ 
aus gleichartig und deutet auf einen und denselben 
Meister hin. Allerdings ist das eine oder andere 
Werk in Einzelheiten mehr oder weniger intim durch¬ 
geführt. Betrachten wir noch die Art und Weise, 
wie der Kopf mit der hohen Stirn, den klar ge¬ 
formten Augen, dem scharf geschnittenen Mund 
und dem energisch modellierten Kinn zur Wirkung 
gebracht ist, wie der Hals mit dem deutlich sicht¬ 
baren Ansatz des Kopfnickers am leise hervor¬ 
tretenden Schlüsselbein und wie die Hände behan¬ 
delt sind, so dürfte jeder Zweifel an der Riemen¬ 
schneider’schen Herkunft der Madonna schwinden. 
Die fränkischen Bildhauerschulen unterscheiden 
sich von den anderen süddeutschen ganz wesent¬ 
lich. In dem stehenden Christus1) (Taf. VII) mit 
den fünf Wunden sehen wir ein Werk der schwäbi¬ 
schen Schule. Es ist bedauerlich, dass der schöne 
Kopf, sowie auch der mit grossem Verständnis ge¬ 
arbeitete Körper auf der Abbildung infolge der un¬ 
geeigneten Beleuchtung nicht zur vollen Geltung 
kommt. Das Original wirkt, sowohl was den Aus¬ 
druck des Kopfes als auch die Formengebung des 
*) Vgl. die leider oft nicht guten Abbildungen in dem 
Werke „Tylmann Riemenschneider“ 1460 - 1531 Leben und 
Kunstwerke des fränkischen Bildschnitzers von Carl Streit. 
Berlin 1888. Es schadet dem Werke, dass der Verfasser in Bezug 
auf Zuteilung der Werke an Riemenschneider oft zu weit¬ 
herzig ist. — Vgl. auch die Madonna auf der Veste Koburg; 
abgebildet im Katalog der kunsthistorischen Ausstellung zu 
Erfurt. September 1903. 
2) Das Original, früher im Besitze des Herrn Antiquar 
Lämmle, ging an einen Privaten über. Ergänzt sind nur 
einige Finger der linken Hand und ganz unwesentliche 
Kleinigkeiten. Höhe 1,26 m.
	        
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