18
PLASTISCHE BILDWERKE DES XV. UND XVIII. JAHRHUNDERTS.
prächtiges Werk Riemenschneider’scher Kunst. Die
Madonna mit dem Kinde auf dem Arme trägt in
ihrer Auffassung und Behandlung so klar das Ge¬
präge und die charakteristischen Merkmale des frän¬
kischen Meisters, dass man an ihrer Herkunft nicht
zweifeln kann. Inwieweit jedoch der Meister selbst
an der Statue gearbeitet oder dieselbe seinen künst¬
lerisch tüchtig geschulten Gehilfen zur ersten Be¬
arbeitung oder weiteren Ausführung nach seinem
Modelle überliess, wäre eine Untersuchung für sich,
die nur bei eingehendstem Vergleiche der verschie¬
densten Originale nebeneinander möglich wäre. Ob
dann das gefundene Resultat ein ganz sicheres
wäre, wer weiss es ? Denn auch ein guter Meister
hat eine schlechte und ein minder tüchtiger Ge-
hülfe auch eine gute Stunde, so dass ein Irrtum
sehr leicht möglich wäre, wollte man das vorzüg¬
lich Gelungene nur dem Meister und das minder
Geglückte dem Gesellen zuschreiben. So viel ist aber
jedenfalls sicher, dass Riemenschneider sich bei
seiner reichen Produktivität tüchtige Gehilfen hielt,
die unter ihm nach seinen Modellen arbeiteten und
die Figuren bis zu einem gewissen Grade der Voll¬
endung, manchmal wohl auch vollständig fertig in
Holz oder Stein ausführten. Ein Werk, das ihn
besonders freute oder auch besser bezahlt würde,
wird die Spuren seiner Hand mehr auf weisen als
ein anderes, das ihm weniger am Herzen lag. Da
und dort wird aber auch manche tüchtige Arbeit
eines Schülers oder Gehülfen unter seinem Namen
gehen. Daran liegt aber nicht viel. Denn der¬
jenige, welcher einem Werke den bestimmten Cha¬
rakter aufprägte, war nicht der Schüler, sondern der
Meister selbst. Sobald ein Werk so individuell
ist, dass es das Gepräge einer selbständigen
Auffassung und eine persönlich eigenartige For¬
mensprache aufweist, wird man es auch sofort von
einem „Riemenschneider“ unterscheiden und es ver¬
liert von selbst dessen Namen, wenn auch der Name
seines Urhebers vielleicht nicht mehr gefunden wird.
Die Madonna steht mit einer leichten Hüften¬
ausbiegung nach rechts, die Mondsichel zu ihren
Füssen, auf Wolken. Sie trägt das Christuskind, das
mit seinem Gesichte und dem Körperchen ziemlich
nach vorne gewendet ist, auf den Armen, indem
sie es mit der rechten Hand unter der rechten Brust¬
seite fasst und mit der linken die Beinchen hebt.
Das Christuskind ruht teilweise in dem herabge¬
zogenen Kopftuch, das es mit der Hand des lin¬
ken, wagrecht ausgestreckten Armes emporhebt,
während die rechte herabhängende Hand einen an¬
deren Teil des Tuches leicht fasst. Die Madonna
hat reiches, aufgelöstes Haar, das auch nach vorne
über die linke Schulter in schönen Wellenlinien
herunterfliesst. Sie trägt eine Krone, während die
anderen bedeutenderen Madonnen Riemenschnei¬
ders meist ohne Krone dargestellt sind. Unsere
Madonna weist mit der Riemenschneider’schen Ma¬
donna im hiesigen Nationalmuseum, mit denen in
der Sammlung des K. K. öst. Museums in Wien,
im Königl. Museum zu Berlin und einigen anderen
grosse Aehnlichkeiten auf.1). Die Draperie zeigt
in der Anordnung vielfach die gleichen Motive,
die natürlich in den Details sehr variieren. Das
Christuskind auf den Armen der Madonna verrät
deutlich den Typus Riemenschneider’scher Christus¬
kinder. Die Verhältnisse des gelockten Köpfchens
und der einzelnen Gliedmassen zum Körper, sowie
die technische Behandlung des Fleisches ist durch¬
aus gleichartig und deutet auf einen und denselben
Meister hin. Allerdings ist das eine oder andere
Werk in Einzelheiten mehr oder weniger intim durch¬
geführt. Betrachten wir noch die Art und Weise,
wie der Kopf mit der hohen Stirn, den klar ge¬
formten Augen, dem scharf geschnittenen Mund
und dem energisch modellierten Kinn zur Wirkung
gebracht ist, wie der Hals mit dem deutlich sicht¬
baren Ansatz des Kopfnickers am leise hervor¬
tretenden Schlüsselbein und wie die Hände behan¬
delt sind, so dürfte jeder Zweifel an der Riemen¬
schneider’schen Herkunft der Madonna schwinden.
Die fränkischen Bildhauerschulen unterscheiden
sich von den anderen süddeutschen ganz wesent¬
lich. In dem stehenden Christus1) (Taf. VII) mit
den fünf Wunden sehen wir ein Werk der schwäbi¬
schen Schule. Es ist bedauerlich, dass der schöne
Kopf, sowie auch der mit grossem Verständnis ge¬
arbeitete Körper auf der Abbildung infolge der un¬
geeigneten Beleuchtung nicht zur vollen Geltung
kommt. Das Original wirkt, sowohl was den Aus¬
druck des Kopfes als auch die Formengebung des
*) Vgl. die leider oft nicht guten Abbildungen in dem
Werke „Tylmann Riemenschneider“ 1460 - 1531 Leben und
Kunstwerke des fränkischen Bildschnitzers von Carl Streit.
Berlin 1888. Es schadet dem Werke, dass der Verfasser in Bezug
auf Zuteilung der Werke an Riemenschneider oft zu weit¬
herzig ist. — Vgl. auch die Madonna auf der Veste Koburg;
abgebildet im Katalog der kunsthistorischen Ausstellung zu
Erfurt. September 1903.
2) Das Original, früher im Besitze des Herrn Antiquar
Lämmle, ging an einen Privaten über. Ergänzt sind nur
einige Finger der linken Hand und ganz unwesentliche
Kleinigkeiten. Höhe 1,26 m.