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Münchens Bruckner-Pflege
Weltruf hat München als Wagner-Stadt; Weltruf hat München als
Stätte gepflegtester Mozart-Kultur. Und München steht heute mit in der
vordersten Reihe der Städte, die nicht nur im Rahmen ihrer mehr oder
minder offiziellen Konzertprogramme „auch“ den Werken des Meisters
von St. Florian Bewegungsfreiheit verschaffen, sondern denen die Pflege
des Gesamtwerkes Anton Bruckners derart in Fleisch und Blut über
gegangen ist, daß man schon von einer innijgen, für das idealiisLilsiche
Leben notwendigen Anteilnahme und Besitzergreifung der musikalisch
interessierten Bevölkerung an Bruckner sprechen kann.
Überblicken wir zu diesem Zwecke die letzten Jahre, so darf gesagt
werden, daß mit der glänzend gelungenen Durchführung des I. Inter
nationalen Bruckner-Festes in den Oktobertaigen des Jahres 1930 Mün
chen Hauptort im Reiche geworden ist. Nicht nur, daß wir bei der Orts
gruppe München der I. B. G. machtvollen Anstieg aus allen Schichten
der Bevölkerung konstatieren können, nicht nur, daß innerhalb der
Ortsgruppe vielseitig reges musikalisches, Leben herrscht (wir kommen
noch darauf zurück); wir sind in der glücklichen Lage, ohne von iiber^
lieblich scheinendem Lokalpatriotismus getrieben zu sein, den Faktor
Bruckner seiner Bedeutung gemäß überragend im musikalischen Leben
Münchens eingeordnet zu wissen. Wir haben allen Grund, stolz darauf
zu sein. Zahlen mögen sprechen.
Im Winter 1931/32 wurden a,Ile elf Symphonien Anton Bruck
ners durch die rührige Theatergemeinde (Paul Ehlers hatte den hoch
einzuschätzenden Gedanken und den Mut zur Verwirklichung gehabt)
auf geführt. Und zwar als zyklisch geordnete Reihenveranstaltungen.
Weder Mühe noch Kosten scheute die Theaitergemeinde, um die Konzerte
künstlerisch hochwertig, zugleich repräsentativ bedeutungsvoll durch
zuführen. Siegmund von Hausegger dirigierte die I., II., V. und IX. Sym
phonie; Hans Knappertsbusch die VIII., Heinrich Laber (Gera) die III.
und IV., Eu,gen Jochum (Duisburg) die VI., und VII., und endlich war
Prof. Franz Moißl, der stets Getreue, gewonnen worden, die „Nullte“
und die F-moll-Symphonie zu, leiten. Als Orchester waren die prächtig
spielenden Münchner Philharmoniker herangezogen worden, was neben
der künstlerischen Leistung auch für den städtischen Säckel nicht ohne
nutzbringenden Belang war. Der Erfolg dieser zyklischen Veranstaltungen
war überwältigend. Begeisterung der die Tonhalle bis auf den letzten
Platz füllenden Zuhörerscharen; Tiefenwirkung, die nichts mit irgend
geartetem Snobismus zu tun hat; wirkliche Freude an Echtem,
Schönen; wirkliches Dankgefühl. Das große Wagnis war gelungen:
Zum ersten Male in der ganzen Welt hatte man alle
elf Symphonien Bruckners geschlossen in einem Zyklus
auf geführt. Und diese Tat geschah in München!
Doch nicht genug damit: S. von Hausegger machte in seinen Abonne
mentskonzerten überdies die III. und die VIII. Symphonie (man weiß,
welch hehrer Künder Anton Bruckners Hausegger ist!), Adolf Mennerich,
der Leiter der V o lk s Symphoniekonzerte, brachte die I., IV. und V. Sym
phonie. In noch weitere Schichten des Volkes stieß Franz Adam vor.
Er führte mit seinem nationalsozialistischen Orchester im Zirkus Krone
(man wolle sich nicht an diesen Ort stoßen! Zudem ist in München
kein größerer Raum vorhanden) die romantische IV. Symphonie auf.
Auch diese in ihrer Eigenart anzuerkennende Tat schlug ein. Begeiste
rung und Jubel bei den' annähernd 4000 Zuhörern, von denen viele viel
leicht zum ersten Male in ihrem Leben solche Art von Musik gehört
haben dürften. Nicht vergessen werden darf, daß auch ein (Dilettanten-)
Orchesterverein, wie die „wilden Gungl“ (Prof. Heinrich Knappe betreut
ihn) seine Bruckner-Traditiön konsequent weiterführt. Heuer bringt er
die VI. Symphonie.